Lieber mal ’ne Nase

Der Heimanbau von Cannabis nimmt zwar zu. Doch »schnelle« Drogen werden in Deutschland immer beliebter, wie der Jahresbericht des International Narcotics Control Board feststellt. Vom »Koma­saufen« unter Jugendlichen spricht die ­Organisation nicht. von daniel steinmaier

Philipp* sitzt auf einem kleinen Schemel und beschneidet Cannabis. »Bei 80 Pflanzen ist das Arbeit«, sagt er stöhnend. Mit seinem Mitbewohner hat der 22jährige Medizinstudent einen Raum im Dachboden zum »Grow-Room« umfunktioniert. Die Speziallampe wird von einer Zeituhr gesteuert. Die Entlüftungsanlage verfügt über einen Ak­tivkohlefilter, damit vom Gestank im Dach­boden nichts nach außen dringt. Mit dem Grasanbau finanziert Philipp sein Medizinstudium, sein Mitbewohner bessert sich sein Arbeitslosengeld auf. »Das Zeug verkauft sich ja wie von selbst«, sagt Philipp.

Der junge Mann liegt im Trend, der Heim­an­bau von Cannabis ist beliebt. Das geht nicht nur aus den Einträgen in den Internetforen der »Home­­grow«-Gemeinde hervor, aus denen auch Philipp sein Wissen über Licht- und Dunkelphasen, Schäd­­­lingsbekämpfung und den Bau von Abluftanlagen bezieht. Auch das International Narcotics Con­trol Board (INCB), das jedes Jahr über internationale Tendenzen der Drogenherstellung, des Konsums, des Schmuggels und der Bekämpfung Auskunft gibt, berichtet, dass in Deutschland der Anbau der harzigen Blüten seit 2002 zunimmt, seit dem Jahr, in dem die Hartz-Kommission gebildet wurde.

Seitdem entdeckt die Polizei immer häufiger Cannabis-Plantagen. Philipp aber fühlt sich sicher: »Über die Stromrechnung kriegen sie uns jedenfalls nicht.« Die Lampen benötigen viel Strom, hohe Rechnungen gelten als verdächtig. Deshalb zapfen die meisten Züchter ihren Strom irgendwo möglichst unauffällig ab. Weil durch unprofes­sionelle Verkabelung ab und an Brände entstehen, ist es oft die Feuerwehr, die die Grasbauern denunziert. Philipp aber schwört auf die Sicherheit seiner Kabel: »Mein Kumpel ist Elektriker.«

Er hat seine Ausrüstung auch nicht online bestellt. Vor allem nicht bei »Catweazel« – einem »Growshop« für »Gewächshausbedarf«, dessen Kundenverkehr monatelang von der Polizei observiert wurde, die dann im Januar in einer groß angelegten Razzia zwei »Profiplantagen« mit mehr als 1 000 Cannabispflanzen, neun »Großplantagen« mit mehr als 100 Pflanzen und 66 Hobbybauern aufspürte.

Nach Ansicht des »Deutschen Hanfverbands« (DHV) war dies kein »bundesweiter Schlag gegen die Rauschgiftkriminalität«, wie die Polizei verlauten ließ, sondern ein »guter Tag für die Mafia«. Denn das Gras der deutschen Dachbodenbauern sei viel gesünder als das der mafiösen »Drogendealer«. Diese brachten im Raum Leipzig in den vergangenen Monaten anscheinend mit Bleisulfid gestrecktes Marihuana auf den Markt, mehr als 100 Kiffer sollen sich bereits Bleivergiftungen eingehandelt haben. Wer unter Übelkeit, Ver­stop­fung, krampfartigen Bauchschmerzen und moto­rischen Störungen leidet, hat unter Umständen nicht nur zu viel gekifft. Über längere Zeiträume hinweg führt der Bleikonsum – den Folgen des dauerhaften THC-Konsums nicht unähnlich – zu Gedächtnisverlust und »Bleidemenz«. Entweder man tut das als Kifferparanoia ab, oder man sieht darin gute Gründe für Ökogras.

Außerdem, so der DHV, entzögen die Heimanbauer dem kriminellen Schwarzmarkt ihr Geld, da sie ihren Eigenbedarf selbst anbauten. Philipp produziert aber gar nicht für den Eigenbedarf. Der angehende Mediziner mit dem akkuraten Sei­tenscheitel behauptet, er selber rauche nicht. »Ich ziehe lieber mal ’ne Nase«, sagt er. Kiffer wür­den immer nur »von Plantagen träumen«, bekämen aber »doch nichts auf die Reihe«. Außerdem seien Kiffer zu paranoid. »Wenn der Pizza­mann klingelt, denken die jedes Mal, die Polizei ist da«, behauptet Philipp. Früher sei es vielleicht mal cool gewesen, »auf dem Pausenhof Dope zu rauchen«. Aber heutzutage sei Kiffen »echt vorbei«, urteilt der junge Mann.

Auch diese Tendenz bestätigt der neue Jahresbericht des INCB. Nachdem über ein Jahrzehnt hinweg der Konsum von Cannnabis in Westeuropa stieg, stagnierte im Jahr 2007 der Verbrauch oder ging sogar zurück. Hatten im Jahr 2004 in Deutschland noch 22 Prozent der 13- bis 17jährigen zumindest einmal Haschisch oder Marihuana geraucht, waren es 2007 nur noch 13 Prozent.

