Internationalisierung aus Schwäche

Ein algerischer Ableger von al-Qaida hat sich zu den Anschlägen auf ausländische Bauarbeiter in der Nähe von Algier bekannt. Die algerischen Islamisten setzen darauf, mit der Internationalisierung ihres Terrors die eigene Bedeutungslosigkeit im Land zu überwinden. von bernhard schmid, paris

Bauarbeiter waren das Ziel des Anschlags, ihr Vergehen: Sie arbeiten für eine französische Baufirma. Am 21. September explodierte 80 Kilometer östlich von Algier eine Bombe, die ausgelöst wurde, als ein Bus mit den Arbeitern vorbeifuhr. Zwei französische Angestellte der französischen Baufirma Razel, einer Filiale des deutschen Baukonzerns Bilfinger-Berger, und ein italienischer Mitarbeiter wurden verletzt, aber auch sechs Alge­rier, der Fahrer und fünf als Begleitschutz mitfah­rende Polizisten. Im September sind in Algerien über 65 Menschen bei Attentaten getötet worden.

Zu den Anschlägen, bekannte sich die Terror­organisation »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb«. Ihr sollen im Untergrund etwa 400 bis 500 Terroristen angehören, sie ist angeblich die letzte bewaffnete Islamistengruppe im Land. Einen Tag vor dem Anschlag auf die Bauarbeiter hatte Ayman al-Zawahiri, der Chefideologe von al-Qaida, seine Anhänger aufgefordert, den nordafrikanischen Ableger zu unterstützen. Er gab die Losung aus, »den Maghreb von den Franzosen und den Spaniern zu befreien, die in den ehemaligen Kolonien Nordafrikas präsent sind«. Die Videobotschaft war im Internet abrufbar.

Schon die mittelbare Vorläuferorganisation der maghrebinischen al-Qaida, die »Bewaffneten islamischen Gruppen« (GIA), hatte versucht, ihren Terror zu internationalisieren. So forderten die GIA, nachdem im Jahr 1995 in Frankreich mehrere Bomben in öffentlichen Verkehrsmitteln explodiert waren, den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac zum Übertritt zum Islam auf. Dieser spektakuläre Auftritt sollte der Gruppe Aufmerksamkeit verschaffen und ihren Kampf innerhalb Algeriens in einen internationalen Konflikt mit der früheren Kolonialmacht umwandeln. Der Versuch scheiterte jedoch. Die GIA waren nur mit winzigen Zellen in Frankreich präsent, deren wichtigste Anfang November 1995 von der Polizei zerschlagen wurde. Innerhalb Algeriens isolierten sich die Islamisten wegen ihres gewalttätigen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung selbst.

Der Zusammenbruch ihrer Basis ist auch der Grund für die neue transnationale Orientierung der verbliebenen Terroristen. Die GIA sind seit 2004 restlos zerschlagen. Aber fünf Jahre zuvor hatte sich eine Gruppe mit einigen hundert Kämp­fern abgespalten und unter dem Namen »Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf« (GSPC) neu formiert. Der Salafismus ist eine Variante des politischen Islam, der keine Vermischung seiner Ziele mit den Interessen eines Nationalstaats hinnimmt. Seinen Anhängern geht es um einen internationalen »heiligen Krieg« an allen Fronten.

Die Kämpfer der GSPC, die sich im Januar ihren neuen Namen »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« gegeben haben, halten sich in den Bergen des algerischen Nordostens und zum Teil in der Sahara auf. Über die traditionellen Schmuggelrouten versorgen sie sich mit Waffen und finanzieren sich dabei unter anderem durch Waffenhandel. Dazu kommen auch die fünf Millionen Euro, die die BRD im Jahr 2003 angeblich für die Freilassung deutscher Geiseln bezahlt hat. Sie waren von Schmugglern, die mit der GSPC kooperierten, in der Sahara entführt worden. Mit al-Qaida im Namen versucht die Gruppe, die im eigenen Land kaum noch Rückhalt hat, nun welt­weit Aufmerksamkeit zu erregen.

Im Dezember des vergangenen Jahres hatten die islamistischen Terroristen in der Nähe von Algier einen Bus mit Mitarbeitern einer US-amerikanischen Ölfirma angegriffen. Dabei wurde der Chauffeur getötet, neun Personen wurden verletzt. Anfang März folgte eine Attacke gegen russische Erdgasspezialisten in Ain Defla im Atlasgebirge.

Das Attentat vom Dezember 2006 markiert vor allem die Abkehr der algerischen Salafisten von Kampfformen des früheren Bürgerkriegs – gegen politische Gegner oder auch zum Zweck der Einschüchterung gegen Teile der Bevölkerung – und die Hinwendung zu Kampfformen des internationalen Terrorismus. Ein Anschlag wie dieser hätte auch in Bangkok, in London, in Saudi-Arabien, in Paris oder sonst wo auf der Welt stattfinden können.

Die algerische Regierung reagiert auf die jüngsten Anschläge, indem sie ihre Politik der »nationalen Aussöhnung« ausbaut und versucht, die ehemaligen Anhänger der islamistischen Terroristen in ihre Politik einzubinden. Auf der anderen Seite geht es für die Regierung darum, sich positiv auf die mehreren tausend Menschen, die gegen die Terroranschläge auf die Straße gingen, zu beziehen und sie zu unterstützen. Allerdings versucht sie, diese Demonstrationen zu kanalisieren, um sie als Unterstützung ihrer »nationalen Aussöhnungspolitik« präsentieren zu können.

Vergangene Woche konnte Präsident Abdelaziz Bouteflika die Unterstützung eines wichtigen islamistischen Funktionärs vermelden. Der in Jordanien ansässige Imam Yussef al-Qardawi, ein hoher Würdenträger der weltweit operierenden Muslimbrüderschaft, sagte, er verurteile die Bombenanschläge. Der Imam befand zudem, die Attentäter stünden außerhalb des Islam. Boute­flika belohnte den Mann seinerseits, indem er gegen jene wetterte, »die außerhalb der Vorschriften Gottes Gesetze geben wollen«. Beide seien sich einig in ihrer Abgrenzung von »islamistischen Extremisten und laizistischen Extremisten«.

Die konservative, religiöse, nicht auf Umsturz zugunsten der Errichtung eines »Gottesstaats« aufbauende islamische Grundströmung im Land wird von der algerischen Regierung immer stärker zur Stabilisierung der eigenen Macht benutzt. 120 000 Menschen soll eine neue Moschee in Algier, die gerade in Planung gegeben wurde, Platz bieten – davon 40 000 im Gebäudeinneren und 80 000 auf dem Vorplatz. Sie soll nach Mekka und Medina die drittgrößte Moschee der Welt werden. Mit 300 Metern Höhe wird das Minarett jenes der Supermoschee im marokkanischen Casablanca, die der französische Baukonzern Bouygues in den neunziger Jahren errichtet hat, um 100 Meter überragen. Wozu ausländische Baukonzerne doch gut sein können.