Der Oberst wird zum Partner

Nachdem alle Hindernisse für eine Verbesserung der Beziehungen beseitigt waren, besuchte Präsident Sarkozy den libyschen Staatschef Ghaddafi. Frankreich ist bereit, Libyen als Regionalmacht anzuerkennen. von bernhard schmid, paris

Nicolas Sarkozy weiß, was sich gehört. Der französische Präsident besteht darauf, dass »der Älteste in Afrika respektiert werden muss«. Der »Älteste« ist Omar Bongo, 71 Jahre alt und seit 1967 autokratisch regierender Präsident Gabuns. Er kam mit französischer Hilfe an die Macht, seit­dem ist Gabun »ein privilegierter Partner Frankreichs«, wie Sarkozy betonte. Er hatte einen »Bruch« mit der so genannten Françafrique, den neokolonialen Sonderbeziehungen Frankreichs zu Autokraten und Diktatoren, angekündigt. Doch seine erste Afrika-Reise führte ihn am Freitag der vergangenen Woche zu dem treuen Freund Frankreichs.

Auch Muammar al-Ghaddafi hat das Renten­alter erreicht. Doch der 65jährige Staatschef und »Revolutionsführer« Libyens, den Sarkozy am Mittwoch der vergangenen Woche besucht hatte, denkt ebenso wenig an den Ruhestand wie Bongo. Oberst Ghaddafi putschte sich 1969 ohne französische Hilfe an die Macht, und die bilateralen Beziehungen waren nicht immer ungetrübt. Ab 1983 standen sich sogar französische und libysche Truppen im Norden des Tschad gegen­über, die verschiedene Fraktionen im Bürgerkrieg unterstützten.

Ghaddafis arabisch-nationalistische Politik führte zu Konflikten mit den westlichen Staaten, aber auch mit den anderen arabischen Diktatoren. Viele von ihnen hielten ihn für ziemlich exzentrisch oder schlicht für verrückt, und seine im »Grünen Buch« dargelegte »Universaltheorie« stößt auf Ablehnung. Ghaddafi lässt nur den Koran bzw. seine Interpretation des Buchs gelten und ignoriert die islamische Theologie. Seine Variante der islamischen Gesellschaftslehre betont die »soziale Gerechtigkeit« und die Gleichberechtigung von Mann und Frau, allerdings unter Berücksichtigung der »natürlichen Unterschiede«. Andere Verhaltensvorschriften entsprechen den üblichen Interpretationen, etwa das strikte Verbot von Vergehen wie Alkoholkonsum und Prostitution, für die seit den frühen neunziger Jahren auch Körperstrafen angedroht werden.

Der strikte Moralkodex war wohl auch ein wichtiger Grund für die Verurteilung von fünf bulgarischen Krankenschwestern und einem palästinensischen Arzt, denen vorgeworfen wurde, in einem Krankenhaus im ostlybischen Benghazi 426 Kinder mit dem AIDS-Virus infiziert zu haben. Experten stellten fest, dass viele Kinder schon vor der Ankunft der Angeklagten infiziert waren und auch an Hepatitis litten, ein Hinweis auf mangelnde Hygiene. Die libysche Regierung wollte nicht zugeben, dass es ein Aids-Problem im Land gibt, und behalf sich mit dem Verweis auf ein »ausländisches Komplott«. Dass Benghazi in der tribal geprägten Machtstruktur unterrepräsentiert und eine Hochburg oppositioneller Islamisten ist, machte den Fall für Ghaddafi noch brisanter.

Die sechs Häftlinge wurden gefoltert und legten Geständnisse ab. Obwohl Ghaddafi faktisch ihrer Freilassung zugestimmt hat, gelten sie in Libyen juristisch als zum Tode verurteilte Täter, deren Strafe in lebenslange Haft umgewandelt wurde, die sie in ihren Herkunftsländern verbüßen müssen. In den vergangenen Jahren waren sie für Ghaddafi ein Instrument diplomatischer Erpressung. In der Schlussphase war an den Verhandlungen, die zur Überstellung der Gefangenen an Bulgarien und ihrer Freilassung führten, Sarkozys Ehefrau Cécilia beteiligt. Dann kam Nicolas, um von den neuen Verhältnissen zu profitieren. Frankreich scheint bereit zu sein, den libyschen Anspruch auf eine Rolle als Regionalmacht zu akzeptieren, unter der Voraussetzung, dass der nordafrikanische Staat sich in die französische Einflusssphäre in Afrika einpassen lässt.

