Divide et impera

Ethnische Zuordnungen spielen eine wichtige, auch wahltaktische Rolle im kenianischen Machtkampf. Die Ethnisierung ist jedoch vor allem ein Mittel der klientelistischen Interessenpolitik. von Maria Njema

Die Frage nach der ethnischen Dimension der Gewalteskalation in Kenia wurde von westlichen Medien schnell beantwortet: Begriffe wie »Axt«, »Machete« und »Steppenbrand« erinnern sehr direkt an so genannte ethnische Säuberungen und Massaker in Ruanda und andernorts. Der Rückgriff auf derlei Begriffe mag als Appell gegen das Wegsehen wirksam sein. Für eine Erklärung der Rolle, die der ethnische Faktor bei der Gewalt dieser Tage in Kenia spielt, taugt er nicht. Immerhin wird Kenia in der internationalen Bericht­erstattung diesmal einigermaßen ausführlich behandelt. Das war Ende 1992 nicht so. Damals gab es im Zusammenhang mit der ersten Wahl eines Mehrpar­teien­parlaments über 1 500 Tote und 300 000 Binnenflüchtlinge, Vertriebene im eigenen Land.

Von Aufwieglern unterschiedlicher ethnischer Herkunft ausgelöste Unruhen hat es in Kenia seither bei jeder Wahl gegeben. Insofern stimmt es, wenn der amtierende Präsident Mwai Kibaki sagt, Kenia sei daran gewöhnt. Für die Betroffenen sind diese Worte eine Demütigung. Auch klingt Kibakis Aufforderung, die Gewalt einzustellen, wenig überzeugend. Schließlich rief er vor fünf Jahren selbst dazu auf, mit Waffen gegen die Söldner Mois vorzugehen. Unter seinem Vorgänger Daniel Arap Moi waren – wie auch dieser Tage – besonders viele Gikuyu Opfer von gewaltsamen Vertreibungen geworden. Kibaki ist Gikuyu, und wieder trifft es seine Gruppe, obwohl Moi ihn bei der jetzigen Wahl unterstützt hat. Die Anhänger seines Herausforderers Raila Odinga, der als Luo einer anderen Gruppe zugerechnet wird, sind keineswegs allerorts an den Gräueltaten beteiligt. Wie passt das zusammen? Welche Rolle spielt der ethnische Faktor tatsächlich bei der Wahl und der eskalierenden Gewalt?

Bereits im Januar 2007 wurden im Sabaot-Distrikt 50 Menschen bei Unruhen getötet. Bis zum September waren allein hier 45 000 Menschen geflohen. Der Distrikt in Westkenia war von Präsident Moi wenige Monate vor der ersten Mehrparteienwahl 1992 neu geschaffen worden. Auf Heimaturlaub geschickte Militärs hatten geholfen, die Bukusu (eine Luhya-Gruppe) aus dem Gebiet zu vertreiben. Hütten brannten, die Zahl der Toten stieg von Tag zu Tag. Die politische Strategie der von der Staatsmacht angezettelten ethnischen Unruhen ging auf: Moi sicherte sich die Mehrheit in dem neuen Wahlbezirk. Auch andere Wahl­bezirke, insbesondere im dieser Tage unruhigen Rift Valley, wurden seit 1992 von potenziellen Gegnern »bereinigt«. Polizei und Militär spielten vielerorts eine aktive oder gewollt inaktive Rolle.

Um Präsident zu werden, braucht man in Kenia nicht nur die Mehrheit der Stim­men im Land, sondern muss auch 25 Prozent der Wähler in fünf von acht Provinzen für sich gewinnen. Der neue Sabaot-Distrikt verhalf Moi 1992 ebenso wie die Spaltung der Opposition in zwei Lager zu seiner Wiederwahl mit insgesamt nur 36 Prozent der Stimmen.

Erst vor einigen Monaten wurde in Nakuru, das im Zentrum der gegenwärtigen Unruhen liegt, ein neuer Distrikt geschaffen. Kurz darauf zählten Hilfsorganisationen hier 15 000 Flüchtlinge und mehrere Dutzend Tote. Am 2. Januar wurde ein Politiker ermordet. Die Neuschaffung von Distrikten vor Präsidentschaftswahlen ist heikel, und Kibakis Ignoranz ist allzu offensichtlich. Wenn Kenias Machthaber neue Wahlbezirke schaffen und Vertreibungen billigen, so beabsichtigen sie damit eine exakte Zuordnung einer umgrenzten Gemeinschaft zu einem fixen Ort. Mit der Ethnisierung will man sich wahltaktische Vorteile verschaffen.

