Die radikalen Linke nach der Wahlniederlage

Sinistra, anno zero

Die Wahlniederlage hat die radikale Linke in Italien in eine tiefe Krise gestürzt. Erstmals seit dem Krieg ist keine kommunistische Partei mehr im Parlament vertreten. Die sozialen Bewegungen machen für diesen Absturz nur die Parteien verantwortlich, dabei stellen sich auch Fragen hinsichtlich ihrer eigenen Strategie.

Walter Veltroni hatte sein Ziel in den vergangenen Monaten klar formuliert. Er wolle mit seinem Partito Democratico (PD) die italienische Linke in eine neue Zukunft führen. Die Wahlniederlage war deutlich, damit hat der scheidende Bürgermeister von Rom gewissermaßen sein Ziel erreicht. Dass es zum ersten Mal seit der Gründung der italienischen Republik keine Partei im Parlament vertreten ist, die Hammer und Sichel in ihrem Symbol hat, ist vor allem ihm zu verdanken.
So sehen das zumindest die wahren Verlierer der Parlamentswahlen: die Parteien links des PD, die sich im rot-grünen Wahlbündnis »La Sini­stra – l’Arcobaleno« (die Linke – der Regenbogen) zusammengeschlossen hatten und an der vier Prozent-Hürde scheiterten. Nun müssen sich Rifondazione Comunista, Comunisti Italiani, Grüne sowie andere kleinere Gruppen in ihrer Rolle als außerparlamentarische Linke neu definieren. Die Auseinandersetzung darüber, wie es zu einer solchen, in diesem Ausmaß unerwarteten Katastrophe kommen konnte, hat erst angefangen und droht, ernsthafte Konsequenzen für die radikale Linke zu haben. Mit der Frage nach den Gründen für die Wahlniederlage beschäftigen sich allerdings derzeit nicht nur die linke Presse, die Anhänger der Parteien links des PD sowie deren Führungskader, sondern die gesamte Medienlandschaft, die das Verschwinden der »Roten« aus dem Parlament zu Recht als sensationeller empfindet als die Rückkehr an die Macht eines nicht mehr ganz so glänzenden Silvio Berlusconi. Immerhin geht es nicht nur um verlorene Stimmen, sondern um das endgültige Verschwinden der Nachfolger der stärksten kommunistischen Partei Westeuropas, um ein Stück italienischer Geschichte.

Dass es Veltronis Projekt war, sich von den radikalen Kräften zu trennen, mit dem Ziel, eine bürgerliche Linke in Italien zu etablieren, hatte er bereits nach seiner Wahl als Vorsitzender des PD deutlich gemacht. Den PD wollte er als eine Partei der starken Mitte profilieren, die nicht mehr auf Bündnisse mit dem linken Rand angewiesen ist, also mit Parteien, die allgemein als Störfaktor für die Regierbarkeit betrachtet werden. Trotz Wahlniederlage wird deshalb seine politische Operation sowohl von den links- als auch den rechtsliberal orientierten bürgerlichen Kräften begrüßt. Denn Veltroni habe Italien dem erwünschten Bipolarismus ein Stück näher gebracht und ein Zeichen dafür gesetzt, dass das Land auf dem Weg sei, eine »normale« Demokratie zu werden. Dies angesichts des Wahlerfolges Berlusconis und vor allem seiner rechtspopulistischen Verbündeten von der Lega Nord ernsthaft zu behaupten, ist allerdings gewagt.
Vor der von Veltroni angestrebten »Amerikanisierung« des italienischen politischen Systems hatte die radikale Linke bereits zu Beginn des Wahlkampfes gewarnt. Dass sie so schnell zu einer Realität werden konnte, wollte man im Vorfeld jedoch nicht glauben. Unterschätzt wurde auch der penetrante Appell an den politischen Pragmatismus und für die »nützliche«, nicht ideo­lo­gische Stimmabgabe: Wichtig sei es, Berlusconi zu stoppen und den PD als wahre Alternative zu den Rechten zu stärken.
Was ist schief gelaufen, wie geht es nun weiter, fragt man sich links des PD. Der Schock sitzt noch tief, doch ein Ende bedeutet ja angeblich auch immer einen Neuanfang. Der Ausgang der Debatte über begangene Fehler und neue Perspektiven ist noch völlig offen. Insbesondere bei Rifondazione – die tragende Kraft der Regenbogen-Allianz – hat die Wahlniederlage eine heftige Krise ausgelöst, in der es um einen Lieblingsbegriff der italienischen Linken geht: die Identität. Wie ist die Regierungserfahrung von Rifondazione zu bewerten, was für eine Partei soll sie nun werden – und vor allem, soll sie eine Partei bleiben?