Stattdessen werden häufiger »schnelle Drogen« entdeckt. Die Menge konfiszierten Kokains stieg in Deutschland zwischen 2005 und 2006 um 59 Prozent. Auch finden deutsche Fahnder seit 2005 beständig mehr Amphetamine. Koks macht unglaublich selbstbewusst, Speed macht unglaub­lich schnell. Koksnasen und Speedschnupfer kom­men dem Leitbild der Leistungsgesellschaft eben näher als dröge, verpeilte Kiffer.

Dass Kiffen wegen der verstärkt propagierten Leistungsideologie aber so »out« wird, dass sich Philipp einen Studentenjob suchen muss, glaubt er selbst nicht: »Die richtigen Kiffer bleiben dabei.« Nach dem Report des INCB ist Cannabis nach wie vor die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Westeuropa. Der Prozentsatz derjenigen, die regelmäßig kiffen, nimmt nicht signifikant ab.

Das ist kein Wunder. Dass der Cannabis-Wirkstoff THC nicht abhängig machen kann, behaupten nur diejenigen, die vor dem Frühstück zuerst eine Bong rauchen, oder linke Hedonisten, die das Thema Sucht eher für Propaganda des Staats hal­ten, der den Bürgern ihren verdienten Rausch ver­miesen wolle. Auf der anderen Seite stehen die­jenigen Linken, die den Konsum von Drogen als bloße Kompensationshandlung für das Darben in der schlecht eingerichteten Gesellschaft erachten und meinen, mit protestantischer Enthaltsamkeit das wahre Leben im Falschen demonstrieren zu können. Aber jenseits der Kreise, in denen sich alles um Dope oder alles um Abstinenz dreht, ist der Irrsinn der Drogenpolitik kein Thema.

Das INCB beobachtet aber nicht nur, sondern mischt sich auch in die Drogenpolitik ein. Im Jahresbericht kritisiert es zwar, dass die meisten Staaten die Konsumenten unangemessen hart bestraften und die Profiteure des Drogenmarkts dagegen laufen ließen. Ansonsten aber fordert die Organisation harte Repression.

So verlangt sie von den deutschen Behörden, die »Druckräume« zu schließen, die in manchen Bundesländern den Konsum von Heroin unter medizinischer Aufsicht ermöglichen. Dass die Be­hörden dem illegalen Drogenkonsum in den »Fixerstuben« untätig zusähen, verstoße gegen die drei UN-Konventionen, die der Arbeit des INCB zugrunde liegen. In der Übereinkunft haben sich die Unterzeichnerstaaten zur konsequenten Straf­verfolgung verpflichtet.

Dass die »Druckräume« zumindest nach Angaben ihrer Befürworter schon etliche Heroinkonsumenten vor der Überdosis bewahrt haben, über­zeugt das INCB nicht, auch wenn die neuen Zahlen zeigen, dass die Heroinfunde der deutschen Fahnder von 2005 auf 2006 um zwölf Prozent zugenommen haben. Jedoch erfreut sich in Deutschland das Rauchen von Heroin vermittels Strohhalm und Alufolie zunehmender Beliebtheit. Das ist angeblich ungefährlicher als die Injektion. Von verantwortungsvollem Risikomanagement kann man aber dennoch nicht spre­chen.

Neben dem zunehmenden Drogenanbau in Afghanistan machen den Drogenbeobachtern die Internetapotheken sorgen. Dort bekommt man etwa Diazepam, das Benzodiazepine enthält. Dieser Stoff sorgt nach Zahlen aus dem Jahr 2000 in entwickelten Gesellschaften bei rund vier Prozent der Bevölkerung zuverlässig für gute Laune, tiefen Schlaf und soziale Verträglichkeit, jedenfalls solange die Pillen regelmäßig eingenommen wer­den. Wer mit dem Konsum aufhört, bekommt un­ter Umständen die psychotischen Angst­zu­stän­de, gegen die das Medikament eigentlich entwickelt wurde. Hat man diese Symptome, findet man aber wohl auch irgendeinen Arzt, der die benötigte Dauerdämpfung ganz legal verschreibt.

Um Alkohol geht es im INCB-Bericht nicht. Obwohl Alkohol, wie Leute wie Philipp gerne betonen, natürlich »viel schlimmer« sei als das von ihnen angebaute Gras. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist das »Komasaufen« gerade unter den Jüngsten wieder in Mode, die angesichts forcierter Disziplinierung durch »Turbo-Abitur« und Nachhilfestunden gerne ab und an über die Stränge schlagen. Zur Kompensation möglicherweise auftretender Konzentrationsprobleme gibt es dann notfalls Ritalin vom Kinderarzt. Diese dem Amphetamin ähnliche Leistungsdroge bekommen nach Angaben des Sigmund-Freud-Instituts in Deutschland etwa 150 000 Kinder gegen Aufmerksamkeitsdefizite und Hyperaktivität verabreicht.

*Name von der Redaktion geändert