Bereits der erste kenianische Präsident, Jomo Kenyatta, sicherte sich seine Macht mittels Stärkung ethnischer Strukturen. Statt eines Vizepräsidenten bestellte er acht Stellvertreter. Drei von ihnen galten wie er als Gikuyu, die in Anbetracht der rund 40 ethnischen Gruppen in Kenia ein beträchtliches politisches Übergewicht erhielten. Auch die Umgestaltung der kolonialen Bodenbesitzverhältnisse verlief zu ihren Gunsten: Die weißen Siedler hatten vor allem Nomaden aus der Zentralprovinz vertrieben, statt der verarmten Plantagenarbeiter erhielten jedoch vorzugsweise die Getreuen Kenyattas große Ländereien. Damit fiel die ökonomische und die politische Macht in die Hände reicher Nepoten. Ken­yattas Nachfolger Moi, ein Kalenjin, setzte diese Praxis der Landvergabe nach ethnischen Gesichtspunkten an loyale Politiker fort. Das gilt für Kibaki nicht minder, der mit dem Versprechen an die Macht kam, die Korruption abzuschaffen.

Das Vertrauen in ihn ist daher nicht erst seit dem jüngsten Wahlbetrug erschüttert. Großes Misstrauen wurde bereits 2005 bei einem Referendum zur Verfassungsänderung geäußert. Eine überwältigende Mehrheit stimmte damals gegen die Novelle, welche die alte und streng am britischen System orientierte Staatsordnung von 1963 ablösen sollte. Mit der Ablehnung dieser längst überfälligen Reform wendeten die Kenianer sich nicht zuletzt gegen die autokratischen Strukturen des Regierungsapparats. Die weitreichenden Machtbefugnisse Kibakis wären in der neuen Verfassung nämlich nicht beschnitten worden.

Diejenigen, die nun im Westen von einem bisher »stabilen Kenia« sprechen, denken vermutlich an diese Machtbefugnisse, die zuweilen mit den eigenen politischen Interessen korrespondierten. Relativ »stabil« wirkt das Land angesichts der Konflikte in den angrenzenden Ländern Somalia, Äthiopien, Sudan und Uganda, im Kongo und in Ruanda.

Tatsächlich ist Kenia ein infrastrukturelles Zentrum für die gesamte Region. Die Organisation der Nothilfe wie auch Militäreinsätze in angrenzenden Krisengebieten erscheinen ohne kenianische Unterstützung ebenso unmöglich wie die wirtschaftliche Nutzbarmachung und Versorgung eines großen Teils Ostafrikas. Damit betrachtet der Westen das Land als geopolitisch unverzichtbar und hat schon unter Moi so manches Unrecht schweigend hingenommen. Die vermeintliche »Stabilität« ist jedoch herbeigeredet. So verschwieg ein von der Uno 1992 finanziertes Programm zur Reintegration der 300 000 Binnenflüchtlinge, das sich einer engen Zusammenarbeit mit der kenianischen Regierung rühmte, seine Misserfolge. Die Statistiken über die Anzahl der reintegrierten Familien wurden beschönigt, und über die aktive Behinderung eines Aussöhnungsprozesses seitens der Regierung wurde kein Wort verloren. Statt Ursachen und Verursacher der Vertreibungen zu benennen, wurden Erfolgsberichte vorgelegt, mit denen Kenia bei den internationalen Gebern hausieren gehen konnte. Die Reintegration jedoch scheiterte. Nach Angaben des kenianischen Flücht­lingsrats gab es zehn Jahre später, im Dezember 2002, bereits wieder 355 368 Binnenflüchtlinge.

Kenia ist seit seiner Unabhängigkeit 1963 von Klientelismus, politischen Morden und Folterungen politischer Gegner, Korruption und einer immensen sozialen Ungleichheit geprägt. Von Odinga erhofften sich viele Arme und insbesondere junge Menschen ein Ende des autokratischen Systems der alten Politikerklasse. Die gewalttätigen Unruhen in Kenia sind das Ergebnis einer ambivalenten Mischung aus aufgestauter Wut, Angst, Ohnmacht und der teilweise taktischen Instrumentalisierung ethnischer Konflikte.