Gespräch mit Marc Willers, Rechtsanwalt und Mitglied von Friends, Families and Travellers

»Es geht zu wie auf dem Pferdemarkt«

Die britische Organisation Friends, Families and Travellers bemüht sich um das Ende von Rassismus und Diskriminierung gegen Gypsies und andere so genannte Travellers. Immer wieder werden Lagerplätze von Gypsies von den lokalen Behörden geräumt, obwohl die britische Regierung dazu aufgefordert hat, den Gypsies genügend Flächen zur Verfügung zu stellen. Marc Willers ist Rechtsanwalt in London und vertritt seit Jahren die Rechte von Gypsies, Asylbewerbern und Flüchtlingen in Großbritannien. Zusammen mit Chris Johnson hat er das Buch »Gypsy and Traveller Law« verfasst.

Vor drei Jahren titelte The Sun »Zerschlagt die Lager« und heizte damit die Stimmung gegen Gypsies in Großbritannien auf. Hat sich diese Hysterie heute gelegt?

Eine derart konzertierte Kampagne wie damals gibt es heute nicht. Doch die meisten Artikel, die in der lokalen und überregionalen Presse über Gypsies und andere Travellers erscheinen, beschäftigen sich mit den kriminellen Handlungen dieser Leute, beispielsweise heißt es, dass sie ihren Müll nicht wegräumen würden, wenn sie ihre Lager verlassen, oder Nachbarn einschüchtern würden, die sich dann verängstigt an die Presse wenden. Die betroffenen Gypsies kommen dabei nur selten zu Wort.
Über sauber zurückgelassene Stellen, an denen Gyspies sich aufgehalten haben, oder über Lager, die nicht von der öffentlichen Hand subventioniert werden, und solche, die von den Nachbarn akzeptiert werden, wird kaum berichtet. Diese netten Nachbarn rufen aber auch nicht bei den Zeitungen an, und die Presse wiederum bedient lieber den Rassismus vieler Leute, weil sich das besser verkauft.

Wen genau bezeichnet eigentlich der Begriff »Traveller«?

Das ist eine heiße Angelegenheit. Die ganze Frage, wer sich eigentlich Traveller nennen darf, wird sehr kontrovers diskutiert. Die Gypsies sind offiziell als Travellers anerkannt und beanspruchen die Bezeichnung Gypsies für sich alleine. Vor noch nicht allzu langer Zeit war das nicht der Fall, da haben sich Gypsies nur als Travellers bezeichnet, weil mit der Bezeichnung Gypsies zu viele Vorurteile verbunden waren und sie sich dadurch einer stärkeren Diskriminierung ausgesetzt sahen. Doch die Zeiten haben sich geändert, nun sind viele Gypsies stolz auf ihre Herkunft und bezeichnen sich dementsprechend. Die früher als Tinker bekannten irischen Travellers sind ebenfalls als solche anerkannt. Beiden Gruppen wird also aufgrund ihrer traditionellen Kultur eine bestimmte Lebensweise zugestanden, deren freie Ausübung, nach europäischem Recht, von der Landesregierung gewährleistet sein muss.
Anders verhält es sich mit den so genannten New Travellers, also Leuten, die sich ganz ohne traditionellen Hintergrund entweder freiwillig für diese Wohnform entschieden haben, oder – und das ist die größte Gruppe der New Travellers – Leuten, die aufgrund ihres Berufs viel auf Reisen sind und deshalb in Wohnwagen leben, wie beispielsweise Bauarbeiter oder Landarbeiter.

Zählen Sie als Anwalt, der ja auch viel auf Reisen ist, dann auch zu den Travellers?

Nun, ich würde mich nicht so bezeichnen, aber natürlich bin ich ein Traveller. Ich möchte nur lieber in einem Haus wohnen.
Ich vertrete als Rechtsanwalt sowohl die ­Gypsies und die irischen Travellers als auch die New Travellers. Tatsächlich machen sich die Richter manch­mal darüber lustig, dass auch ein Anwalt als Traveller gelten könnte, dem bestimmte Rechte zugestanden werden müssen, die andere nicht haben. Aber ich gestehe jedem das Recht zu, sich als Traveller zu bezeichnen, der in einem Wohnwagen leben will, ob aus traditionellen oder anderen Gründen.

Seit einigen Wochen sind die Gypsies wieder verstärkt in den Schlagzeilen. Ende März haben in Shipston-on-Stour einige Familien ihre Wohnwagen auf einem zuvor von ihnen gekauften Grundstück ohne Baugenehmigung aufgestellt.

Die Bevölkerung ist völlig aus dem Häuschen, denn die Gypsies haben angefangen, ihre Situation selbst in die Hand zu nehmen. Da von den lokalen Behörden nicht genügend Flächen zur Verfügung gestellt werden, auf denen die Gypsies sich übergangsweise aufhalten können, sind sie dazu übergegangen, selbst Land zu kaufen.
Die von den örtlichen Behörden zur Verfügung gestellten Grundstücke liegen meistens irgendwo abseits, an Autobahnauffahrten oder neben Mülldeponien. Kaufen die Gypsies selbst Land, liegt das meist in einer hübscheren Gegend. Doch in den meisten Fällen wird ihnen keine Baugenehmigung erteilt, daher stellen sie eben ohne Baugenehmigung ihre Wohnwagen auf ihr Land. Aber das passiert quasi täglich in ganz Großbritannien. Shipston-on-Stour ist nur deshalb in die Schlagzeilen geraten, weil einer der Nachbarn der Ex-Mann der ehemaligen Kulturministerin Tessa Jowell ist.

