Keine Party im Stadion

Beitar Jerusalem ist neuer israelischer Fußballmeister, doch die Freude ist getrübt: Einmal mehr ist der Club in die Schlagzeilen geraten. von alex feuerherdt

Die Euphorie bei Spielern, Trainern, Verantwortlichen und Fans des Fußballclubs Beitar Jerusalem war riesengroß: Drei Spieltage vor Schluss führte er die israelische Ligat Ha’al mit acht Punkten Vorsprung an; mit einem Sieg gegen Hapoel Tel Aviv vor eigenem Publikum sollte die erste Meisterschaft seit neun Jahren am Samstag endgültig fest stehen. Doch zwei Entscheidungen des is­raelischen Fußballverbands IFA verhinderten die große Heimparty: Beitars hartnäckigstem Verfolger, Maccabi Tel Aviv, wurden wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten zwei Punkte abgezogen, was den Jerusalemer Verein vorzeitig zum Meister machte. Anschließend verurteilte die IFA Beitar dazu, die nächsten vier Heimspiele auf neutralem Platz und ohne eigene Fans auszutragen. Der Grund ist folgender: Im Anschluss an das letzte Heimspiel gegen Hapoel Petah Tikvah kam es zu Tumulten, als etliche Zuschauer auf das Spielfeld drängten und dabei 38 Menschen verletzt wurden.

Das Präsidium von Beitar versuchte zwar noch, das Sportgericht umzustimmen, akzeptierte schließlich aber die Entscheidung. »Keine Meisterschaft ist es wert, jemandem auch nur ein Haar zu krümmen«, sagte Trainer Yossi Mizrahi, der mit einigen seiner Spieler zwei schwer verletzte Jugendliche im Krankenhaus besuchte. Und Mittelfeldspieler Michael Zandberg ergänzte: »Wir würden alle gerne vor unseren Fans in unserem Stadion spielen und feiern, aber wenn ein Match in einem leeren Stadion notwendig ist, um den Fans eine Lehre zu erteilen, dann sei dem so.«

In gewisser Weise passen die jüngsten Ereignisse zu dem Club mit der turbulenten Geschichte. 1936 wurde der Verein von David Horn und Shmuel Kirschstein, zwei Angehörigen der 1923 in Riga initiierten, Beitar genannten Jugendbewegung der so genannten Revisionisten um Zeev Jabotinsky, gegründet. Der Name Beitar steht für Brit Yosef Trumpeldor. Trumpeldor, ein gebürtiger Russe, war 1920 während des palästinensischen Aufstands mit sieben weiteren Männern bei der Verteidigung der Siedlung Tel-Hai getötet worden. Kiryat Shmona, auf Deutsch: Stadt der Acht, ist nach diesen acht Toten benannt.

Dass die Fußballmannschaft des neuen Vereins ausschließlich aus Beitar-Mitgliedern bestand, führte rasch zu Konflikten: zum einen mit den Anhängern von Hapoel Jerusalem, die den Sozialisten von Mapai nahe standen, zum anderen mit der britischen Mandatsmacht in Palästina. Denn einige der Spieler waren zugleich Angehörige der militärischen Untergrundorganisationen Irgun Tzvai Le’umi oder Lehi, die für die Unabhängigkeit von Großbritannien kämpf­ten und dabei nicht eben zimperlich vorgingen. Etliche Spieler wurden in den vierziger Jahren verhaftet und ins Exil nach Eritrea und Kenia gebracht. Um die Verbindungen zu Irgun zu verschleiern, benannte Horn den Klub für kurze Zeit in »Nordia Jerusalem« um.

In den fünfziger und sechziger Jahren war Beitar nahezu durchweg Zweitligist; erst 1968 gelang es dem Club, sich für eine längere Zeit in der höchsten Spielklasse zu etablieren. 1974 wurde er erstmals dazu verurteilt, mehrere Heimspiele fernab von Jerusalem und vor leeren Rängen auszutragen, nachdem Anhänger während eines Spiels gegen Hapoel Petah Tikvah das Spielfeld gestürmt und Spieler und Fans von Hapoel angegriffen hatten. Ein Zwangsabstieg wurde nur durch die Intervention zweier Knesset-Mitglieder verhindert – einer davon war der heutige Premierminister Ehud Olmert –, die statt der Remission Ermittlungen gegen den israelischen Fußballverband wegen des Verdachts auf Korruption forderten.

