Sotschi, ein Wintermärchen

Bevor die Pläne für die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi realisiert werden können, musste erst mal die legislative Grundlage verabschiedet werden: das »olympische« Gesetz. von ute weinmann, moskau

Noch ist in Sotschi keine einzige Me­daille vergeben und die Bauarbeiten im zukünftigen multifunktionalen Olympiapark stehen erst am Anfang. Doch der Gene­raldirek­tor des Organisationskomi­tees »Sotschi-2014«, Dmitrij Tschernyschenko, träumt bereits von der Ausrichtung olympischer Sommerspiele an der russischen Schwarz­meer­küste. Das sei »kein Witz«, teilte er unlängst der Öffentlichkeit mit, man könne nämlich bereits von konkreten Plänen sprechen, die auf Wintersportarten angelegte olympische Infrastruktur im Sinne einer erneuten Bewerbung sommerlich umzurüsten.

Die Ernennung eines Siegers der olympischen Winterspiele 2014 erfolgte allerdings schon jetzt. Denn dass die amerikanische Wochenzeitschrift Time den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum »Mann des Jahres 2007« gekürt hat, ist sicherlich nicht zuletzt auf dessen erfolgreiches Bemühen zurückzuführen, die olym­pischen Spie­le an den eigentlichen Favoriten vorbei nach Russland zu holen. Vor dem Hinter­grund zahlreicher Negativschlagzeilen in diesem Jahr nimmt sich die durch Sotschi erst mög­lich gewordene aufwendige und enorm kostspielige Imagekampagne als besonderes Verdienst um das Ansehen Russlands aus. Und auch wenn es längst wieder in Mode gekommen ist, sich mit Verweis auf die Andersartigkeit Russlands sogar über begründete Kritik aus dem Westen erhaben zu zeigen, so trifft dies bei der Frage um die Anerkennung erbrachter Leistungen keineswegs zu.

Sowohl in Bezug auf die Infrastruktur als auch im sportlichen Bereich steht nun die Bewältigung gigantomanischer Vorhaben an. Die nötige Vorarbeit auf legislativer Ebene wurde erst Anfang Dezember mit der Unterzeichnung von zwei Gesetzen durch Wladimir Putin abgeschlossen. Zum einen wird dadurch der gesamte Sport­bereich reformiert, angefangen bei der erstma­ligen offiziellen Kenntnisnahme der Einkommen von Profisportlern, über die Neuregelung der Arbeit von Sportverbänden, Werbe- und Fernseh­übertragungsrechte, bis hin zur Aufwertung des nationalen Olympischen Komitees, dessen Aufgaben sich deutlich vermehren. Dessen Vorsitzender, Leonid Tjaga­tschow, frohlockte, neben der ausführlichen Festschreibung von Verantwortlichkeiten, vor allem anlässlich der nun Schwarz auf Weiß festgehaltenen Möglichkeit, staatliche Zuschüsse für Sportverbände und sein Komitee zu erhalten. »Wir sind ein Teil der zivilisierten Sportwelt geworden«, lautete sein Fazit.

Zum anderen verabschiedete die Duma Mitte November unter großem Zeitdruck kurz vor den Neuwahlen ein unter Kritikern umstrittenes Gesetz, welches nicht allein alle für Olympia relevanten Details regelt, wie die Erteilung von Visa und Fragen der Werbung, sondern deutliche Eingriffe in einzelne Gesetzesakte erlaubt. Unter anderem legalisiert das »olympische« Gesetz die Beschlagnahmung von Grundstücken und Immobilien zur Vorbereitung der Olympischen Winterspiele innerhalb von sechs Jahren mit Beginn ab Januar 2008.

