In die nächste Dimension

Kein Problem, dass die bisherigen Systeme zur biometrischen Gesichtserkennung versagt haben. Das BKA ist an dem EU-Projekt 3D-Face beteiligt, das eine neue Technologie erforscht. von carsten schnober

Es ist nicht lange her, da fragte man sich noch, welche armen Würste all die langweiligen Telefonate, die in dieser Republik abgehört werden – das sind bekanntlich ziemlich viele –, auszuwerten haben. Inzwischen weiß man, dass da einiges automatisch geht, und fragt sich stattdessen, wer sich all die Bilder der Überwachungskameras ansieht, die täglich produziert werden.

Die Anhänger des Prinzips Law and Order haben in den vergangenen Jahren politisch weitgehend durchgesetzt, dass eine möglichst umfassende Überwachung öffentlicher Räume mit der Hilfe von Videokameras angestrebt wird. In den meisten westeuropäischen Großstädten finden sich Überwachungskameras bereits über zentralen Plätzen und Fußgängerzonen.

Fast alle Befürchtungen von Datenschützern sind eingetroffen. Wer immer sich an belebten Orten bewegt, landet mit großer Wahrscheinlichkeit und meist unwissend auf Videoaufzeichnungen. Dagegen geht die Kriminalität an kame­raüber­wachten Plätzen allenfalls deshalb zurück, weil sie sich an andere Orte verlagert. Die Folge sind weitere Kameras bis hin zur allgegenwärtigen Überwachung wie beim Musterbeispiel London.

Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezweifelt inzwischen die Wirksamkeit von Video­überwachung für die Kriminalitätsprävention. Frank Richter, der nordrhein-westfälische Sprecher der GdP, nennt die Debatte über mehr Überwachung gar verlogen und meint: »Der Polizeibeamte an der Ecke oder auf einem belebten Platz bringt mehr Sicherheit als eine Videokamera.«

Weil die Anzahl der Überwachungskameras dessen ungeachtet munter weiter wächst, benötigt die Polizei immer mehr Beamte, die die Bildschirme im Blick behalten. Das kostet Geld. Da Maschinen oft günstiger arbeiten als Menschen und unter Umständen auch weniger Fehler machen, wird die automatisierte Auswertung von Kamerabildern durch Computersysteme angestrebt.

Bisher sind jedoch nur klägliche Erfolge vorzuweisen. Im Juli veröffentlichte das Bundeskriminalamt (BKA) die Ergebnisse eines Feldversuchs namens »Foto-Fahndung« im Mainzer Hauptbahnhof. Dabei wurden zwischen Oktober 2006 und Januar 2007 drei automatische Gesichtserkennungssysteme getestet, die 200 freiwillige Testpersonen beim Passieren einer überwachten Treppe selbständig registrieren sollten. Der Präsident des BKA, Jörg Ziercke, wertete die Trefferquote von durchschnittlich rund 30 Prozent als zu gering, um dem Bundesinnenministerium zum Einsatz der auf dem Markt befindlichen Systeme zu raten.

Die überraschend deutliche Absage rief bei den Herstellern und Branchenvertretern Unverständnis und eine leichte Empörung hervor. Stefan Christ vom auf Gesichtserkennung spezialisierten Unternehmen Cognitec Systems, das eines der getesteten Systeme herstellt, erklärte im Gespräch mit der Jungle World, die Ergebnisse hätten deutlich verbessert werden können, wenn man beispielsweise Kameraobjektive eingesetzt hätte, denen die stark schwankenden Lichtverhältnisse weniger ausmachen.

Vertreter der anderen Hersteller machten ebenfalls vor allem die schwierigen Bedingungen für das klägliche Ergebnis verantwortlich. Eine hundertprozentige Trefferquote zu erwarten, sei unrealistisch, und die Vorteile von biometrischer Gesichtserkennung gegenüber menschlichen Beobachtern bestünden in ihrer »Effizienz« und dem »ermüdungsfreien Einsatz«.