Zwei Jahre später folgte mit dem Pokalsieg gegen Maccabi Tel Aviv der erste Gewinn eines nationalen Titels; diesen Erfolg wiederholte Beitar 1979 gegen den gleichen Gegner und beendete den Wettbewerb auch 1985, 1986 und 1989 als Sieger. 1984 sah es so aus, als könnte der Club erstmals israelischer Meister werden, am letzten Spieltag hätte für den ersten Tabellenplatz ein Unentschieden gegen Hapoel Tel Aviv genügt. Doch Beitar verlor die Partie, und der Titel ging an Maccabi Haifa. Wenig überraschend ist, dass die Anhänger des Jerusalemer Vereins und die Fans von Hapoel seitdem eine tiefe Abneigung gegeneinander hegen.

Es sollte drei weitere Jahre dauern, bis Beitar endlich Meister wurde. Nach dem Titelgewinn 1987 gab es für Beitar allerdings erst einmal nichts mehr zu feiern, 1991 stieg der Verein sogar in die zweite Liga ab, im folgenden Jahr allerdings auch sofort wieder auf; 1993, 1997 und 1998 wurden die Jerusalemer unter dem Trainer Dror Kashtan, heute Coach der israelischen Nationalmannschaft, erneut Meister.

Die Meisterschaft 1998 war zugleich der Beginn der schwierigsten Zeit, die Beitar in seiner Geschichte erlebte. Infolge der desaströsen Finanzpolitik seines Präsidenten Moshe Dadash ging der Club bankrott. Dadash verkaufte das Trainingsgelände an die Firmengruppe der Unternehmer Meir Fenijel und Meir Levi, steckte sich dabei sechs Millionen Schekel (rund 1,1 Millionen Euro) in die eigene Tasche und veräußerte den Verein anschließend an ein Konsortium. Fenijel und Levi übernahmen Beitar im Jahr 2000 schließlich ganz. Doch trotz häufiger Trainerwechsel und des Kaufs teurer Stars blieb der Erfolg aus. Im Sommer 2005 stand der Club erneut vor der Pleite.

Da trat der Multimilliardär Arkadi Gaydamak auf den Plan, der Beitar kaufte und eine neue Glanzzeit ankündigte. Gaydamak ist eine ebenso schillernde wie umstrittene Figur: 1952 in der Sowjetunion geboren, wanderte er im Alter von 20 Jahren als einer der ersten Juden mit offizieller Genehmigung nach Israel aus, zog jedoch nur ein Jahr später nach Frankreich. Dort lebte er bis zum Dezember 2000 und kam durch Import-Export-Geschäfte mit ehemaligen Sowjetstaaten zu Wohlstand, bevor er vor einem internationalen Haftbefehl wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe sowie Waffenschiebereien außer Landes floh und sich erneut in Israel niederließ.

Dort stieg im vergangenen Sommer seine Beliebtheit, als er während des Libanon-Kriegs für die Bewohner des durch Raketenbeschuss bedrohten Nordens eine Zeltstadt am Strand der Hafenstadt Ashkelon aufbauen ließ; außerdem konnten sich 2 000 Einwohner der Kleinstadt Sderot auf seine Kosten eine Woche lang in Eilat am Roten Meer von den Angriffen aus dem Gaza-Streifen erholen. Gaydamak will nun auch in der Politik mitmischen. Er hat angekündigt, neuer Bürgermeister von Jerusalem werden zu wollen; zudem plant er mit der von ihm gegründeten Partei »Soziale Gerechtigkeit« den Einzug in die Knesset.

Die Fans von Beitar Jerusalem haben ein zwie­spältiges Verhältnis zu dem Mäzen. Einerseits hat er ihren Club mit seinem Geld konsolidiert sowie den Kauf neuer Spieler und damit die Meis­terschaft ermöglicht; andererseits nehmen sie ihm übel, unmittelbar nach dem Kauf des Clubs dessen populären Trainer Eli Ohana entlassen und dem ungeliebten arabisch-israelischen Verein Hapoel Bnei Sakhnin 400 000 Dollar gespendet zu haben. Wie es um die internationale Konkurrenzfähigkeit des neuen israelischen Meisters steht, wird sich zeigen, wenn die Qualifikation zur Champions League ansteht.