Mustern kostet nichts

Die von der SPD vorgeschlagene »freiwil­lige Wehrpflicht« ist keineswegs ein Wider­spruch in sich. Soldaten, die freiwillig dienen, passen besser zu einer internationalen Eingreiftruppe, und die vollständige Erfassung der volljährigen Männer beschert der Bundeswehr enorme finanzielle Vorteile. von peer heinelt

Oberflächlich betrachtet konnte man meinen, Kurt Beck, der Vorsitzende der SPD, habe einmal mehr den Deppen vom Dienst abgeben wollen. Sein Vorschlag, junge Männer bei formaler Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht fürderhin nicht mehr zwangsweise zur Bundeswehr einzuziehen, sondern nur noch Freiwillige zu rekrutieren, erntete denn auch sofort vernichtende Kritik. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sagte im Deutschlandfunk, er halte die von Beck angeregte »freiwillige Wehrpflicht« für einen »Widerspruch in sich«. Entweder gebe es eine Pflicht, »und dann habe ich der nachzukommen, oder ich habe eine freiwillige Leistung oder letztlich eine Berufsarmee«. Für den Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, war schon Becks Wortwahl »karikaturfähig«.

Andere sahen sich in ihrem Ansinnen, die Bun­deswehr in eine Berufsarmee zu verwandeln, bestätigt und hielten sich deshalb mit Spott und Häme zurück. Der grüne Sicherheitspolitiker Win­fried Nachtwei etwa sprach von einem »halbher­zi­gen Schritt in die richtige Richtung« und be­zeich­nete Becks Vorschlag zurückhaltend als »unausgegoren«. Auch die FDP nutzte die Gunst der Stunde und forderte eine Aussetzung der Wehrpflicht.

Beck indes ist allen Anwürfen zum Trotz von seiner Idee überzeugt; für ihre Qualität spreche auch die Zustimmung der Führung der Generalität, sagte er dem Handelsblatt. Weiter kündigte er an, dass seine Partei mit dem Konzept einer »freiwilligen Wehrpflicht« im Herbst 2009 in den Bundestagswahlkampf ziehen werde. Das könnte in der Tat ein richtiger Schlager werden – und zwar nicht nur, weil sich viele zumeist junge Men­schen von staatlich verordneten Zwangsdiensten abgestoßen fühlen.

Gerade in Zeiten der Umorganisation der Bundeswehr zur jederzeit weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee, im militärischen Sprachgebrauch als »Transformation« bezeichnet, hat eine »freiwillige Wehrpflicht« unschätzbare Vorteile für die politisch-militärische Führung. Sie garantiert einerseits den uneingeschränkten Zugriff auf alle wehrfähigen Männer eines Geburtsjahrgangs und sorgt andererseits dafür, dass nur diejenigen, die auch qualifiziert, fähig und willens sind, für deut­sche Interessen zu kämpfen, bei den Streitkräften landen.

Ohne die über die gesamte Republik verteilten Kreiswehrersatzämter mit ihren Musterungskom­missionen, die alle volljährigen Männer für »taug­lich« oder »untauglich« zum Kriegsdienst befinden, müsste die Bundeswehr ihr Personalmarketing wie ein privates Wirtschaftsunternehmen or­ganisieren. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Karl Lamers (CDU), hat bereits vor einer solchen Entwicklung gewarnt. In Ländern mit reinen Freiwil­li­genarmeen gebe es »unglaubliche Einbrüche« bei der Nachwuchsgewinnung, sagte der Politiker, au­ßerdem entstünden den Streitkräften zusätzliche Kosten durch höhere Besoldung und Werbekampagnen. Das sieht auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), so. Seiner An­sicht nach zeigen die »Erfahrungen in Italien, Spa­nien und Frankreich«, dass »dort viel mehr Geld für die Rekrutierung ausgegeben werden muss als bei uns«.

