Klimaschutz durch Super-Gau

So sieht es aus, das Comeback der Atomkraft: In den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel kam es Ende Juni gleichzeitig zu schweren Bränden. Vattenfall hielt sich mit Informationen über das Ausmaß der Unfälle tagelang zurück. von jochen stay

Eigentlich war alles gründlich vorbereitet: Pünktlich zum so genannten Energiegipfel Anfang Juli im Berliner Kanzleramt zündete die Atomlobby ein PR-Feuerwerk sondergleichen. Eine Anzeigenkampagne präsentierte in kitschigen Landschaftsfotos Atomkraftwerke als »Deutschlands ungeliebte Klimaschützer«, die viel Strom, aber angeblich kein CO2 erzeugen. Und in Interviews forderten Jürgen Thumann, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Seit’ an Seit’ mit Hubertus Schmoldt, dem Vorsitzenden der IG Bauen, Chemie, Energie (IG BCE), längere Laufzeiten für ältere Reaktoren.

Dass Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ein Befürworter der Atomkraft ist, steht sowieso alle paar Tage in den Zeitungen, Beistand bekam er aber kurz vor dem Energiegipfel auch noch von seinem Amtsvorgänger aus der SPD, Wolfgang Clement, der verkündete: »Der Atomausstieg war falsch.«

Zwar wissen alle Atomlobbyisten, dass die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag festgelegt hat, die von der früheren rot-grünen Bundesregierung mit den Stromkonzernen ausgehandelten Laufzeiten von Atomkraftwerken nicht zu verändern. Deshalb war klar, dass der Gipfel als Ergebnis kein Loblied auf die Atomkraft bringen würde, so lange sich Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und große Teile der SPD von einer atomkritischen Haltung Erfolge im Wahlkampf versprechen. Aber das Ziel der Kampagne war auch weniger die Bundesregierung als die Öffentlichkeit.

Besonderen Wert legte die Stromwirtschaft dabei auf eine ihren Vorstellungen entsprechende Deutung der zentralen Tischvorlage für den Gipfel: Die Prognos AG und das Energiewissenschaftliche Institut der Universität Köln waren beauftragt worden, drei Szenarien für den Energiemix der Zukunft zu entwerfen und zu errechnen, welche Folgen diese jeweils für den Energieverbrauch, die Treibhausgase und den Strompreis haben würden.

Wunschgemäß war am Tag des Energiegipfels unter der Überschrift »Merkel bereitet Comeback der Kernkraft vor« auf Spiegel online zu lesen: »Das Ergebnis, zu dem die Forscher kamen, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ohne Kernkraft sind die ehrgeizigen Klimaziele zwar auch zu erreichen, doch mit Atomkraftwerken, die kein Kohlendioxid freisetzen, gelingt der Kraftakt viel besser oder sogar über die Ziele hinaus – und vor allem ist es deutlich billiger.«

Eigentlich schien der Plan also aufzugehen. Die sonst stabilen Umfragemehrheiten gegen die Nutzung der Atomenergie begannen zu bröckeln. Doch bereits am Donnerstag vor dem Treffen ging das schöne Konzept quasi in Flammen auf.

Innerhalb von zwei Stunden mussten die beiden schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel per Schnellabschaltung vom Netz genommen werden. Und wie schon beim Beinahe-GAU im baugleichen schwedischen AKW Forsmark im vorigen Sommer zeichnete sich die Betreiberfirma Vattenfall dadurch aus, die Wahrheit darüber, was in den Siedewasserreaktoren geschehen war, nur häppchenweise und gezwungenermaßen an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Das Szenario war gespenstisch: Ein Transformatorgebäude des östlich von Hamburg gelegenen Atomkraftwerks Krümmel brannte. Schwarze Rauchwolken standen über dem Reaktor. Wie wird wohl den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr Geesthacht zu Mute gewesen sein, als sie zu diesem Einsatz gerufen wurden?

Die erste Reaktion der Betreiber war: Keine Panik! Transformatoren brennen halt ab und zu. Und wenn ein Trafo brennt, hat das überhaupt nichts mit der Sicherheit des Reaktors zu tun. Selbst wenn dieser Trafo nur 50 Meter neben dem Reaktorgebäude in Flammen steht, dann ist immer noch eine dicke Wand dazwischen. Die Schnellabschaltung hat ja funktioniert – ein Beweis für die Tauglichkeit der Sicherheitsmaßnahmen, so in etwa lauteten die abstrusen Rechtfertigungen.

