Mit Keltenkreuz ins Kapitol
Mit ausgestrecktem rechtem Arm standen die Kameraden auf den Stufen zum Kapitol und grüßten den neuen römischen Oberbürgermeister Gianni Alemanno. Der Kandidat der postfaschistischen Alleanza Nazionale hat die Stichwahlen mit 53 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Sein Konkurrent von der Demokratischen Partei, Francesco Rutelli, blieb mit nur 46 Prozent hinter ihm zurück. Dieser Triumph war nicht nur die Krönung der mit den Parlamentswahlen eingeleiteten Siegesserie der italienischen Rechten. Zum ersten Mal in der Geschichte der italienischen Republik wurde ein postfaschistischer Kandidat zum Bürgermeister gewählt.
Der stolze Sieger grinste vom Balkon des Rathauses, bedankte sich über Megafon bei seiner Anhängerschaft und rückte seine Krawatte zurecht. Dass er darunter ein Keltenkreuz trägt, ist bekannt. Vor zwei Jahren hatte er in einem Fernsehinterview den oberen Hemdknopf geöffnet und den Anhänger gezeigt. Da das Tragen und Zurschaustellen von faschistischen Symbolen gesetzlich verboten ist, erregte seine Freizügigkeit damals ein wenig Aufsehen. Während des Wahlkampfs betonte er die religiöse Bedeutung des Anhängers. Doch dieses Kreuz steht in Italien seit den siebziger Jahren unzweifelhaft für die militante neofaschistische Bewegung.
Der junge römische Bürgermeister gehört seit seiner Gymnasialzeit zur rechten Szene Roms. Er leitete die regionale Sektion der Jugendorganisation des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) und wurde später als Nachfolger Gianfranco Finis zu deren Nationalsekretär gewählt. Er war ein bekannter squadrista, ein faschistischer Schläger. Die Bezeichnung ist heute aus der Mode gekommen. Auch seine antiimperialistischen Umtriebe gelten als jugendlicher Übermut. Dass er einst aus Protest gegen den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan einen Molotowcocktail gegen die sowjetische Botschaft warf und 1989 mit einer Sitzblockade US-Präsidenten Bush am Besuch eines amerikanischen Soldentenfriedhofs hindern wollte, hat nur noch anekdotische Bedeutung. Dabei ist Alemanno den politischen Grundsätzen seiner militanten Vergangenheit treu geblieben.
Als Gianfranco Fini 1995 mit der »Wende von Fiuggi« die Transformation des MSI zur Alleanza Nazionale (AN) einleitete, trat Alemanno der neuen Partei bei, während sein Schwiegervater, der Altfaschist Pino Rauti, die neofaschistische Organisation Fiamma Tricolore gründete. Die Familienbande drohten zu zerreißen. Doch die Strategie des jungen Schwiegersohns erwies sich als erfolgreich. Während Fini der Partei einen pragmatischen Kurs in die demokratische Mitte verordnete und nostalgische Reminiszenzen an den Faschismus nur noch widerwillig duldete, machte sich Alemanno zum Fürsprecher der »radikalen Seele« der AN, der so genannten Sozialen Rechten, und damit zum komplementären Gegenspieler des Parteivorsitzenden.
In einem Interviewbuch definiert Alemanno die Soziale Rechte als »Alternative« zum individualistischen Liberalismus und zum kommunistischen Kollektivismus. Sie stehe für eine »kommunitaristische Politik« im Geiste der Soziallehre der katholischen Kirche. Der traditionelle Antiamerikanismus präsentiert sich nun als patriotischer, euromediterraner Diskurs.
Obwohl nur eine von mehreren Strömungen innerhalb der AN, ist der hegemoniale Anspruch der Sozialen Rechten nicht zu unterschätzen. Zur Propagierung ihrer Ziele gründete Alemanno das Monatsheft Area und die Stiftung Neues Italien.
Außerdem verbindet sich in Rom die programmatische Nähe zur Tradition des Bewegungsfaschismus mit persönlichen Freundschaften zur extremen Rechten und zur militanten neofaschistischen Szene.
So konnte sich Alemanno, obwohl er vor der Stichwahl auf ein offizielles Wahlbündnis verzichtete, der Stimmen seines alten Weggefährten Francesco Storace sicher sein, der noch im ersten Wahlgang für die aus einer Abspaltung von der AN hervorgegangene Partei La Destra selbst als Bürgermeister kandidiert hatte. Einige andere Namen aus Alemannos Wahlkampfteam und der Redaktion von Area stehen dagegen für die Verbindung zu ehemaligen rechten Terrorgruppen und für die ungebrochene Nähe zur militanten Szene, die vor allem in der römischen Peripherie zur vorherrschenden Jugendbewegung geworden ist.
Trotz dieser offenkundigen Verbindungen zur radikalen Rechten gilt Alemanno nicht als Neofaschist, er wird sogar nicht einmal mehr als Postfaschist wahrgenommen. Die römischen Christdemokraten sprachen sich vor der Stichwahl ausdrücklich für Alemanno aus. Nach der Wahl lobte der liberale Bürgermeister Venedigs, Massimo Cacciari, den neuen Kollegen als einen »intelligenten Politiker«, und Carlo Petrini, der Begründer der italienischen Slow-Food-Bewegung, bezeugte ihm, zum Erstaunen seiner linken Gourmetfreunde, seine »Wertschätzung«. In seiner Zeit als Landwirtschaftsminister habe er sich als verlässlicher Partner im Kampf gegen gentechnisch manipulierte Lebensmittel erwiesen. Tatsächlich deutet einiges daraufhin, dass die Ökopolitik des passionierten Bergsteigers Alemanno mit der neofaschistischen Umweltorganisation Fare Verde abgestimmt ist. Doch das ideologische Rüstzeug, mit dem es Alemanno den Kapitolshügel erklomm, wird auch von linken Intellektuellen nicht mehr reflektiert. Schließlich haben sie selbst, in Abgrenzung zur eigenen Vergangenheit, die Einführung einer »postideologischen« Zeitrechnung propagiert.
Die Wahlergebnisse des Frühjahrs markieren den Höhepunkt der Krise des italienischen Antifaschismus: Der revisionistische Diskurs hat sich durchgesetzt, der Faschismus sei nicht mehr als eine harmlose Variante des Totalitarismus gewesen. Alemanno ist nun Bürgermeister der italienischen Hauptstadt, Gianfranco Fini wurde zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer gewählt. Damit haben die Postfaschisten die volle politische Legitimation erhalten.
Dass dies auch bald konkrete Folgen haben könnte, zeigte Fini beispielsweise in seiner Antrittsrede, in der er ankündigte, die Verfassung – die der MSI nie als verbindlich anerkannt hatte – sei grundsätzlich zu »erneuern«. Alemanno versprach auf seiner ersten Pressekonferenz, das soziale und kulturelle Erscheinungsbild der Hauptstadt zu »verändern«. Konkret bedeutet das, wie er im Wahlkampf betonte: umfangreiche Polizeigewalt für Stadtteilpolizisten, sofortige Ausweisung straffällig gewordener Migranten, sofortige Räumung aller nicht genehmigten Roma-Siedlungen. Danach könne man daran denken, die Konstruktion, die der amerikanische Architekt Richard Meier um den antiken Friedensaltar des Kaiser Augustus errichtete, zu »entfernen« und die von Mussolini angelegte Piazza von diesem »Monstrum« moderner Architektur zu befreien. »Roma libera!« Der Siegesschrei seiner Anhänger hallt nach.