Granate gegen das Gedenken
Vier Tage verweilte der ruandische Präsident Paul Kagame in Deutschland. In der vergangenen Woche traf er neben Bundespräsident Horst Köhler und Kanzlerin Angela Merkel auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung und vereinbarte mit ihm die Intensivierung der militärischen Beziehungen. Vor allem diese Vereinbarung wurde von NGO wie Amnesty International kritisiert, die Kagames Regime Menschenrechtsverletzungen und einen autokratischen Führungsstil vorwerfen.
Die militärische Zusammenarbeit kommt beiden Staaten gelegen. Ruanda birgt zwar keine nennenswerten Bodenschätze. Allerdings hat sich das Regime einen Zugang zu den Coltan-, Kobalt- und Diamantenvorkommen im angrenzenden Ostkongo verschafft. In diese Region hatten sich nach dem Genozid im Jahr 1994 die verbliebenen Milizionäre der Hutu Power zurückgezogen. 1996 schickte das ruandische Regime Soldaten in den Kongo, um dort, so die offizielle Begründung, die Hutu-Milizen zu bekämpfen. Das ruandische Militär tötete jedoch auch zahlreiche Zivilisten und organisierte die Rohstoffausbeutung, teils zur Finanzierung des Krieges, teils zur persönlichen Bereicherung. Derzeit unterstützt Ruanda die Miliz des ehemaligen kongolesischen Generals Nkunda.
Die Kritik der NGO am Regime Kagames berücksichtigt die Frage nicht, ob die Hutu-Milizen der »Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas« (FDLR) eine Gefahr für die Stabilität Ruandas und die Zivilbevölkerung im Ostkongo darstellen. Tatsächlich existieren bürgerliche Freiheitsrechte wie Rede- und Versammlungsfreiheit in Ruanda de facto nicht. Die Regierung unterstellt jeder Art von Opposition »divisionistisches Gedankengut«, legitimiert ihre Macht mit dem Verweis auf den Genozid und instrumentalisiert das Leid der Opfer.
Die 100 Tage des Mordens im Frühjahr 1994 sind im Leben der Ruander allgegenwärtig. Die Lage ist derzeit relativ stabil, doch wie in den meisten afrikanischen Ländern steigen auch in Ruanda die Lebensmittelpreise dramatisch an. Öffentliche Proteste gab es bislang nicht, die Stimmung in der Bevölkerung wird jedoch immer schlechter. Christian Kanuma, Mitarbeiter einer ruandischen Menschenrechtsorganisation, beobachtet eine Zunahme ethnisch definierter Ressentiments: »Die Menschen haben nichts zu essen und hören von dem Leben der Reichen in Kigali. Und die meisten Menschen hier denken, alle Tutsi seien reich.«
Während der seit dem Genozid jährlich stattfindenden Trauerwochen kam es in diesem Jahr zu mehreren Vorfällen. Nach Angaben der Regierung wurden zwei, dem Dachverband der Überlebendenorganisationen Ibuka zufolge acht Überlebende ermordet, die vor Gerichten aussagen sollten. Auf das zentrale Genozid-Memorial in Kigali wurde eine Handgranate geworfen, ein Polizist starb bei der Attacke. Tage später raste ein Mann mit seinem Auto in einen Umzug Trauernder und tötete eine Person.
Die Vorfälle sorgten in Ruanda für große Verunsicherung. Während Einschüchterungen, Übergriffe und auch Morde an einzelnen Überlebenden zum Alltag in ruandischen Dörfern zählen, fordert vor allem die Handgranatenattacke direkt den Staat heraus. In den vergangenen Jahren waren die verbliebenen Angehörigen der Hutu Power nicht in der Lage, das Regime derart zu provozieren. Dieser Umstand ist in erster Linie der Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten zuzuschreiben, weniger dem Erfolg der Versöhnungsbemühungen.
Kritik am Regime Kagames und an deutschen Hilfsleistungen ist zwar legitim. Wenn sie den Genozid und seine Folgen ausblendet, läuft sie jedoch Gefahr, von den Revisionisten vereinnahmt zu werden. Eine informelle Koalition von Anhängern der Hutu Power wie dem FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka, der weitgehend unbehelligt in Deutschland lebt, und Konservativen vor allem aus Frankreich, Spanien und Kanada leugnet den Genozid und macht die von Kagame geführte Ruandische Patriotische Front für die Gewalt verantwortlich. Und die Milizen der génocidaires sind in Ruanda und im Kongo weiterhin aktiv.