Ohne Risiko macht’s keinen Spaß
Was wird aus den weltweit 120 000 Angestellten der französischen Geschäftsbank Société Générale (SocGen), falls der Laden pleite geht? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit nicht nur die Hauptbetroffenen, sondern auch die französische Staatsmacht macht sich darüber Gedanken. Um ihren Arbeitsplatz fürchtend, nahmen Angestellte am Donnerstag vergangener Woche an einer Kundgebung zur Unterstützung ihrer Direktion im Pariser Geschäftsvorort La Défense teil. Gleichzeitig zeigten sich Präsident Nicolas Sarkozy und seine Regierung über einen möglichen Aufkauf der SocGen besorgt. Diese soll vor allem nicht in die Hände von Aufkäufern außerhalb Frankreichs, ja außerhalb der Europäischen Union fallen.
Nicolas Sarkozys Redenschreiber Henri Guiano, der dem traditionell gaullistischen und staatsinterventionistischen Flügel der französischen Rechten angehört, kündigte am selben Tag an, die öffentliche Hand werde notfalls zum Schutz der Bank eingreifen. Sollte die SocGen von »irgendeinem Räuber« übernommen werden, werde man intervenieren.
Dies bezieht sich offenkundig vor allem auf außerfranzösische Aufkäufer, denn einem möglichen Übernahmeversuch der mit der SocGen konkurrierenden, französischen Geschäftsbank BNP-Paribas stehen zumindest andere Präsidentenberater nicht ablehnend gegenüber. In der Sonntagsausgabe der Boulevardzeitung Le Parisien antwortete etwa Claude Guéant, Generalsekretär des Staatspräsidenten, auf die Frage nach einem möglichen Aufkauf der SocGen durch die BNP-Paribas: »Es liegt an der Société Générale, sich hinsichtlich ihrer Zukunft klar zu werden. Soll sie allein aus der Krise herausfinden oder indem sie sich mit einer anderen Bank zusammenschließt? Es liegt am Vorstand, dies zu entscheiden. Es liegt auch am Markt, ihr Zeichen zu geben. Für die öffentliche Hand steht eines fest: Eine freundliche Übernahme ist besser als ein feindlicher Aufkaufversuch, von welchem Finanzinstitut auch immer er ausgeht.«
Die BNP-Paribas hatte bereits im Jahr 1999 einen Übernahmeversuch unternommen und war letztlich gescheitert. Nun ist aber die SocGen plötzlich an der Börse nur noch halb so viel wert wie ihre große Konkurrentin.
Aber warum wird die Société Générale von einer schweren Krise heimgesucht? Glaubt man der offiziellen Version, so ist ein Mann daran schuld – ein junger Mann, der hoch hinaus wollte und sich dabei überschätzte. Er bewegte riesige virtuelle Geldmassen, und am Schluss wurde er unter ihnen begraben. »Dieser Betrüger, dieser Gauner, dieser Terrorist«, tönte David Bouton, der Vorstandsvorsitzende der Bank, die den 31jährigen Jérôme Kerviel bis vor wenigen Wochen beschäftigte.
50 Milliarden Euro hatte der Trader im Namen der drittgrößten französischen Bank Anfang des Jahres riskiert. Bei riskanten Börsenoperationen spielte er mit einem hohen Einsatz, der das Eigenkapital der SocGen – je nach Angaben 24 respektive 30 Milliarden Euro – bei weitem überstieg. Er habe darauf gehofft, dass nach dem Börseneinbruch – der in den ersten Wochen dieses Jahres durch die Ausläufer der sich aus den USA bis nach Europa ausbreitenden Subprime-Krise verursacht wurde – damit zu rechnen sei, dass die Märkte schnell wieder anzögen und er daraus Gewinn schlagen könne. Dies hatte Kerviel den Ermittlern erklärt, die ihn vom 26. bis 28. Januar vernahmen, bevor sie ihn unter Justizaufsicht wieder auf freien Fuß setzten.
Als Ergebnis der Krise gab die Direktion bekannt, dass sie einen Verlust von 7,1 Milliarden Euro gemacht habe. Davon resultierten 4,8 Milliarden aus den riskanten Operationen ihres Traders Kerviel und 2,2 Milliarden aus der Abwertung von Wertpapieren infolge der Subprime-Krise.
Die Direktion der Bank behauptet, niemand habe von den riskanten Ankaufs- und Verkaufsgeschäften gewusst, die ihr Angestellter Kerviel auf eigene Faust getätigt und mit denen er seinen Arbeitgeber gefährdet habe. Durch sein Geschick gelang es Kerviel, sich vor den internen Kontrolleuren – 2 000 an der Zahl – zu verbergen. Erst als es zu spät war, wurde man der gefährlichen Geschäfte, die der Trader im Namen seiner Bank getätigt hatte, gewahr. Kerviel hatte sein Tun geschickt verborgen, indem er jede Aktion durch einen anderen Schritt in gegenläufiger Richtung tarnte. Wenn er einen Ankauf über eine Milliarde Euro tätigte, so gab er zugleich eine Verkaufsoperation in derselben Höhe oder in einer geringfügig abweichenden Höhe in den Computer ein. Da die Kontrollen nur den Gesamtsaldo der Operationen überprüfen und nicht jeden einzelnen Vorgang, der Umfang beider Geschäfte zusammengenommen aber nahezu bei Null lag, konnten die riskanten Operationen nicht aufgedeckt werden. Nur, dass eine der beiden Aktionen real getätigt wurde, die andere aber fiktiv war, da ihr keine Deckung gegenüber stand, und folglich später annulliert wurde.
