Schwarze Pisten, blaue Helme

Am Fuße des Vulkans, Teil I. Von Demokratisierung ist im Ostkongo nichts zu spüren. Milizen terrorisieren die Region. von david schwarz, goma

Ohne Auto komme ich nicht nach Goma mit, das ist zu gefährlich für mich. Mein Cousin wurde vor zwei Monaten in einen Wagen gezerrt und dann in einem Kellerloch zusammengeschlagen. Sie wollten ihm gerade die Nase abschneiden, als er unter seinen Peinigern einen ehemaligen Militärkollegen erkannte, mit dem er damals Kinshasa eingenommen und Mobutu vertrieben hatte. Das hat ihm das Leben gerettet. Als ruandischer Tutsi sollte man nicht durch die Straßen Gomas laufen, erzählt Roger Usabase* bei einem Bier am idyllischen Seeufer im ruandischen Gisenyi.

Der Ort liegt am Nordufer des Kivu-Sees, nahe dem kongolesischen Goma auf der anderen Seite der Grenze. Roger berichtet von seiner Zeit als Kindersoldat in der Ruandischen Patriotischen Front (RPF). Derzeit studiert er Biochemie in der ruandischen Hauptstadt Kigali, besucht fast jeden Dienstagabend die Blues Night in der Bar des Hotels Mille Collines, nimmt Salsa-Unterricht und hat sich kürzlich verlobt.

Roger ist ein smarter Endzwanziger mit perfektem Französisch und realistischen Aussichten auf einen Job in Ruanda. Dennoch überlegt er sich, in den Kongo zu gehen, um dort mit den Truppen General Nkundas gegen die verbleibenden Hutu-Milizen zu kämpfen. »Bei der Armee war mein Alltag strukturiert, ich machte mir nie Gedanken um das Morgen. Außerdem kämpfen mein Onkel und meine Cousins auch dort. Wir müssen die Rechte der Tutsi verteidigen. Dort, im Ostkongo, gelten wir nicht als Menschen, wir müssen uns wehren.«

Über drei Wochen dauert nun schon die militärische Offensive einer Koalition von regulärem kongolesischen Militär und der etwa 5 000 Mann starken Miliz von General Nkunda gegen die Intera­hamwe-Milizen. Nkunda hatte sich noch im Dezember des vergangenen Jahres schwere Gefechte mit der kongolesischen Armee und Blauhelm-Truppen geliefert. Der ruandischstämmige Militär weigert sich bisher, seine Truppen in die reguläre Armee zu überführen. Die Vereinten Nationen und Amnesty international werfen seiner Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Nkunda betont hingegen, dass er lediglich die Rechte der Tutsi verteidigt. Das gemeinsame Vorgehen der beiden Verbände könnte der Beginn einer langsamen Integration der als diszipliniert geltenden Miliz Nkundas in die offiziellen Streitkräfte sein und damit auch der Entschärfung dieses Konflikts dienen.

Über den Verlauf der Operation und die Anzahl der Verluste auf beiden Seiten dringt praktisch nichts nach außen. Lediglich über ein Massaker an 30 Tutsi in Südkivu Anfang Juni wurde berichtet. Vertriebene Interahamwe überfielen ein kleines Dorf und ermordeten die Bewohner mit Macheten. Die Zahl der Interahamwe-Milizionäre wird auf 5 000 bis 10 000 geschätzt. Dazu kommt noch einmal mindestens die gleiche Anzahl von Familienangehörigen der Kämpfer.

Die Interahamwe (»die, die zusammenstehen«) ist die wichtigste der für den Völkermord an der Tutsi-Minderheit und gemäßigten Hutu im Jahr 1994 verantwortlichen Milizen. Der RPF militärisch unterlegen, zogen sich die Milizionäre unter dem Schutz des französischen Militärs in den Ostkongo zurück, vornehmlich nach Goma. Mit ihnen kam über eine Million ruandische Hutu. Als die Träger des alten ruandischen Regimes Kigali verließen, überzeugten sie auf dem Weg die Bevölkerung, mit ihnen in den Kongo zu kommen – mit dem gezielten Schüren von Angst vor Rachemaßnahmen der RPF oder durch Zwang. In den Flüchtlingslagern im Kongo gelang es schnell, die Machtstrukturen wieder aufzubauen und militärische Verbände zu reorganisieren.

