Überfall im Morgengrauen

Bei einem Angriff von russischen Neonazis wurde Ilja Borodaenko getötet. Er gehörte zu einer Gruppe von Umweltschützern, die gegen eine Atomfabrik protestieren. von ute weinmann, moskau

Ein Toter, ein Schwerverletzter, zahlreiche Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen – so lautet die vorläufige Bilanz eines Antiatomcamps im sibirischen Angarsk, etwa 90 Kilometer entfernt vom Baikalsee. Am frühen Morgen des 21. Juli griffen 18 Neonazis das im Wald gelegene Zeltlager mit Eisenstangen, Messern und Druckluftgewehren an. Zu dem Zeitpunkt hielten sich dort 21 Umweltschützer auf.

Ilja Borodaenko aus der Hafenstadt Nachodka war erst am Vortag im Camp eingetroffen und hatte gleich die Nachtwache übernommen. Er war bereits seit Jahren im russlandweiten Netzwerk der Autonomen Aktion aktiv. Mit ökologischen Themen beschäftigte sich der überzeugte Antifaschist bereits seit geraumer Zeit, beides gehörte für ihn untrennbar zusammen. Kurze Zeit nach dem brutalen Angriff erlag er im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.

Die Miliz hatte keinerlei Mühe, die Täter zu ermitteln. Ein Skinhead, der von seinen rechts­ex­tremen Freunden aufgefordert worden war, sich an dem Überfall zu beteiligen, hatte zuerst die Campbewohner gewarnt und nach dem Überfall ausführliche Aussagen gegenüber den Ermittlungsbeamten gemacht. Eine Woche später saßen bereits 16 Verdächtige in Haft. Ihnen wird neben »Hooliganismus« vorsätzliche schwere Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, was mit einer Haftstrafe von maximal 15 Jahren geahndet wird.

An einem politischen Motiv des Überfalls zweifelten die Aktivisten von der Autonomen Aktion und den Rainbow Keepers keine Sekunde. Die russischen Behörden hingegen versuchten, den Vorfall als Raubüberfall auf Touristen zu verharmlosen. Erst nach der Festnahme der Verdächtigen und wegen der starken öffentlichen Resonanz sah sich die Staatsanwaltschaft gezwungen, den rechtsextremen Hintergrund öffentlich einzugestehen, allerdings ohne in dieser Hinsicht Ermittlungen einzuleiten. Einige Indizien sprechen dafür, dass die Staatsanwaltschaft den Angriff als Streit unter Umweltschützern darstellen will. Unklar ist indes, ob die Neonazis im Auftrag gehandelt haben oder nicht. Zumindest wäre dies nicht der erste Angriff auf widerspenstige Aktivisten in Russland, in den staatliche Stellen verwickelt sind.

Das Camp war bereits zuvor ins Visier der Miliz und des Inlandgeheimdienstes FSB geraten. Personenkontrollen, vorübergehende Festnahmen und eine Durchsuchung des Campgeländes ohne schriftliche Order gingen dem Mord voraus, und die Aufmerksamkeit des Staatsschutzes hielt auch danach an. Kein Wunder, da die Umweltschützer versuchen, durch Kundgebungen und Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung in Angarsk darüber aufzuklären, welche Gefahren ihr drohen. Solidaritätsbekundungen blieben nicht aus, diese sollen jedoch unter keinen Umständen in Protestbereitschaft umschlagen. Denn für die Atomlobby steht zu viel auf dem Spiel.

Das 1954 in Angarsk eröffnete Kombinat für chemische Elektrolyse soll in Zukunft eine Schlüsselrolle im internationalen Atomgeschäft einnehmen. Die russische Regierung ließ das Kombinat, das bislang auf dem Gebiet der Anreicherung von waffenfähigem Uran tätig war, von der Liste der strategischen Unternehmen streichen, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer internationalen Urananreichungsanlage zu schaffen.

Das deutsch-britisch-niederländische Unternehmen Urenco ließ seit 1996 unter anderem aus dem westfälischen Gronau bereits 20 000 Tonnen als wertvolle Rohstoffe getarnten Atommüll per Schienentransport ab St. Petersburg hinter den Ural schaffen. Abgereichertes Uran soll nun in Angarsk für die weitere Verwertung im Ursprungsland wieder angereichert werden, etwa 90 Prozent des radioaktiven Materials verbleiben jedoch in Russland und werden dort unter freiem Himmel gelagert. Ein gutes Geschäft, denn die Anreicherung ist in Russland fünf Mal billiger als in Europa, und gratis gibt es das, was man in Deutschland Entsorgung nennt.