Wahlsieg der Maoisten in Nepal

Der König geht, Prachanda kommt

Überraschend wurden die Maoisten bei den Wahlen in Nepal zur stärksten Partei. Den Sozialismus werden sie nicht einführen, doch wird das Land nun endgültig zur Republik.

Italienische Kommunisten werden vielleicht voller Neid auf Nepal blicken. Während sie nicht einmal den Einzug ins Parlament schafften, hat die Kommunistische Partei Nepals-Maoisten (CPN-M) bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 10. April 120 der 240 Direktmandate gewonnen. Die bislang dominierenden Parteien fielen zurück, die Nepali Congress Party erhielt 37, die sozialdemokratische CPN-United Marxist-Leninist 32 Sitze. Eine Regionalpartei der Minderheiten im südlichen Terai-Gebiet, das Madhesi People’s Rights Forum (MPRF), kam auf 29 Sitze. Ein Teil der Parlamentssitze wird jedoch proportional nach dem Stimmenanteil vergeben, sodass die Maoisten wohl keine absolute Mehrheit haben werden. Prozentual kamen sie nach vorläufigen Angaben auf 30,3 Prozent, die Kongress-Partei auf 21,4 und die CPN-UML 20,7 Prozent.
Zehn Jahre lang folgte die CPN-M dem Diktum Maos, dass die Macht aus den Gewehrläufen kommt. 1990 hatte eine demokratische Massenbewegung freie Wahlen und ein vom Königshaus unabhängiges Parlament erzwungen. Versprochene Landreformen blieben jedoch aus, 1996 begannen die Maoisten, landlose Bauern, Kastenlose und Angehörige diskriminierter Minderheiten in Guerillakommandos zu organisieren.

König Gyanendra, einer der größten Unternehmer des Landes und kein Freund demokratischer Spielregeln, setzte im Jahr 2002 die gewählte Regierung der Kongress-Partei wegen »Inkompetenz« ab, suspendierte das Parlament und herrschte, assistiert von einer Marionettenregierung, nun selber, um freie Hand bei der Niederschlagung der maoistischen Guerilla zu haben. Der Autokrat verlor jedoch die Kontrolle. Vier Jahre später beherrschten die Maoisten und die von ihr aufgebaute Peoples Liberation Army (PLA) zwei Drittel des Landes, in den Städten des Kathmandu-Tals übernahmen die Kongress-Partei und die CPN-UML die Führung einer Allianz von sieben Parteien, die auf der Straße die offene Konfrontation mit Polizei und Armee suchte.
Im April 2006 gab Gyanendra schließlich auf. Streiks und Massendemonstrationen hatten Kath­mandu lahmgelegt, in den Bergen gab die Guerilla den Ton an, und die oppositionelle Allianz war mit den Maoisten zu einer Einigung gekommen, die die Bildung einer Übergangsregierung, einen Friedensprozess und die Entmachtung des Königs einschloss. Den Maoisten wurden 80 Sitze im Parlament zur Verfügung gestellt, eine UN-Mission organisierte die Entwaffnung der etwa 30 000 Kämpfer der PLA und ihre Unterbringung in Camps unter Aufsicht der Uno. Dem König wurden nahezu sämtliche Befugnisse entzogen und seine Paläste zum Staatseigentum erklärt.
Die in der Übergangsregierung repräsentierten Parteien konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Politik einigen. Premierminister Girija Prasad Koirala von der Kongress-Partei verschob die ursprünglich für den Sommer 2007 geplanten Wahlen zweimal und versuchte, die von den Maoisten und der CPN-UML geforderte Abschaffung der Monarchie zu verhindern. Auch die Integration der Guerilleros in die Armee und die überfällige Landreform zur Entmachtung der Großgrundbesitzer blieben Streitpunkte. Verschärfend wirkte sich noch der politische Druck aus Indien und den USA aus. Der US-Botschafter James F. Moriarty brachte große Teile der Öffentlichkeit mit Pressekonferenzen gegen sich auf, bei denen er in klassischer Rhetorik des Kalten Kriegs stereotyp die politische Isolierung der von seiner Regierung immer noch als terroristische Organisation aufgelisteten Maoisten forderte und Sanktionen androhte, falls die ehemaligen Guerilleros in einer zukünftigen Regierung eine Rolle spielen sollten. Ende des Jahres 2007 wurde er durch eine konziliantere Repräsentantin ersetzt.
Im September 2007 hatte der Generalsekretär der CPN-M, Prachanda, (sein Parteiname bedeutet »der Kämpferische«) genug. Seine Partei verließ die Übergangsregierung und drohte mit außerparlamentarischen Aktionen bis hin zu einer möglichen Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs, falls ihre Grundforderungen nicht erfüllt würden. Vor allem sollte Nepal bereits vor der Wahl zur Republik erklärt werden, um die hinter den Kulissen von Vertretern des rechten Flügels der Kongresspartei betriebene Rettung der Monarchie unmöglich zu machen.
Als Kompromisslösung wurde schließlich eine entsprechende Resolution verabschiedet, unter dem Vorbehalt, dass die zu wählende verfassunggebende Versammlung hierzu einen endgültigen Beschluss fassen solle. Dies wird sie nun wohl bei ihrer ersten Sitzung tun. Als Pra­chandas Anhänger vorläufig befriedet waren, meldeten sich im Februar die Madhesis zu Wort und forderten, endlich die jahrhundertelange Diskrininierung ihrer Bevölkerungsgruppe zu beenden und ihnen größere politische Autonomierechte zuzugestehen, andernfalls drohten sie mit der Abspaltung der Terai-Region von Nepal. Nach einem 14tä­gigen Generalstreik in dem an Indien angrenzenden Gebiet, der die Versorgung des Landes abschnürte, handelte die Übergangsregierung einen Kompromiss aus, der eine zukünftige föderale Gliederung Nepals mit beträchtlichen Befugnissen für ein Terai-Regionalparlament vorsieht. Dennoch agieren in dem Gebiet weiterhin bewaffnete Gruppen, die die völlige Loslösung von Nepal anstreben und mit Bombenanschlägen versuchten, die Wahlen in ihrem Gebiet zu verhindern.

