Willkommen zu Hause

Neue Wege in der Prävention illegaler Einwanderung: Die Schweiz macht Negativwerbung für Europa. Nicht das Paradies erwartet Flüchtlinge, sondern Kälte, Regen, Obdachlosigkeit und staatliche Verfolgung, so die Botschaft. Von Thorsten Mense

Nachdem die repressiven Möglichkeiten der Flüchtlingsbekämpfung an den Grenzen Europas durch Überwachungssysteme und Satelli­tenortung von Flüchtlingsbooten fast gänzlich ausgeschöpft sind, wird nun wieder vermehrt Geld in die Präven­tion investiert. Jedoch nicht in Vorhaben, die die Lebensumstände in den Herkunftsländern verbessern. Ziel verschiedener medialer Kampagnen, die von der International Organization for Migration (IOM) mit­initiiert werden, ist es, Mi­gra­tionswilligen noch in ihrem Herkunftsland zu zeigen, dass sie in Europa kein schönes Leben erwartet. Sofern sie die Überfahrt überhaupt überleben.

Eine solche Imagekampagne der anderen Art hat die Schweiz bereits im Mai dieses Jahres begonnen. »Leaving is not always living« ist das Motto des Fernsehspots, der den Menschen in Nigeria und Kamerun derzeit die Realität von illegalisierten Migranten in Europa vor Augen führen soll. Demnächst soll das Video auch im Kongo zu sehen sein. Die EU unterstützt die dreijährige Kampagne mit 1,5 Millionen Euro.

Es ist dunkel und regnet in Strömen, ein junger schwarzer Mann, mit Mütze und in eine dicke Jacke gehüllt, geht in eine Telefonzelle und ruft seinen Vater zuhause an. Der Vater sitzt lesend auf einem Sofa, mit einem weißen Hemd in einer Umgebung, wie man sich in Europa ein gutes Zuhause vorstellt: ein schickes Wohnzimmer, gerahmte Bilder an der Wand, ein kleiner Beistelltisch mit Leselampe, auf dem das Telefon neben dem Foto des Sohnes steht. Während der Sohn seinem Vater erzählt, dass alles in Ordnung sei, er bei Freunden übernachte und in der Universität eingeschrieben sei, zeigen kurze Einblendungen die Realität des Lebens in der Illegalität: unter Brücken schlafen, um Geld betteln, vor der Polizei wegrennen.

Der Spot endet mit den Worten:

»Glaube nicht alles, was du hörst. Leaving is not always living.« Dann wird etwas Reggae-Musik eingespielt, während das Logo der IOM durchs Bild läuft. Bekannt wurde der Spot in Europa, als er während der Halbzeitpause des Länderspiels Schweiz–Nigeria Ende November gesendet wurde.

Die drastische Darstellung der Realität illegal in Europa lebender Migranten könnte von ­einer Flüchtlingsorganisation stammen, die die menschenunwürdigen Verhältnisse kritisieren will. Dass aber die Europäische Union, die den Spot mitfinanziert hat, Anti-Werbung mit dem Elend illegaler Migranten macht, ist neu. Der Spot ist Teil einer größeren Kampagne, mit der die Schweiz derzeit in verschiedenen afrikanischen Ländern erreichen will, dass es in Zukunft gar nicht mehr nötig ist, die Flüchtlinge aus dem Alpenland herauszukicken, wie auf einem rassistischen Wahlplakat der Schweizer Volkspartei SVP gefordert wurde. Sie sollen gar nicht erst kommen wollen.

Eduard Gnesa, Direktor des Schweizer Bun­des­amts für Migration, schilderte dem österrei­chischen Rundfunk ORF den Ablauf der Infor­ma­tions­veranstaltungen folgendermaßen: »Es werden T-Shirts verteilt, Rollenspiele gemacht, wo Schlepper auftreten, Ausbeutung im Zielland dargestellt wird und wie es einem dann geht, wenn man illegal im anderen Land ist, nämlich dass man allenfalls in Hinausschaf­fungs­haft kommen könnte.«

Im nigerianischen Radio laufen dazu Ne­gativwerbesendungen, die verkünden: »Anstatt dich Gefahren auszusetzen, weil du in die falsche Richtung reist, erinnere dich: Deine Möglichkeiten sind immer noch in Nigeria.«

Gemeint ist ein Land mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der Welt, in dem 37 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut leben, in dem Homo­sexualität mit 14 Jahren Haft bestraft wird und bald sogar schon die Beschäftigung mit diesem Thema zu fünf Jahren Haft führen soll. Im islamistischen Norden gilt die Sharia und damit auch die Todesstrafe, vollstreckt durch Steinigung, für Homosexuelle und außer­ehelichen Sex.