Nachdem Ghaddafi eingesehen hatte, dass die arabischen Staaten sich nicht unter seiner Führung vereinigen würden, wandte er sich den af­rikanischen Staaten zu. Dort nimmt man ihn nicht viel ernster, doch viele Regierungen armer Staaten schätzen seine Unterstützungszahlungen. Ghaddafi kann sich als »Einiger des Kontinents« aufspielen, bei den Gesprächen mit den Sarkozys trug er einen Aufnäher mit den Umrissen Afrikas auf seinem Beduinengewand.

Es ist Bestandteil der Kooperationsabkommen, die anlässlich von Sarkozys Unterredung mit Ghaddafi unterzeichnet wurden, dass Frankreich Libyen nunmehr »militärischen Beistand im Angriffsfall« zusichern will. Ähnliche Vereinbarungen gibt es bereits mit einer Reihe afrikanischer Potentaten, unter ihnen Omar Bongo. Ferner bietet Frankreich dem libyschen Regime einen Beitritt zur französischen Währungs­zone in Nord- und Westafrika an.

Größeres Aufsehen erregte die Vereinbarung über die Errichtung eines Atomkraftwerks durch den französischen Nuklearkonzern Areva, das die Energie »zur Entsalzung von Meerwasser« liefern soll. Doch dafür ist kein enormer Energieaufwand mehr nötig, man kann auf spezielle chemische Membranen zurückgreifen und den Energiebedarf stark reduzieren. Es geht um den Erwerb einer Schlüsseltechnologie, die immer noch Macht und Prestige symbolisiert.

Nicht so sehr der Erwerb der Atombombe dürfte dabei im Vordergrund stehen. Auf nukleare Rüstung verzichtete Ghaddafi im Dezember 2003 in Vereinbarungen mit den USA und Großbritannien, und er stimmte internationalen Kontrollen zu. Probleme gab es dabei bislang nicht, und die US-Regierung entsandte im Juli, noch vor der Freilassung der sechs Gefangenen, wieder einen Botschafter nach Libyen. Doch der Erwerb von atomaren Technologien gilt vielen Staatsoberhäuptern immer noch als Beweis für ihre Durchsetzungsfähigkeit.

Deutsche Politiker kritisierten die Vereinbarung. Für die Bundesregierung erklärte Gernot Erler (SPD), Staatssekretär im Auswärtigen Amt: »Deutsche Interessen sind durch Siemens und den Standort Erlangen direkt betroffen.« Die Deutschen gehen nicht leer aus, Siemens ist mit 34 Prozent an Areva beteiligt. Doch die Franzosen waren schneller, und sie haben ihren Einfluss innerhalb der EU vergrößert. Für den Grünen Reinhard Bütikofer ist das »rücksichtsloser, nationalistisch gefärbter Aktionismus«. Die US-Regierung hingegen begrüßte den Deal zwischen Sarkozy und Ghaddafi ausdrücklich.

Eher im Sinne der übrigen EU-Regierungen ist eine andere Bestimmung der Abkommen zur künftigen Kooperation mit Libyen. Zwei Tage vor Sarkozys Besuch hatte die EU-Außenkommis­sarin Benita Ferrero-Waldner eine »Rahmenübereinkunft« mit dem libyschen Minister für europäische Angelegenheiten, Abdelati al-Obeidi, unterzeichnet. Libyen wird für den effizienteren Kampf gegen »illegale Emigration« aufgerüstet.

Nicht zufrieden mit den nun abgeschlossenen Vereinbarungen sind die Familien der HIV-infizier­ten Kinder. In einer Erklärung fordern sie, Libyen solle die Krankenschwestern zur erneuten Verhaftung ausschreiben und alle diplomatischen Beziehungen zu Bulgarien abbrechen, falls das nicht geschehe. In dem Schreiben wird auch positiv auf Ussama bin Laden Bezug genommen. Möglicherweise hat Ghaddafi die Veröffentlichung gestattet, um westlichen Kritikern seines Regi­mes zu veranschaulichen, dass die Altenative zu seiner Herrschaft eine Machübernahme der Jihadisten sein könnte.