Der Abschlussbericht des BKA klingt, anders als das Urteil Zierckes vermuten lässt, etwa so, als habe der Versuch in Mainz gar nicht stattgefunden: »Das Projekt ›Foto-Fahndung‹ hat bestätigt, dass es aus technischer Sicht möglich ist, bio­metrische Gesichtserkennungssysteme in Fahndungsszenarien einzusetzen.« Zu berücksichtigen seien die zeitweise schlechten Lichtverhältnisse beim Feldversuch. Außerdem seien nur fertige Gesamtsysteme getestet worden, während die Muster­erkennungs­algorithmen mit angepassten Kameras möglicherweise zu höheren Erfolgsquoten geführt hätten: »Ohne großen Aufwand sind in einem realen Betrieb Erkennungsleistungen von über 60 Prozent, bei einer Falschakzeptanzrate von 0,1 Prozent, erreichbar.«

Wenn das BKA in einem solchen Bericht nicht etwa das schlechte Ergebnis des 200 000 Euro teuren Testlaufs betont, sondern das, was theoretisch möglich wäre, kann man ziemlich sicher darauf schließen, dass sich das Thema biometrische Gesichtserkennung keineswegs erledigt hat. Da aber auch der Präsident des BKA nicht im Verdacht steht, als heimlicher Bürgerrechtler die Verbreitung staatlicher Überwachung durch biometrische Systeme verhindern zu wollen, stellt sich die Frage, ob er nicht bloß eine Alternative bevorzugt. Die Antwort heißt vermutlich: drei­dimensionale Gesichtserkennung.

Ein auf drei Jahre angelegtes EU-Projekt namens 3D-Face erforscht seit dem vorigen Jahr die Möglichkeiten beim Abgleich digitaler Bilddaten, wie sie die neuen Reisepässe der EU enthalten, also je nach Mitgliedsland Passfotos, Fingerabdrücke oder auch Unterschriften. Ziel des Forschungsprojekts ist die Entwicklung automatischer Erkennungssysteme, die nicht auf Täuschungen wie vorgehaltene Fotos hereinfallen und auf erschwerte Bedingungen weniger empfindlich reagieren. Dazu zählen beispielsweise schlechte Lichtverhältnisse, variierende Farben oder eine veränderte Perspektive, wie sie bei geneigter Kopfhaltung entsteht.

Bei dem mit zwölf Millionen Euro von der EU finanzierten Projekt stammt fast die Hälfte der beteiligten Firmen und Institutionen aus Deutschland, das BKA ist als einzige Strafverfolgungsbehörde dabei. Dass ihr Präsident die zweidimensionale Gesichtserkennung für untauglich erklärt, soll vermutlich dabei helfen, den Forschungsschwerpunkt von 3D-Face so zu legen, dass sich die Ergebnisse für die Überwachung des öffentlichen Raums eignen. Dies deutet auch der Abschlussbericht zum Projekt »Foto-Fahndung« an: »Obgleich die Zielrichtung (bei 3D-Face) gänzlich anders ist, nämlich für Zwecke der Verifikation bei Personaldokumenten, wird man die Ergebnisse auch für Identifikationsanwendungen nutzen können.« Und: »In diesem Zusammenhang ist es denkbar, bei erkennungsdienstlichen Behandlungen zukünftig eine dreidimensionale Aufnahme des Beschuldigten anzufertigen.«

Es ist allerdings noch viel Forschungsarbeit und damit Geld vonnöten, bis die Videoüberwachung der nächsten Dimension für den Einsatz bereit ist. Die Notwendigkeit dieser Investition wollte Ziercke möglicherweise mit seinem Urteil über die 2D-Gesichtserkennung betonen. Vermutlich deckt sich die Liste der bei ihr vom BKA bemängelten Schwachstellen nicht zufällig zu einem beachtlichen Teil mit den von der 3D-Technik versprochenen Vorteilen.

Mit der weitgehenden Absage an die biometrische Gesichtserkennung ist die automatisierte Überwachung also keineswegs uninteressant geworden. Das BKA möchte schlicht vermeiden, Systeme einzukaufen, die mit einfachen Tricks wie Sonnenbrillen oder Basecaps auszutricksen sind. Man darf gespannt sein, was für eine Technologie künftig hinter den Kameras stecken wird, die Zugfahrer, Flugpassagiere, Shopper und Passanten beo­bachten.