Bücher, Verbrennung und Gedenken

Ideen aus Deutschland

Bücher und ihre Verbrennung. Zwei Denkmäler auf dem Bebelplatz. Über den deutschen Stolz auf historische Errungenschaften und die Funktionalisierung des Gedenkens

Am 22. März 1933 beging man in Deutschland den »Tag des deutschen Buches«. Am 10. Mai desselben Jahres brannten in Berlin und zeitgleich in 17 weiteren Universitätsstädten jene Bücher, die man nicht mehr sehen wollte. In den öffentlichen Bücherverbrennungen mündete die von der Deutschen Studentenschaft (DSt) initiierte und reichsweit konzertierte »Aktion wider den undeutschen Geist«. Sie hatte knapp einen Monat zuvor mit einer sowohl antisemitischen als auch gegen »undeutsch« denkende »Verräter« gerichteten Plakataktion begonnen, wurde von studentischen Verbindungen mitgetragen und stieß auf so gut wie keinen Widerstand. Zerstört wurden Schriften »jüdisch-marxistischen Inhalts« und in Berlin auch die Büste des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld.
Zum 75. Jahrestag des Ereignisses finden am 9. und 10. Mai Lesungen und Gedenkveranstaltungen statt. In Berlin, an der Akademie der Künste, wird aus gegebenem Anlass auch Bundespräsident Horst Köhler eine Rede zum Besten geben. Derselbe Horst Köhler, der auch für die Standortkampagne »Deutschland – Land der Ideen« verantwortlich zeichnet, am 3. Oktober 2005 gemeinsam lanciert von Bundesregierung und BDI sowie zahlreichen namhaften deutschen Unternehmen.

Der Imagekampagne, die in Berlin insbesondere während der WM in Erscheinung trat, ist es ein Anliegen, einem nationalen wie internationalen Publikum »ein positives Deutschland-Bild (…) zu vermitteln«. Gepriesen werden die »Stärken des Standortes Deutschland«, und zwar als eine Reflexion der »wesentliche(n) Eigenschaften der Deutschen«. Neben einer Fortsetzung der Aktivitäten im Ausland soll perspektivisch vor allem eine »Stabilisierung der positiven Grundstimmung im Inland« erreicht werden.
Ein Aspekt der mehrgliedrigen Kampagne war der so genannte Walk of Ideas. Vom 10. März bis Mitte September 2006 sollten an symbolträchtigen Orten im Zentrum Berlins sechs silberfarbene, überdimensionierte Skulpturen »Einfallsreichtum und Erfindergeist in Deutschland« versinnbildlichen.
Auf dem Bebelplatz, etwas abseits des an die Bücherverbrennung erinnernden Mahnmals »Bibliothek« des israelischen Künstlers Micha Ullman, war diese »Idee« nicht zu übersehen: ein Stapel Bücher, 35 Tonnen schwer und über zwölf Meter hoch – die Skulptur »Der moderne Buchdruck«. Sie kann als ein Beispiel der gleichzeitigen Überschreibung und Instrumentalisierung des Gedenkens an den Nationalsozialismus gelesen werden.
Es ließe sich auch treffend von einer Auf- oder Zuschüttung sprechen, wenn man bedenkt, dass die 1995 eingeweihte »Bibliothek« Ullmans gerade die Abwesenheit dokumentiert. Der in die Tiefe gehende, nachts beleuchtete Raum, an seinen Wänden leere Regale für die mehr als 20 000 an diesem Ort verbrannten Bücher, ist nicht begehbar und nur einsehbar durch eine relativ kleine Glasscheibe, die ins Pflaster eingelassen ist. Die Leere, der Mangel auch an sinnlicher Präsenz, sowie die Spiegelung in der Scheibe, sowohl des Betrachters als auch der umliegenden Bauten, verweisen den Blick zurück an einen sich der Introspektion öffnenden Innenraum. Inzwischen ist die Glasscheibe etwas matt und zerkratzt. Sie dokumentiert so auch ein anhaltendes Darüber-hinweggehen. Bereits vor fünf Jahren konnte die »Bibliothek« nur mit viel Mühe und um den Preis ihrer Banalisierung überhaupt über den Bau einer sie nun unterhöhlenden Tiefgarage hinweg gerettet werden.