Der wohl prominenteste und größte Platz für Travellers in Großbritannien ist die Dale Farm in Essex. Über die Räumung dieses Geländes wird derzeit vor Gericht verhandelt.

Ja, dort leben etwa 60 bis 80 irische Travellers seit Jahren ohne Baugenehmigung. Die lokalen Behörden wollen die Familien vertreiben, doch die haben dagegen Klage erhoben. Sollten sie verlieren, werden sie nichts von dem zurückerhalten, was sie in diesen Ort investiert haben, ihre Kinder werden sich wieder eine neue Schule suchen müssen und die Eltern eine neue Arbeit.

Wie hoch ist die Quote derer, die im Nachhinein eine Baugenehmigung für ihre Wohnwägen erhalten?

Etwa 80 bis 90 Prozent aller Bauanträge von Gypsies werden abgelehnt. Zum Vergleich: Etwa 80 bis 90 Prozent aller Anträge auf Baugenehmigungen für konventionelle Häuser werden positiv beschieden. Wird gegen die Ablehnung der Behörde Widerspruch eingelegt, erhalten etwa 50 Prozent der Kläger die Genehmigung. Die Behörden entscheiden also im Falle der Gypsies erst mal immer gegen sie.

Ist der Versuch der Gypsies, durch Landerwerb an Flächen zu gelangen, auch eine Folge der 1994 eingeführten Criminal Justice and Public Order, die der Polizei und den lokalen Behörden weitgehende Rechte einräumte, Gypsies und Travellers von öffentlichen Flächen zu vertreiben?

Ja. Damals sagte man den Gypsies, dass sie sich selbst um ihre Flächen kümmern sollen. Nun machen sie das, aber sie bekommen keine Baugenehmigung. Das ist ein Teufelskreis. Diese Verfügung wurde aber offiziell erlassen, um gegen die wachsende illegale Landnahme, beispielsweise von Ravern und den New Travellers, also Leuten, die ohne traditionellen Hintergrund in Wohnwägen leben, vorzugehen. Den Gypsies wurde versprochen, dass die Verfügung sich nicht gegen sie richtet. Doch das Gegenteil war der Fall. Sie diente dazu, alle Travellers zu kriminalisieren und das Lagern auf öffentlichen Flächen grundsätzlich zu verbieten. Die Grundlage dieser Politik war, dass öffentliche Flächen immer mehr privatisiert werden sollten.

Im Jahr 2006 hat die Labour-Regierung die lokalen Behörden dazu ermahnt, den Gypsies mehr Flächen zur Verfügung zu stellen. Was ist daraus geworden?

Die Regierung forderte damals die lokalen Behörden im ganzen Land dazu auf, eine Zählung der Gypsies zu veranlassen und Studien einzuleiten, die die Bedürfnisse dieser Bevölkerung eruieren und errechnen sollten, wie viele Flächen zur Verfügung gestellt werden müssen, damit alle Gypsies zu ihrem Recht auf einen Wohnort kommen. Seitdem ist dieses Programm angelaufen, aber es geht nur langsam voran. Wenn bekannt gegeben wird, wie viele Flächen eine Stadt zur Verfügung stellen muss, wehrt sich diese Stadt, indem sie auf andere Orte verweist, die viel weniger Flächen hergeben müssen. Da geht es zu wie auf einem Pferdemarkt.

Könnten steigende Mieten und sinkendes Einkommen dazu führen, dass immer mehr Leute zu Travellers werden?

Das Interesse an alternativen Lebensweisen steigt sicherlich enorm, doch dabei handelt es sich meistens um Leute, die aus Umweltschutzgründen in Häusern aus Stroh wohnen oder auf Booten oder ähnliches. Man kann aber tatsächlich beobachten, dass immer mehr Leute, die wenig verdienen, kostengünstigere Wohnorte wählen, wie beispielsweise Campingplätze. Das ist hierzulande gerade groß im Kommen. Immer mehr Rentner und Studenten mieten sich so einen Campingwagen auf einem privat betriebenen Campingplatz. Mit diesen Travellers gehen die lokalen Behörden allerdings weniger harsch um als mit den Gypsies.
Gibt es außerhalb bürgerlicher Menschenrechts­organisationen wie Family, Friends and Travellers auch linke Gruppen, die sich mit der Situation der Gypsies beschäftigen?

Auch wenn ich glaube, dass es in der Linken sicherlich nicht so viele Vorurteile gegen Gypsies gibt, sind nicht nur die Ressentiments gegen diese Bevölkerung weit verbreitet, sondern auch der Mangel an Interesse für ihre Situation. Die ­Gypsies sind heute wohl die Gruppe, die in Großbritannien mit den meisten Ressentiments zu kämpfen hat, mal abgesehen von Roma-Asylanten aus Südosteuropa und als Terroristen verdächtigten Muslimen.