Der Wahlerfolg der Maoisten kam für viele überraschend. Ob alle Stimmen freiwillig für sie abgegeben wurden, darf allerdings bezweifelt werden. Zwar bescheinigte ein internationales Team von Wahlbeobachtern unter Führung des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter eine weitgehend faire und freie Wahl. In ihren Hochburgen in ländlichen und abgelegenen Gebieten allerdings verhinderten die Maoisten offenbar effektiv den Wahlkampf anderer Parteien. Landesweit kam es im Wahlkampf zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Allerdings trauten beträchtliche Teile der Wählerschaft den bisher dominierenden Parteien offensichtlich nicht zu, einen grundlegenden politischen und sozialen Wandel einzuleiten. Die CPN-M repräsentiert zahlreiche bisher kaum berücksichtigte Minderheiten. Auch die Anzahl der weiblichen Abgeordneten erhöht sich sprunghaft, ein Großteil von ihnen zieht für die Maoisten in die Versammlung ein.
Die Ereignisse rund um die Wahl offenbarten einerseits die Schwierigkeiten bei der Transformation einer ehemaligen Guerillagruppe in eine parlamentarische Partei und den ungebrochenen Personenkult um Prachanda. Nach wie vor orientiert sich die CPN-M programmatisch an Stalin, Mao und dem »Prachanda-Weg«, den Gedanken und Vorstellungen ihres Generalsekretärs.
Angesichts der Regression der anderen kommunistischen Partei, der CPN-UML, zu einer sozialdemokratischen Wahlmaschine, die keinerlei strukturelle Veränderungen auch nur ernsthaft anstrebt, waren die Maoisten aber weitgehend alternativlos. Wobei es auch Prachanda und seinen Getreuen de facto nicht um eine sozialistische Entwicklung geht, sondern darum, die halbfeudalen Strukturen auf dem Land aufzubrechen und eine bürgerliche Revolution mit kapitalistischer Entwicklung durchzusetzen.
Diese programmatische Entwicklung der Partei führt bereits zu Brüchen, bisher in erster Linie auf internationaler Ebene. Hatte die CPN-M noch im Juli 2006 in einer gemeinsamen Erklärung mit den Guerilleros der indischen Naxaliten die weiterhin bestehenden Gemeinsamkeiten im Kampf für die proletarische Revolution betont, so distanzierte sie sich von ihrer indischen Schwesterpartei schon ein Jahr später und stellte klar, dass sie und die indischen Untergrundkämpfer sich in unterschiedlichen Phasen des Kampfes befänden.

Kritik der indischen Maoisten an der parlamentarisch-institutionellen Orientierung ihrer nepalesischen Genossen verbat sich die Führung der CPN-M. Solche Konflikte dürften in der Zukunft auch zu Auseinandersetzungen in der eigenen Organisation führen, spätestens dann, wenn sich herausstellt, dass soziale Unterdrückung und Ausbeutung auch in einem nepalesischen Kapitalismus unter einer maoistisch geführten Regierung weiterbestehen und sich eher noch verschärfen.
Eine andere Frage ist allerdings, wie eine soziale Entwicklungspolitik überhaupt zustande kommen soll in einem Land, das ökonomisch wenig zu bieten hat und zu 85 Prozent von Einfuhren aus Indien abhängt. Diese Abhängigkeit hat, in Verbindung mit steigenden Weltmarktpreisen und ungesicherten Transportwegen, innerhalb eines Jahres zu Preissteigerungen von 40 Prozent geführt und die Lage eines Großteils der nepalesischen Bevölkerung weiter verschlechtert.
Die Maoisten werden versuchen, die Beziehungen zu China zu verbessern und dadurch den indischen Einfluss zurückzudrängen. Entsprechend triumphierend waren denn auch die chinesischen Reaktionen auf das Wahlergebnis. Die chinesische Regierung sucht, gerade angesichts des internationalen Drucks in der Tibet-Frage, nach Verbündeten insbesondere in der Region. Indes haben Indien, das sich Nepal als abhängigen Pufferstaat zu China erhalten will, und die USA ein Interesse daran, dies zu unterbinden. Unmittelbar nach der Wahl kündigten die USA Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe an, erwogen wird auch die Streichung der CPN-M von der Terrorliste.
Für König Gyanendra dürfte es nun an der Zeit sein, über eine Zukunft im Exil nachzudenken. Demnächst muss er wohl aus seinem gut bewachten Palast in Kathmandu ausziehen. In der vergangenen Woche berichteten indische Fernsehsender, der König habe Kontakt mit seiner Verwandtschaft in Rajasthan aufgenommen und lote die Möglichkeiten aus, als vermögender Exilant in Indien zu leben. Die indische Regierung sagte ihm bereits ein gesichertes Asyl zu. Zwar dementierte ein Sprecher des Königshauses vehement alle Fluchtpläne. Nachdem die Maoisten angekündigt haben, Gyanendra wegen seiner Verbrechen in der Zeit des Ausnahmezustands vor Gericht stellen zu wollen, dürften ihm nur noch wenige andere Optionen bleiben, wenn er sich nicht demnächst in einem anderen gut bewachten, jedoch weniger luxuriösen Gebäudes wiederfinden will.