Die »internationale Gemeinschaft«, die den dreimonatigen Massakern in Ruanda fast tatenlos zugeschaut hatte, wurde aktiv. In den Flücht­lingslagern waren praktisch alle Hilfsorganisationen versammelt, UN-Unterorganisationen ebenso wie zahllose NGO. Sie akzeptierten die Angaben der Hutu-Extremisten über die Zahl der Flüchtlinge ohne Überprüfung, die Versorgung war so großzügig, dass die Milizen ihre Wiederaufrüstung zum Teil durch den Verkauf von Hilfsgütern finanzieren konnten.

Ab 1994 griffen die Interahamwe-­Milizen und Teile der ehemaligen ruan­dischen Armee zwei Jahre lang das ruandische Grenzgebiet an und ermordeten weiter Tutsi. Der Kongo, damals noch Zaire genannt, wurde seit 1965 von Joseph-Désiré Mobutu regiert, der beste Beziehungen zu den in Ruanda regierenden Hutu-Extremisten unterhalten hatte und sie auch nach dem Völkermord unterstützte. Mobutu verschärf­te die Diskriminierungen gegen die Tutsi in seinem Herrschaftsbereich, 1996 wurde ein Gesetz erlassen, das nicht ausreisewilligen Tutsi die Todesstrafe androhte.

Das ruandische Regime nutzte die Gelegenheit und begann Ende 1996 mit einer Offensive gegen die Milizen, ein willkommener Nebeneffekt war aber auch der Zugang zu den Rohstoffquellen im Ostkongo. Auch Uganda griff auf Seiten Ruandas in den Konflikt ein und formte mit kongolesischen Oppositionsgruppen eine Koalition, die schließlich 1997 Kinshasa einnahm, Mobutu vertrieb und Laurent-Désiré Kabila als neuen Präsidenten einsetzte.

Bereits ein Jahr später setzte Kabila den Demokratisierungsbemühungen ein Ende und verbot sämtliche Parteien. Auch mit Uganda und Ruanda überwarf er sich, die Folge ist der bis heute anhaltende Bürgerkrieg im Kongo. Joseph Kabila, der nach der Ermordung seines Vaters die Macht übernommen hatte, gewann im vergangenen Jahr die Präsidentschaftswahlen. Die kongolesische Opposition führt seinen Sieg allerdings auf Wahlbetrug zurück, und im Osten des Landes ist von einer Demokratisierung ohnehin nichts zu spüren.

»Der Staat ist hier nicht präsent«, meint Olivier Etsou, ein Rechtsanwalt aus Goma. »Wer hier Geld hat, kauft sich das Gericht und kann tun, was er will.« Olivier arbeitet gemeinsam mit anderen Anwälten und Menschenrechtlern am Aufbau von Gemeindestrukturen. »Wir wollen die Menschen in Vierteln zusammenbringen und ein Justizsystem von unten aufbauen. Bisher herrscht hier praktisch Gesetzlosigkeit, ständig werden Leute ermordet, Frauen vergewaltigt, und nichts passiert.«

Olivier fährt mit seinem Land Rover über die schwarzen Pisten bis zum Ortsende. Von hier aus führt der Weg zum Nyiragongo durch den Urwald. In ruhigeren Zeiten erklimmen Touristen den Vulkan und verbringen die Nacht am Rande des Kraters mit Blick in den brodelnden Lavakessel. Derzeit aber ist die Strecke unpassierbar, der Weg zu gefährlich. »Hier ist Schluss, denn irgendwo da hinten befinden sich die Hutu-Rebellen. Die Hütten am Stadtrand wurden in den vergangenen Wochen immer wieder überfallen. Einige Menschen wurden umgebracht, vor allem aber haben die Interahamwe Frauen vergewaltigt«, berichtet Olivier.

Trotz der widrigen Umstände ist der Anwalt optimistisch im Hinblick auf seine Arbeit. Bislang sind lediglich erste Kontakte zu internationalen NGO geknüpft, ob sich die Menschen zu basisdemokratischen Zusammenschlüssen bewegen lassen, muss sich erst zeigen. Derartige Strukturen wären hilfreich als Schutz gegen die Willkür des kongolesischen Militärs und der Polizei. Zwar patrouillieren in Goma ständig Blauhelm-Soldaten auf großen Trucks, die einheimischen Uniformierten scheint das aber in ihren Umtrieben kaum zu stören. Polizisten und Soldaten verdienen etwa fünf US-Dollar im Monat – sofern der Sold ausbezahlt wird. Um überleben zu können, müssen sie sich andere Verdienstmöglichkeiten suchen.

*Alle Namen von der Redaktion geändert