Nach Ansicht der Vorsitzenden des parlamentarischen Ausschusses für Wirtschaftspolitik, Unternehmertum und Tourismus, Jewgenija Fjodorowa, bleiben »die Rechte der Menschen absolut geschützt«. Allerdings sind die neuen Rechtsnormen derart festgeschrieben, dass sich deren Einhaltung nur garantieren lässt, wenn die betroffenen Eigentümer und Pächter sich mit der erstbesten Abfindung zufrieden geben. Das verabschiedete Gesetz gewährt anstatt der ursprünglich vorgesehenen 30 Tage zwei Monate Zeit, innerhalb derer die Zustimmung zu einem Ersatzgrundstück oder aber zu einer finanziellen Entschädigung erfolgen muss. Deren Höhe soll sich zwar am Marktwert orientieren, aber die Ermittlung bleibt Gutachtern vorbehalten, die der Staatskonzern »Olympstroj« unter Leitung des vormaligen Präsidenten des Ölpipeline-Betreibers Transneft, Semjon Weinstock, beauftragt. Eine Möglichkeit zur Anfechtung vor Gericht ist zwar theoretisch vorgesehen, bringt dem Kläger jedoch erfahrungsgemäß nur Ärger ohne finanziellen Nutzen ein.

Wohnraum entwickelt sich in Sotschi indes zu einem immer kostbareren Gut. Der Quadratmeterpreis bewegt sich im Schnitt auf 4 000 Euro zu, für eine Zweizimmerwohnung muss man mit bis 200 000 Euro rechnen, für drei Zimmer gar mit 420 000. Für einige Familien, die Anfang der neunziger Jahre aus dem benachbarten Abchasien nach Sotschi geflüchtet waren und nun per Gerichtsbeschluss aus ihren provisorischen Wohnungen ausgewiesen wurden, sind solche Preise unerschwinglich. Mit der Olympiade hätten die Ausweisungen nichts zu tun, behauptet Walerij Sutschkow, »Experte« für Wohnraumfragen. Die Anwohner jedoch sind sich sicher, dass die schäbigen Häuser weichen mussten, damit an der Stelle eine Eliteferiensiedlung einschließlich exklusivem Jachtklub entstehen kann. Auftraggeber dafür sei Oleg Deripaska, der sich über seine Holding »Basiselement« mit zwei Milliarden Dollar an den Investitionen für den Aufbau der olympischen Infrastruktur beteiligt.

Diese beansprucht so viel Raum, dass auch von dem Naturpark in Sotschi wenig übrig bleiben wird, befürchten Umweltschützer. Nicht immer bleibt es bei verbalen Anklagen. Unlängst verhängte ein Gericht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren gegen einen Bewohner des Kurortes. Dieser zündete im Frühjahr zwei Sprengsätze aus Protest gegen die steigende Anzahl von Bau­projekten in der Stadt und die aus dem Bauboom resultierenden unumkehrbaren ökologischen Folgen für die Region.

Menschen mit echtem Sportsgeist stufen solche Vorfälle jedoch in die Kategorie Nebenwirkungen ein. Schließlich geht es um olympisches Gold. Vierzehn Goldmedaillen für Russland seien durchaus realistisch, befindet der Beiratsvor­sitzende des für die Vorbereitung der Spiele zuständigen Olympiakomitees, Alexander Zhukow. In Turin waren es nur acht, und drei davon fielen auf die vormals sowjetische Domäne Eiskunstlauf. Um den Zustand der einstigen Paradedisziplin ist es derzeit allerdings nicht wirklich gut bestellt, der Triumph bei den letzten Spielen wird sich kaum wiederholen las­sen. Die bisherigen Stars sind in den Profi­sport abgewandert und die Trainingsbedingungen sind zumindest außerhalb der klassischen Eiskunstlaufzentren St. Petersburg und Moskau alles an­dere als optimal.

Für die anderen Wintersportarten bewirbt sich die Region Khanty-Mansijsk im Nordural, die bislang vor allem für den Biathlon interessant war. Der Gouverneur Alexander Filipenko möchte, dass die Region offizielle Trainingsbasis für die Vorbereitungen zu den Winterspielen wird. Den Zuspruch für die Ausrichtung der Schacholympiade 2010 hat sie bereits erhalten.

Aber selbst wenn es mit der neuen Sportförderung und dem russischen Nachwuchs nicht ganz nach Plan laufen sollte, bleibt immer noch der Weihnachtsmann. Dieser soll nämlich im Winter 2014 nach Wunsch der Regierung des Ge­bietes Wologda eine moderne Residenz an der Schwarzmeerküste beziehen, obwohl er ansons­ten eher nördliche Gefilde bevorzugt. Der geplante »Themenpark« soll sich an russischen Märchen orientieren, aber den Vergleich mit Disneyland nicht scheuen.