Das ist die Debatte der Stunde Null. Zumindest für ein relativ großes Segment der italienischen radikalen Linken, die diese Partei und die anderen postkommunistischen Kräfte vor zwei Jahren mit einer ganz genauen Vorstellung ins Parlament geschickt hatte. Und zwar mit der Idee, dem neoliberalen Kurs der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi etwas entgegenzusetzen, sie in eine »sozialere« Richtung zu lenken, hinsichtlich der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik. Der Verlust von rund 2,5 Millionen Stimmen wird nun einstimmig auf eine tiefe Enttäuschung zurückgeführt, weil die Kräfte des Regenbogens sich in der Regierungskoalition nicht als »Kampfparteien« profiliert hätten.
Das ist die erste, nicht wirklich erschütternde Wahrheit, die sich aus der der­zeitigen Debatte herauskristallisiert hat. Die daraus resultierende Erkenntnis lautet: Die Parteien hätten den Kontakt zur »eigenen Basis« verloren. Darin scheinen sich die verschiedenen Segmente der radikalen Linken einig zu sein. Das gilt für die Parteianhänger der Regenbogen-Allianz sowie für das, was man früher »soziale Bewegungen« genannt hat und was mittlerweile nur noch vage als »soziale Linke« bezeichnet wird.
Diese Einigkeit überrascht ein wenig, denn wenn der Kontakt mit der Basis wirklich abgebrochen wäre, sollte sich die Basis – zumindest ein Teil von ihr – andere Fragen stellen. Beispielsweise könnte man einmal kritisch die Erwartung hinterfragen, dass eine Regierungspartei die sozialen Bewegungen vertreten könne. Bislang beteiligten sich die Parteien an der Debatte und versuchten, alte Lösungen – wie eine neue Annährung an die »soziale Linke« – als »Neuanfang« zu präsentieren. Das verwundert kaum, denn die »Identität« der Regenbogen-Parteien, insbesondere von Rifondazione, ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der sozialen Bewegungen in Italien.
Nicht zufällig tauchen in der derzeitigen Debatte immer wieder ein Ort und ein Datum auf: Genua, Juli 2001. Das war der Beginn dessen, was mit dieser Parlamentswahl endgültig zerbrochen ist. Die »Tute Bianche« hatten es damals geschafft, die in den neunziger Jahren in ganz Ita­lien entstandenen Centri Sociali im »Genoa Social Forum« einigermaßen zu vereinigen und die erste landesweite Mobilisierung der italienischen globalisierungskritischen Bewegung zu organisieren. An diesem Netzwerk waren auch noch ganz andere Akteure beteiligt: Basisgewerkschaften, migrantische, pazifistische und katholisch orientierte Organisationen sowie NGO. Nur die politischen Parteien – Grüne und Rifondazione – hatten bis dahin noch keine entscheidende Rolle gespielt, obwohl sie sofort begriffen, wie wichtig der Kontakt zu dieser Bewegung für sie politisch sein könnte.
Rifondazione suchte damals durch ihre Jugendorganisation, die »Jungen Kommunisten«, eine Verbindung zu den »Tute Bianche«. Als diese sich kurz nach den Ereignissen in Genua auflösten, entstand die Nachfolgeorganisation, die Disobbedienti, als Produkt dieses Zusammenschlusses. In den folgenden Jahren waren die Disobbedienti und Rifondazione die tragende Kraft einer Bewegung, die zum Teil Millionen von Menschen gegen den Krieg im Irak auf die Straßen brachte. Rifondazione mit seinem charisma­tischen Chef Fausto Bertinotti war es gelungen, aus der politischen Isolation herauszukommen und sich als die »Partei der sozialen Bewegungen« zu profilieren. Die italienischen No-Globals wurden somit in den kommunistischen Hafen gesteuert. Die politischen Folgen dieser Fusion ließen nicht lange auf sich warten: 2004 wurde Vittorio Agnoletto, der Sprecher des »Genoa Social Forum«, für die »Europäische Linke« ins Europa-Parlament gewählt, zwei Jahre später zogen Franceso Caruso, Leader der süditalienischen Disobbedienti, und Daniele Farina, Sprecher des Leoncavallo, ein historisches Centro Sociale in Mailand, für Rifondazione ins italienische Parlament ein.

Ein Teil der Disobbedienti – insbesondere die Centri Sociali im Nordosten – hatte jedoch bereits nach den großen Friedensdemonstrationen im Jahr 2003 begonnen, sich von den postkommunistischen Parteien zu distanzieren. Grund dafür war die eindeutige Positionierung Fausto Bertinottis gegen militante Aktivisten, nachdem einige Mobilisierungen in Italien nicht ganz friedlich verlaufen waren. Seine Verurteilung löste in der Bewegung eine heftige Debatte rund um die Gewaltfrage aus, die zu einer internen Spaltung und die Disobbedienti de facto in die Bedeutungslosigkeit führte, zumindest, soweit es landesweite Mobilisierungen betrifft. So gesehen begann die Regierungserfahrung der selbsternannten »Bewegungspartei« 2006 nicht gerade in einer harmonischen Phase der Beziehung zwischen sozialen Bewegungen und Parteilinker.
Dass keine der beiden Seiten in der Lage ist, nach der Wahlkatastrophe die Postulate dieser Beziehung in Frage zu stellen, ist kein Zeichen für einen Neuanfang. Den Parteien wird vorgeworfen, nicht radikal genug in die politischen Prozesse interveniert zu haben, es sei ihnen nicht gelungen, den sozialen Konflikt in die institutionelle Politik zu tragen. Ob das die Aufgabe einer Regierungspartei überhaupt sein könne, wird dabei nicht hinterfragt. Die Perspektive bleibt für einen Großteil der radikalen Linke weiterhin die Suche nach einem politischen Ansprechpartner, obwohl es den sozialen Bewegungen eigentlich bestens ging, bevor Hausbesetzer und No-Globals im Parlament saßen.