Die sich silbern auftürmende Form des Bücherstapels hingegen betrauerte keinen Verlust. Sie thematisierte das Ereignis nicht einmal direkt, sondern freute sich über die pfiffige Idee des modernen Buchdrucks, einen Baustein jener »Erfolgsgeschichte« die Deutschland heiße.
Auffällig ist vor allem, dass einige der aufgetürmten Autorinnen und Autoren, so sie es noch könnten, sich unzweifelhaft gegen ihre ungebetene Inanspruchnahme für dieses Beispiel von Standortnationalismus im Eventformat gewehrt hätten. Unangenehme Assoziationen, die sich ergaben, etwa vor dem Hintergrund, dass Martin Luther, dessen Buch relativ weit oben auf dem Stapel thronte, die deutschen Juden selbst am liebsten verbrannt hätte, als sie sich nicht zum Christentum bekehren ließen, sind hier nicht das wichtigste.
Die eher eingezwängte Integration gerade auch einzelner geschmähter Autoren ist bezeichnend; und natürlich war auch der Ort für den Bücherstapel keine zufällige Wahl. So wie die Fassaden der Universität, wie auch der anderen umliegenden Kulturbauten, der Bücherverbrennung 1933 als eine bedeutungsträchtige Kulisse dienten, fügte sich dieses Ereignis selbst schließlich in die semantische Kulisse der Skulptur.
Geschichte besteht nur in den Formen ihrer Erinnerung. Vergangenheit gewinnt an Bedeutung erst in ihrer rückblickenden, immer auch interessegeleiteten Interpretation, woraus umgekehrt diese oder jene Konsequenzen für gegenwärtiges Handeln gezogen werden, oder eben nicht. Obzwar die monumentale Dreistigkeit des Stapels auf früheres, vermeintlich unbelastetes historisches Terrain zurückgreift, lässt sich ein expliziter Bezug auf den 10. Mai an diesem Ort nicht ver­meiden. Er ist sogar ein wesentliches Moment der Skulptur.

Auf der Website der Initiative können wir lesen, dass die dank Gutenberg florierende, »deutsche Buchlandschaft«, durch »Zensur und Barbarei (…) fast zerstört« worden wäre. Inzwischen aber brächten jedes Jahr »1 800 Verlage fast 80 000 Titel auf den Markt«. Der bloße Hinweis auf das deutsche Buch in seiner großen Zahl vermeidet jede inhaltliche Irritation, die zwischen Autoren wie Marx, Brecht oder auch Seghers und der Stoßrichtung dieser Initiative entstehen könnte. Und falls noch nicht alle Zweifel ausgeräumt sind, erklärt es Jutta Limbach, damals Präsidentin des Goethe-Instituts, im Zwischenbericht der Kampagne noch einmal ausdrücklich: »Bücher sind Vorboten der Freiheit und Lesesäle Vorposten der Freiheit. Wir Deutschen wissen nur zu gut, dass Bücher Feinde totalitärer Regime sind.«

Der Bezug auf den Nationalsozialismus ist un­abdingbar für eine nationalistische Kampagne in Deutschland. Er ist die eine Seite einer simplen Rechnung: kein autoritatives Auftreten oh­ne ein bisschen offiziöses Gedenken. Man gibt sich geläutert: »Wir Deutschen«, so wird beiläufig ein Kollektivsubjekt behauptet, wüssten es nur zu gut und, vor allem, besser als alle anderen. »Wir« dür­fen, im Sinne dieses Wissens, autorisiert durch diesen Vorsprung, denn auch alles dafür tun, »dass die deutsche Sprache und ihre Kultur niemals wieder von Menschenfeinden missbraucht werden kann«.
Doch ein wesentliches Problem wird in einer solchen Aussage zum Verschwinden gebracht. Das alltägliche Elend der kapitalistischen Verwerfungen lässt sich nicht als eine Auswirkung totalitärer Regime begreifen, und der Kapitalismus lässt nicht prinzipiell von »Menschenfeindlichkeit«, von der man sich hier so eindringlich distanziert, trennen.
Nicht subtil genug, um es übersehen zu können, wird die Katastrophe zur Ressource und das Gedenken zum argumentativen Standortvorteil, dessen vornehmliche Funktion es ist, Legitimität zu generieren für den nötigen Aplomb im gegenwärtigen Gerangel um globale Einflusszonen. Hier­zulande gilt schon lange, was die Künstlergruppe »Timelineez« unlängst noch einmal formulierte: Je mehr Schuld, desto mehr – gerade auch weltweite – »Verantwortung«.