Zwar wirbt die Bundeswehr schon heute in Schu­len und Arbeitsagenturen um Nachwuchs, doch könnte allein mit solchen Veranstaltungen niemals das personelle Potenzial erschlossen werden, das den Streitkräften durch die allgemeine Wehrpflicht quasi frei Haus zur Verfügung gestellt wird. Die Rekruten müssen bloß noch anhand von Eignungskriterien unter Berücksichtigung ihrer in­dividuellen Interessen und Karrierewünsche aus­ge­wählt werden. Nicht unwesentlich ist dabei, dass mit der von Beck gewünschten Freiwilligkeit des Diensts auch die erwünschte Loyalität der Re­kruten gegenüber dem »Arbeitgeber Bundeswehr« wachsen würde.

Von Vorteil wäre eine »freiwillige Wehrpflicht« au­ßerdem bei der Umwandlung der Bundeswehr zur Armee im permanenten Inlandseinsatz, denn hier­für wird eine Vielzahl von Reservisten benötigt. Zwar zählen auch Zeit- und Berufssoldaten nach dem Ende ihrer aktiven Dienstzeit zur militärischen Reserve, deren Gros bilden jedoch ehemali­ge Wehrpflichtige. Nach dem Ende 2006 von der Bundesregierung verabschiedeten »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« wird die »flächendeckende Zivil-Militärische Zusammenarbeit« auf der Ebene der Kreise, kreisfreien Städte und Regierungsbezirke »vorzugsweise von Reservistinnen und Reservisten wahrgenommen«. Sie üben für Polizeidienststellen, Rettungsdienste und Katastrophenschutz­behörden eine »Beratungsfunktion« aus, unterstützen die genannten Institutionen bei Naturkatastrophen und »besonders schweren Unglücks­fällen« und treffen gemeinsam mit diesen Institu­tionen »Maßnahmen im Gesamtkomplex der nationalen Sicherheitsvorsorge«.

Mittlerweile wurden mehr als 400 solcher zivil-militärischen »Kreis- und Bezirksverbindungskom­mandos« eingerichtet; insgesamt beläuft sich der Personalbedarf der Bundeswehr auf etwa 100 000 Reservisten. Während die Wehrpflicht ihren Teil da­zu beiträgt, dass die Streitkräfte die Soldaten au­ßer Dienst »ohne Rückgriff auf Mobilisierungs­maß­nahmen im gesamten Aufgabenspektrum nut­zen« können, wie es im »Weißbuch« heißt, könnte die Freiwilligkeit des Diensts dafür sorgen, dass Reservisten ihrem Auftrag im Inland noch en­gagierter und motivierter nachkommen; schließ­lich genießt die Bundeswehr nach eigener Aussage ein »hohes Ansehen« in der Zivilgesellschaft und verlässt sich ganz auf deren »breite Unterstützung«.

Unter Verweis auf das Leitbild vom »Staatsbürger in Uniform« wird von den Verfechtern der allgemeinen Wehrpflicht immer wieder betont, dass nur der für alle verbindliche Dienst an der Waffe die soziale Akzeptanz der Streitkräfte gewährleiste. Die Bundeswehr dürfe »kein Ort von Waffennar­ren und Rambos werden«, sondern müsse »in der Mitte der Gesellschaft verankert bleiben«, sagte etwa Manfred Weber, der Vorsitzende der Jungen Union Bayern, kürzlich der Zeit; für Reinhold Robbe ist der Wehrdienst gar »der Kitt des gesellschaft­lichen Solidarsystems«.

Aussagen wie diese können getrost als ideologisch qualifiziert werden; nicht nur weil mitt­ler­weile unzählige Skandale belegen, dass die Bundes­wehr eben gerade ein bevorzugter Tummelplatz für Waffennarren, Rambos und, nicht zu vergessen, Neonazis ist. Auch bilden diejenigen, die zur Armee wollen, den Forschungsergebnissen des So­zialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zufolge keineswegs den Durchschnitt der Gesellschaft. Vielmehr steigt das Interesse an einem Job beim Militär, je ungenügender die schulischen Leis­tungen sind und je höher das Risiko für den Bewer­ber ist, als Zivilist von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Nicht von ungefähr kommen 35 Prozent aller derzeit dienenden Soldaten aus den ostdeutschen Ländern (der Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung ist ungefähr halb so groß); bei den Wehrpflichtigen sind es sogar mehr als 40 Prozent. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern – Freiwilligkeit hin, Pflicht her.