Wesentlich wahrscheinlicher als die offizielle Version ist, dass Jérôme Kerviel Recht hatte, als er – wie sich aus dem am vorigen Donnerstag in Le Monde abgedruckten Vernehmungsprotokoll ergibt – gegenüber den Ermittlern ausführte: »Solange ich im positiven Bereich bin, verschließen meine Vorgesetzten die Augen vor der Art und Weise sowie dem Umfang der getätigten Operationen. Mit einer normalen Aktivität hätte ein Trader niemals so viel Cash erzeugen können.« Und: »Ich erzeugte Cash, also waren die Signale nicht so alarmierend. Solange wir gewinnen und solange es nicht gar zu auffällig ist, wird nichts gesagt.«
Es ging dabei aber in Wirklichkeit nicht, oder nicht unmittelbar, um persönliches Gewinnstreben des Traders, sondern höchstens um das Gewinnstreben der Bank. Denn die Profite aus seinen Operationen strich Jérôme Kerviel nicht in seinem eigenen Namen ein – sie gingen vielmehr an die Bank, für die er arbeitete, solange alles gut ging. Allenfalls mittelbar, über den Bonus, der nach seinen Leistungen beziehungsweise seinem Erfolg bemessen wird, konnte der Trader auf eine materielle Belohnung seiner Spekulationsaktivitäten hoffen. So schlug er für das Jahr 2007 einen Bonus in Höhe von 300 000 Euro heraus. Nachdem er 600 000 Euro gefordert hatte, genehmigte die Bank ihm die Hälfte davon aufgrund seiner Geschäftserfolge.
Kerviel ging es vermutlich tatsächlich in erster Linie darum, sich zu beweisen. Von seinen Kollegen eher geringgeschätzt, da er nicht denselben Studien- und Karriereweg eingeschlagen hatte wie sie selbst, versuchte er krampfhaft zu beweisen, dass ein Finanzgenie in ihm schlummere. Er hatte einen Studiengang an der Universität Lyon absolviert, in dem normalerweise eher Finanzkontrolleure ausgebildet werden als die im Anlagegeschäft tätigen Trader. Während seiner ersten Jahre im Dienste der SocGen hatte Kerviel auch tatsächlich als Kontrolleur gearbeitet, bevor er selbst zum Trader wurde. Da er unter seinen früheren Arbeitskollegen viele Freunde und Bekannte behielt, die ihn angeblich regelmäßig über den Austausch von Passwörtern unterrichteten, hatte er es relativ leicht, sich den Kontrollen zu entziehen.
Doch gibt der aus der Bretagne stammende junge Mann in dem Vernehmungsprotokoll an, E-Mail-Anfragen von Geschäftspartnern hätten die Bank spätestens im Laufe des vergangenen Jahres auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam machen müssen. Tatsächlich fragen die Kunden oder Partner bei Wertpapiergeschäften ab einer gewissen Höhe erst einmal bei der Bank an, ob sie bereit ist, Risiken in einem solchen Umfang einzugehen. Seitens der Direktion habe man diese aber nicht sehen mögen. Auch hätte es der Bank, so Kerviel, unangenehm auffallen müssen, dass er sich standhaft weigerte, Urlaub zu nehmen: »Das ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass ein Trader sein Book nicht einem anderen überlassen will.« Er hätte also Misstrauen erregen müssen.
Am Wochenende bestätigte die Boulevardzeitung Le Parisien, dass die Ermittler inzwischen davon ausgingen, dass die Bank ziemlich systematisch die Augen vor den von Kerviel geschaffenen Risiken verschlossen habe. Sie hätten den Leiter der Berufsethik-Abteilung der Bank, Xavier de la Maisonneuve, vernommen, welcher tatsächlich im November vergangenen Jahres durch zwei E-Mails von Kunden der Spekulationsgeschäfte Kerviels in Deutschland gewarnt worden war. De la Maisonneuve gab an, er habe lediglich die Erklärungen Jérôme Kerviels angehört und ihnen Vertrauen geschenkt. Eine etwas leichte Erklärung, befindet nicht nur Le Parisien.
Dafür, dass es zahlreiche Mitwisser gab, sprechen auch manche »merkwürdigen« Aktienverkäufe, die den Kurssturz der SocGen-Aktie ab dem 14. Januar hervorriefen – vier Tage, bevor die Bank am 18. Januar die Unregelmäßigkeiten in den Aktivitäten ihres Traders erstmals entdeckte. Ein Verband von Kleinaktionären arbeitet deswegen an einer Klage gegen das Management der Bank. Er ist davon überzeugt, dass hinter den Kulissen so mancher Beteiligte wusste, was sich abspielte.