Die Linke und die Institutionen

Jenseits der Institutionen

Die rechten Parteien haben die Wahlen gewonnen, weil sie die Angst instrumentalisieren konnten, während die Linke keine Politik entwickelt hat, die den neuen sozialen Verhältnissen gerecht wird. Die Lösung von den Institutionen könnte der linken Kritik jedoch auch neue Chancen eröffnen.

Nicht alle Linken in Italien betrachten den Wahlsieg Silvio Berlusconis als überraschendes Desaster. Auf der Internetseite www.precaria.org findet sich ein kurzer scharfer Kommentar zum italienischen Wahlergebnis, ein Kommentar über das Verschwinden der radikalen Linken aus dem Parlament.
Die Seite wird von den Mailänder Kollektiven erstellt, die jedes Jahr den Euro-Mayday organisieren – den 1. Mai des Prekariats, der Migranten und Migrantinnen. Sie veröffentlichen außerdem die Gratiszeitung der Bewegung der prekär Beschäftigten und Nichtbeschäftigten, City of Gods, die Informationen von unten bietet und ein neuartiges Kommunikationsinstrument darstellt. Die Webseite ist daher ein guter Indikator für die Stimmungen in den sozialen Bewegungen zum Thema. Der Kommentar trägt nicht zufällig den Titel »Zurück in die Zukunft«:
»Die eigentliche Neuigkeit ist, dass es in diesem italienischen Parlament keinen einzigen Repräsentanten der Linken geben wird. Dass Silvio Berlusconi gewinnen würde, zusammen mit seiner Horde aus Scharfmachern, Mafiosi und Rassisten, war sowieso mehr oder weniger klar. Welcher Teil der italienischen Gesellschaft sich von diesen Zutaten des Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, Berlusconis Partei) angezogen fühlt, konnte man sich ungefähr vorstellen, auch wenn es immer traurig ist, so direkt darauf gestoßen zu werden. (…) Trotz ihrer Bemühungen, die Mönche der nationalen Politik mit gutem Willen, Freigebigkeit, im Dialog, mit Moderation oder gar Gebeten zu beruhigen, ist es Veltroni und dem PD (Demokratische Partei) nicht gelungen, die katholischen Wählerstimmen zu gewinnen. Auch das ist allerdings keine Überraschung. Tatsächlich neu ist nur das Verschwinden der Linken. Alle wundern sich, wir von City ein bisschen weniger.
Was kann man anderes erwarten von dieser Linken, wenn die soziale Fragmentierung jeden Tag immer deutlicher zeigt, dass es unmöglich ist, diese gesellschaftliche Entwicklung in den kanonischen Formen der Partei oder der Gewerkschaft abzubilden? Was macht die Attraktivität einer Politik aus, die nur abstrakt von Gewalt und Gewaltlosigkeit spricht, ohne zu sehen, dass Gewalt ein ständiger Bestandteil des Alltags und der erpresserischen wirtschaftlichen Bedingungen ist? Welchen Sinn hat es, erneut das Thema prekäre Existenz anzusprechen, wenn man so tut, als wäre dies nur eine Frage von Gesetzesänderungen im Arbeitsrecht? Welche Antworten wurden auf diese neuen Fragen im Bereich der Sozialpolitik gegeben, welche Perspektiven wurden eröffnet?
Welches soziale Subjekt hatte diese Linke, die nun eine Wahlniederlage erlitten hat, eigentlich im Kopf? Welche Frauen, welche Männer, was für ein Verhältnis zu den Bewegungen, zum realen Leben, zur Umwelt? (…) Die Linke ist tot, man kann und muss jetzt einen Neuanfang machen, der eine linke Politik zukünftig wieder ermöglicht.«

Der Erfolg der Lega Nord, einer fremdenfeindlichen und wertkonservativen Partei, die aggressiv und rabiat in der Selbstdarstellung und der eigentliche Grund des Erfolgs von Silvio Berlusconi ist, basiert auf einem Konsens, der in den Randbezirken der Großstädte stärker ist als in deren Zentren und mehr von den Geringverdienern als von den Wohlhabenden getragen wird. Er ist bei denen, die eine Festanstellung haben, weiter verbreitet als bei denen, die prekär beschäftigt sind, etwa im kreativen Bereich. Es handelt sich nicht um eine Protestwahl wie vor 15 Jahren. Es handelt sich vielmehr um eine Wahlentscheidung, die von der Angst vor unsicheren Lebensumständen, von konkreten Problemen, auf die die Lega ihre individualistischen Antworten gegeben hat, und vom Misstrauen gegenüber denen, die noch ärmer sind, diktiert wurde.
Wenn der PD die Wirtschaft repräsentiert, während die Partei Berlusconis und die postfaschistische Alleanza Nazionale Gianfranco Finis sich zu Vertreterinnen einer korporativ-gemeinschaft­lich orientierten, protektionistischen, nationalistischen und scheinheiligen Ideologie gemacht haben, dann hat die Lega faktisch die Linke als Sprachrohr für die Wünsche und Bedürfnisse der einfachen Leute ersetzt. Dabei ist es ihr gelungen, in der politischen Debatte und auf der emotionalen Ebene das Thema der Sicherheit der eigenen Person und des Eigentums zu instrumentalisieren.

Die Linke war viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu institutionalisieren, zu sehr um ihre Glaubwürdigkeit für die Mitte bemüht oder zu festgelegt auf eine ideologische Vorstellung, die im fordistischen und nationalistischen Modell der Nachkriegszeit verankert ist. Sie hat es dadurch versäumt, die sozialen und ökonomischen Veränderungen der vergangenen Jahre zu erkennen. Sie hat ihre kulturelle Arbeit eingestellt.
Das Problem, die neuen Arbeitsformen zu repräsentieren, oder besser: die Unmöglichkeit, sie zu repräsentieren, die vollständige Abwesenheit neuer Ideen, was den sozialen Zusammenhalt und eine Neudefinition von So­zial­politik angeht, die in der Lage wäre, der täglichen Gewalt der prekären Lebensweisen und der Selbstausbeutung in der selbständigen Arbeit zu begegnen, die völlige Unfähigkeit, neue Vorstellungen und alternative Kommunikationsformen zu entwickeln, ein Bruch zwischen den Generationen, der durch Gerontokratie hervorgerufen wurde, der Verzicht darauf, Ideale zu entwickeln: Das sind die Probleme, die nicht in Angriff genommen wurden, die besser als jede noch so schlaue Wahlanalyse das italienische Wahlergebnis erklären.
Mit all dem scheint sich ein düsteres und deprimierendes Szenario anzukündigen. Aber andererseits eröffnet die Wahlniederlage auch eine Chance für die linke Kritik, nämlich sich endlich zu befreien, da sie nicht mehr an die Institutionen gefesselt ist. Sie kann erneut damit beginnen, Perspektiven zu entwickeln, und sie kann zu ihrer kulturellen Kraft zurückfinden, um so eine neue politische Zukunft zu eröffnen. Die italienische Geschichte – auch die jüngste – lehrt uns, dass es nicht das erste Mal wäre.