Viele Tore und kein Pass

Der in Nigeria geborene staatenlose Toto Tamuz ist der neue Star im israelischen Fußball. von alex feuerherdt

Um ein Haar wäre die Laufbahn von Toto Tamuz als israelischer Nationalspieler so schnell wieder beendet gewesen, wie sie begonnen hat. Der staatenlose 19jährige darf mit einer Sondergenehmigung der Fifa bei Länderspielen eingesetzt werden, denn er ist nur im Besitz ­einer zeitlich beschränkten Aufenthaltsgenehmigung. Als diese im Januar ablief, lehnte Tamuz eine Verlängerung ab. Er bestand auf einem regulären Pass, doch den wollten ihm die israelischen Behörden nicht zuteilen. Aus Protest weigerte sich der Stürmer von Beitar Jerusalem, einer Berufung für das Freundschaftsspiel gegen die Ukraine im Fe­bruar zu folgen. »Ich repräsentiere Israel mit Stolz und will von diesem Staat auch entsprechend behandelt werden«, sagte er. Als jedoch das wichtige EM-Quali­fikationsspiel gegen England näher rückte, änderte er seine Meinung und willigte in die Erneuerung seiner Papiere ein. Der Oberste Gerichtshof Israels, an den der Fußballer sich gewandt hatte, stellte ihm in Aussicht, nach einer dreijährigen Frist die volle israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Die Einbürgerung würde auch offiziell die Zugehörigkeit des Spielers zu Israel besiegeln und seine Staatenlosigkeit beenden. Tamuz kam 1988 in Nigeria als Toto Adaruns Temile zur Welt; zwei Jahre später zogen seine Eltern mit ihm nach Israel um. Sein Vater Clement Temile war Profi-Fußballer und nigerianischer Nationalspieler. Er stürmte ein Jahr lang für Beitar Netanya, bevor dem Klub das Geld ausging und Totos Eltern gezwungen waren, mit Gelegenheitsjobs über die Runden zu kommen. Im Jahr 1991 kehrten sie Israel wieder den Rücken; ihren kleinen Sohn ließen sie bei einem Mitspieler von Clement zurück, damit er später zur Schule gehen könne, sagten sie. Als Toto acht Jahre alt war, nahm ihn schließlich Irit Tamuz bei sich auf, brachte ihm He­brä­isch bei und zog ihn groß. Auch ohne offizielle Adoption trägt er nun ihren Nachnamen.

Toto trat in die Fußstapfen seines Vaters. Mit 14 begann er seine fußballerische Karriere bei Hapoel Petah Tikvah. Für diesen Verein gab er in der Saison 2005/06 auch sein Debüt in der höchsten israelischen Spielklasse, der Premier League – und schoss gegen den FC Ashdod gleich zwei Tore. Bis zum Ende dieser Spielzeit kam er auf 28 Einsätze, bei denen er beachtliche elf Treffer erzielte. Ein neues Supertalent war entdeckt. Im Sommer 2006 revidierte Tamuz sein zuvor häufig geäußertes Desinteresse an einem lukrativen Vertrag und wechselte zum Spitzen­klub Beitar Jerusalem. Mit Erfolg: Beitar ist Tabellen­führer, und Toto Tamuz führt die Torschützenliste der Liga an.

Auch international sorgt er für Furore. Tamuz ist einer der wichtigsten Spieler der israelischen U21-Auswahl, mit der er durch ein 1:1 und ein 1:0 gegen Frankreich in den Play-off-Matches im vergangenen Herbst sensationell die Endrunde der Euro­pa­meis­ter­schaft erreichte, die in diesem Sommer in den Niederlanden stattfindet. Und auch in der israelischen A-Nationalmannschaft ist er erfolgreich. Im September feierte er beim 4:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Andorra sein Debüt. Tamuz wurde nach einer Stunde eingewechselt und schoss ein Tor. Einen Monat später bereitete er beim 1:1 in Russland den Ausgleichstreffer vor.

Berti Vogts, seit kurzem Trainer der nigerianischen Nationalmannschaft, sähe den 19jährigen gerne in seinem Team, Tamuz ist zwar staatenlos, aber eben gebürtiger Nigerianer. Vogts berief ihn folgerichtig für das Qualifikations­spiel gegen Uganda am 24. März in sein vorläufiges Aufgebot. Doch weil er nur für Israel spielen will, lehnte Tamuz ab. Er hatte seinen großen Auftritt in der Partie gegen England. Weil Roberto Colautti fehlte, durfte Tamuz erstmals von Beginn an spielen. Das Match endete torlos, doch nicht nur die israelischen Zeitungen schwärmten von dem Youngster, der zum gefährlichsten Akteur auf dem Platz avanciete und der englischen Abwehr große Schwierigkeiten bereitete. Nach 75 Minuten wurde er schließlich ausgewechselt, unter großem Beifall der Zuschauer. Wenige Tage später, beim 4:0-Sieg der Israelis gegen Estland, stand er erneut in der Startelf.

Inzwischen ist man auch in Europa auf ihn aufmerksam geworden. Bei den Glasgow Rangers wird über eine Verpflichtung des Shooting Stars nachgedacht, der englische Erstligaklub FC Everton hat Beitar Jerusalem bereits Ende März ein offizielles Angebot unterbreitet. Wechselt Tamuz also von der israelischen Premier League in die englische? Er selbst hätte zumindest nichts dagegen: »Eines Tages würde ich schon gerne dort spielen. Mit harter Arbeit könnte es klappen, glaube ich.«

Auch sein leiblicher Vater würde sich darüber sehr freuen, denn er lebt im Londoner Norden und ist weiterhin im Fußballsport tätig. Clement Temile legte kürzlich die Prüfung für den A-Trainerschein ab, gemeinsam mit Roy Keane übrigens, der früher Kapitän der irischen Nationalelf und von Manchester United war und heute den Erstliga-Absteiger FC Sunderland betreut. Temile ist derzeit Coach beim FC Kentish Town, der als Neuntligist in der »Spartan South Midlands League« kickt. Die Spiele seines Sohns sieht er meist nur im Internet, aber er hofft auf ein Wiedersehen im September, wenn Israel zum Rückspiel in der EM-Qualifikation ins neue Wembley-Stadion kommt. »Ich werde da sein«, sagt der 42jährige zur Londoner Times, »es wird nicht leicht, aber ich werde ihn definitiv treffen. Es wäre das Schönste für mich, ihn spielen zu sehen. Und er wird wollen, dass ich ihn spielen sehe.«

Tamuz kommentiert eine mögliche Wiedervereinigung mit seinem Vater allerdings deutlich nüchterner: »Ich habe keinerlei Beziehung zu ihm. Ich weiß, dass er seit einigen Jahren in England lebt, aber mehr auch nicht.« Sein Vater habe erst nach den Erfolgen mit Beitar Jerusalem und der israelischen Nationalmannschaft wieder Interesse gezeigt. Groß geworden ist Toto Tamuz auch ohne ihn.