Zuviel geschützt

Die niederländische Regierung hat den Personenschutz für die ehemalige Abgeordnete und von muslimischen Fundamentalisten bedrohten Ayaan Hirsi Ali aus finanziellen Gründen eingestellt. Da sie jetzt in den USA lebe, sei sie selbst für ihre Sicherheit zuständig. von elke wittich

Seit Anfang Oktober ist Salman Rushdie ganz auf sich allein gestellt, was seine persönliche Sicherheit angeht. Die britische Regierung, die bisher Sicherheitsmaßnahmen für ihn finanziert hatte, stellte die Zahlungen unter Verweis auf die hohen Kosten ein. Rushdie lebe schließlich nicht dauerhaft in Großbritannien, begründete der britische Premierminister Gordon Brown diesen Schritt. Die Reaktionen auf diese Entscheidung der britischen Regierung waren neben enormer Empörung vor allem Spendenaufrufe und Solidaritätsaktionen für den Schriftsteller. Der ohnehin finanziell gut situierte Rushdie verfügt inzwischen über genügend Sponsorengelder, um selber für seinen Schutz zu sorgen.

Ayaan Hirsi Ali hat nicht so viel Glück. Die bekannte niederländische Kritikerin des Islam ist seit Jahren massiv bedroht. Der Mörder des Filmemachers Theo van Gogh hatte am Tatort eine eindeutige Botschaft hinterlassen: »Sie verdient den Tod genauso«, hieß es dort über Hirsi Ali. Seither war klar, dass die gebürtige Somalierin in Lebensgefahr schwebt.

Am 1. Oktober stellte die niederländische Regierung trotzdem alle Zahlungen für Hirsi Alis Personenschutz ein. Bis dahin wurde sie vom Dienst der Königlichen und Diplomatischen Sicherheit beschützt, die in den Niederlanden für die Sicherheit von mehr als 300 Personen zuständig ist. Nach Auffassung des Kabinetts wäre die Regierung nur dann für den Schutz der ehemaligen Abgeordneten verantwortlich, wenn sie sich in den Niederlanden befände. Justizminister Hirsch Ballin erklärte, man habe den Personenschutz für Hirsi Ali zwei Mal verlängert, nun sei definitiv Schluss: »Es war lediglich eine Übergangsregelung. Wir haben sechs Mal mit Frau Hirsi Ali darüber gesprochen. Sie hat kein Mandat mehr. Damit hat sie den Anspruch auf die Bezahlung ihres Personenschutzes durch den niederländischen Staat verloren.« Sybrand van Haersma Buma, sicherheitspolitischer Sprecher der regierenden Christdemokraten, sagte, es sei von vorneherein klar gewesen, dass die Niederlande nur für einen begrenzten Zeitraum für die Sicherheit von Hirsi Ali sorgen würden. Dies habe man auch ihr mitgeteilt, als sie vor mehr als einem Jahr in die USA gezogen sei. Zuständig für Hirsi Alis Schutz vor einer Bedrohung durch fundamentalistische Muslime sei nun das Land, in dem sie lebe.

De facto kommt die niederländische Haltung einer Einladung an Attentäter gleich. Hirsi Ali ist noch niederländische Staatsbürgerin und fällt nicht unter US-Schutzgesetze. Die amerikanische Botschaft in den Niederlanden erklärte bereits, dass die USA niemals für den Schutz einer Privatperson zahlen würden.

Femke Halsema, Vorsitzende der niederländischen Grünen, verlangte, dass »der Staat weiter für die Sicherheitskosten aufkommt«. Solange Hirsi Ali keine anderen Möglichkeiten gefunden habe, sei dies einfach Pflicht. Der rechte Politiker Geert Wilders werde schließlich auch rund um die Uhr auf Staatskosten geschützt. Der Rechts­populist hatte im Sommer öffentlich ein Verbot des Korans gefordert.

»Wieviel ist Hirsi Alis Leben laut Minister Hirsch Balins Haushalt wert?« fragte der Schriftsteller Leon de Winter die Regierung seines Landes, »Wie berechnet er das? Dies sind Fragen, die plötzlich akut sind, Fragen, die Margaret Thatcher bei Salman Rushdie nie gestellt hat, wo auch immer dieser sich befand.« Eine Antwort bekam de Winter nie, und auch die Reaktionen in den niederländischen und internationalen Medien sind weit von dem Aufschrei entfernt, den es im Fall Rushdie gegeben hat.

Und so bleibt Hirsi Ali notgedrungen nichts anderes übrig, als ihren Schutz in Eigenregie zu organisieren – wenn sich die niederländische Regierung nicht doch noch in letzter Sekunde anders entscheidet. Selber könne sie unmöglich für angemessene Sicherheitsmaßnahmen sorgen, hatte sie erklärt. Die Zeitung Volkskrant hatte in der vorletzten Woche versucht, die Sicherheitskosten zu kalkulieren. Demnach würde der Einsatz von sechs Bodyguards rund um die Uhr vier Millionen Euro pro Jahr kosten.

Hirsi Ali zog umgehend Konsequenzen aus dem Verhalten der niederländischen Regierung und reiste zunächst in die Niederlande, um mit den Verantwortlichen zu sprechen. Bisher erfolglos, die bisherigen Äußerungen des Justizministers machen wenig Hoffnung, dass die Entscheidung revidiert wird. Nach Mitteilung eines Vertrauten plant sie deshalb, demnächst in zahlreichen europäischen Ländern um Sponsoren für einen Sicherheitsfonds zu werben.

In den Niederlanden will sie jedenfalls auf keinen Fall bleiben. Nicht nur, weil sie in den USA mittlerweile beruflich Fuß gefasst hat. Wie verhasst und gefährdet Ali in dem Land ist, in dem sie einst im Parlament saß, bestätigte vor einigen Tagen eine Reportage der niederländischen Zeitung Trouw über einen Utrechter Vorort. Dort wurden Kinder von Einwanderern mit den Worten zitiert: »Unserer Meinung nach hätte Mohammed B. (Theo van Goghs Mörder, A.d.V.) das Schwein van Gogh in Ruhe lassen sollen, statt dessen hätte er Hirsi Ali zerstückeln sollen.«