Besonders verharmlosend war dabei, dass zunächst verbreitet wurde, es brenne nur ein Trafohäuschen. Dass dieses die Größe eines Wohnblocks hat, wurde erst nach und nach bekannt. Und bereits nach zwei Stunden meldete Vattenfall, der Brand sei gelöscht. In Wirklichkeit kämpfte die Feuerwehr drei Tage dagegen an. Dass es auch in Brunsbüttel zur gleichen Zeit gebrannt hatte, wurde erst einen Tag nach dem Unfall öffentlich gemacht, und zwar vom Tüv und nicht von Vattenfall. Zuerst behauptete der Stromkonzern, es gebe keinen Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Brunsbüttel und Krümmel, später war dieser plötzlich nicht mehr auszuschließen. Dann kam auch noch heraus, dass die Sprinkleranlage im Transformatorgebäude viel zu klein dimensioniert war.

Das nächste brisante Detail, das erst nach Tagen durchsickerte: Bei der Schnellabschaltung in Brunsbüttel hatte es nicht nur gebrannt, sondern zudem hatte ein Steuerstab geklemmt. Steuerstäbe sind unerlässlich, um die atomare Kettenreaktion im Kraftwerk im Fall der Fälle zu beenden. Statt die Ursache für den Defekt zu suchen, wurde der Stab arretiert, also einfach außer Betrieb genommen, und der Reaktor wurde wieder hochgefahren. Dabei kam es dann zu nächsten Panne: Zweimal kam es kurzzeitig zu einer ungewollten Absperrung des Reaktorwasserreinigungssystems.

Fünf Tage dauerte es, bis bekannt wurde, dass der Störfall in Krümmel nicht auf den Trafo beschränkt gewesen war, sondern auch auf den Reaktor selbst übergegriffen hatte. Bei der Schnellabschaltung war nämlich außerdem eine Pumpe ausgefallen. Zwei Sicherheits- und Entlastungsventile waren per Hand geöffnet worden, was so eigentlich nicht vorgesehen ist. Darauf waren Druck und Pegelstand des Kühlwassers im Reaktordruckbehälter schnell abgesunken. Dieses Wasser kühlt unter anderem die Brennstäbe. Geradezu dreist klingt es, wenn Vattenfall beteuert, diese Brennstäbe wären ja gerade noch von Flüssigkeit bedeckt gewesen. Denn ohne dieses Wasser hätte die Kernschmelze eingesetzt. Und erst am Freitag wurde bekannt, dass während des Brandes Rauchgas in die Leitwarte des Atomkraftwerks eingedrungen war; ein Mitarbeiter musste deshalb eine Gasmaske tragen.

Tagelang erfuhr niemand etwas von diesen Vorgängen. »Wir fragen uns, ob die Information bewusst bis nach dem Energiegipfel der Bundesregierung und der Stromkonzerne zurückgehalten wurde«, grübelt Thomas Breuer, Atomfachmann bei Greenpeace. Johannes Altmeppen, der Leiter der Abteilung Kommunikation von Vattenfall, hingegen beteuerte: »Wir legen alles offen und vertuschen nichts.« Vattenfall will das Kraftwerk mit dem zweiten vorhandenen Trafo wieder ans Netz nehmen. Dieser ist genauso alt wie der abgebrannte und hat die gleiche unzureichende Sprinkleranlage.

Unterm Strich wird deutlich, dass das Kampagnenmotto der Atombranche – »Sicherheit geht über Wirtschaftlichkeit« – längst ins Gegenteil verkehrt wurde. Das Überwachungspersonal in den Atomkraftwerken wird seit Jahren reduziert, um die Kosten zu minimieren. Schließlich handelt es sich um börsennotierte Unternehmen. Und wenn Störfälle wie in Brunsbüttel und Krümmel vorkommen, ist es das erste Ziel, die Anlagen so schnell wie möglich wieder ans Netz zu bekommen. Jeder Tag Stillstand bedeutet bei einem großen Reaktor einen Gewinnausfall von einer Million Euro.

Immerhin haben die Unfälle gezeigt, dass es auch ohne Atomstrom geht. Fünf der 17 deutschen Atomkraftwerke waren Ende Juni wegen Störungen vom Netz. Gefehlt haben sie niemandem – außer eben den Betreibern und ihren Aktionären.