Selbst EU-Justizkommissar Franco Frattini, der die Idee der negativen Werbung für unterstützenswert hält, findet die Darstellung der afrikanischen Verhältnisse problematisch: Es sei »weit weg von der Realität, dass der Vater mit einem phantastischen und modernen Telefon ruhig in einem Sessel sitzt«. Noch weiter weg von der Realität ist allerdings die Darstellung der Lebensumstände der Migranten als Naturgesetz, vor dem man sie freundlicherweise warnt. So auch die Plakate, die in Kamerun zu finden sind. Auf ihnen sieht man einen verlorenen Schuh im offenen Meer treiben, darüber steht geschrieben: »Jedes Jahr führt die illegale Migration zu Tausenden Toten.« Darunter die Flagge der EU und das Logo der IOM – der Institutionen, die durch die Abschirmung der Grenzen für das Drama mitverantwortlich sind.

Migranten durch Bilder abzuschrecken, ist keine ganz neue Idee. Die niederländische Regierung verlangt von Einbürgerungswilligen seit März vorigen Jahres, dass sie sich bereits im Herkunftsland eine DVD ansehen, in dem das freizügige europäische Leben dargestellt wird. Bilder von Frauen, die oben ohne baden, und Homosexuellen, die sich in der Öffentlichkeit küssen, sollen muslimische Menschen von ihrem Willen zur Einreise abbringen. Wenn es um die die Bekämpfung der multikulturellen Gesellschaft geht, sind dann auch konservative Politiker wie Wolfgang Schäuble plötzlich sehr tolerant gegenüber dieser Freizügigkeit. Der Innenminis­ter bezeichnete das holländische System als »sehr interessant«, und andere Po­li­tiker aus CDU und CSU pflichteten ihm bei. Dass ­vielleicht ­gerade wegen dieser Freiheiten Menschen nach Europa kommen wollen, scheint den Politikern nicht in den Sinn zu kommen. Oder eben doch, weshalb nun die Schweiz den Menschen in Afrika zeigt, dass auf sie keine halbnackten Frauen am Strand warten, sondern nur Polizisten, die sie im Regen durch dunkle Straßen hetzen.

Die Kampagnen bringen verschiedene Probleme mit sich. So musste die niederländische Einwanderungsbehörde eine gekürzte Version ihrer DVD herausbringen, damit diese auch im Iran, in dem die Darstellung von nackten Körpern und Homosexualität verboten ist, gezeigt werden kann. Die spanische Regierung hat vergangenes Jahr eine Kampagne ins Leben gerufen, um die Menschen im Senegal fürsorglich über die »Schwierigkeiten bei der Überfahrt und Arbeitssuche in Spanien« aufzuklären. Dabei hatte sie große Probleme, eine Möglichkeit zu entwickeln, den über 60 Prozent Analphabeten in dem Land ihr Anliegen nahe zu bringen. Mit Videos kann man auch diese Menschen erreichen.

So sind die verschiedenen Akteure des europä­ischen Migrationsregimes von der Idee der me­dialen Abschreckung begeistert. Auch andere eu­ro­päische Staaten wollen nun ähnliche Unternehmungen in Angriff nehmen, und die EU zeigt durch die Kofinanzierung des Abschreckungsvideos, dass sie ebenfalls an die Kraft der Bilder glaubt. Die Länder, in denen die Kampagnen stattfinden, lassen sich in der Regel nur durch die Zusage von Entwicklungsgeld für die Zusammenarbeit begeistern. Denn hochqualifizierte Fachkräfte, die für das Herkunftsland von Vorteil wären, sind auch weiterhin in Europa gerne gesehen und nicht die Zielgruppe solcher Kampagnen. Menschen aus ärmsten Verhältnissen hingegen sind für die jeweiligen Staaten ebenfalls eine Belastung. Zudem sind viele Staaten auf die Auswanderer angewiesen. Ihre finanzielle Unterstützung für die daheim gebliebenen Familien übersteigt die gezahlte Entwicklungshilfe bei weitem.

Ob solche Videos Menschen davon abhalten, sich auf die ungewisse und gefährliche Reise nach Europa zu machen, ist fraglich. Die abschre­ckende Wirkung dieser Bilder ist wahrscheinlich ebenso groß wie diejenige der Bilder von Raucherlungen auf Zigarettenschachteln.