Bücherverbrennung heute

Was tun, wenn’s brennt!

Bücherverbrennungen sind kein singuläres Phänomen des deutschen Nationalsozialismus. Dennoch verdient der 10. Mai 1933 besondere Beachtung.
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Der moderne Mensch fliegt zum Mond, klont Drogenspürhunde und telefoniert via Satellit rund um den Globus – aber wenn ihm etwas so ganz und gar nicht passt, denkt er als erstes daran, ein Feuer zu machen, als säße er noch im Bärenpelz vor seiner Höhle. Was immer der Mensch erfunden hat, wenig reicht an die Rigorosität des Feuers heran. Selbst die Schnipsel aus den Aktenvernichtern der Stasi werden derzeit relativ erfolgreich wieder zusammengeklebt. Asche ist endgültig.

Anzünden, vernichten, auslöschen: Menschen oder ihre Gedanken, die oft als genauso gefährlich betrachtet werden. Es geht bei Bücherverbrennungen nicht nur darum, einen niedergeschriebenen Gedanken aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Die christlichen Fundamentalisten, die 2001 in Pittsburgh, Pennsylvania, Harry-Potter-Bücher ins Feuer warfen, glaubten wohl kaum, damit die Verbreitung jenes megaerfolgreichen Romans ernsthaft stören zu können. Und den muslimischen Fundamentalisten, die sich 2005 über die dänischen Mohammed-Karikaturen echauffierten, standen diese nicht einmal zur Verfügung, weshalb sie in Ermangelung der Druckwerke dänische Flaggen verbrannten, wobei sie auch diese erst beschaffen, womöglich gar herstellen lassen mussten. Nachdem die »Satanischen Verse« Salman Rushdies in der islamischen Welt schon 1989 den Flammen übergeben worden waren, zündete man aus Protest gegen Rushdies Ritterschlag in Großbritannien im Jahr 2007 in Pakistan eben Strohpuppen an.
Bücherverbrennungen haben eine lange Tradition. Bereits der Apostel Paulus soll der Bibel zufolge bekehrte »Magier« überredet haben, »freiwillig« ihre eigenen »Zauberbücher« zu verbrennen. Die Liste der Bücherverbrennungen in der christlichen und islamischen Geschichte ist un­überschaubar lang. Auch Robbespiere ließ Bücher verbrennen, die Roten Khmer, Pinochet, 1956 und 1960 wurden in den USA Bücher Wilhelm Reichs verbrannt, usw. usf.
Auch im 21. Jahrhundert bleiben Bücherverbrennungen populär. Den 62. Jahrestag der Unabhängigkeit Indonesiens beging der indonesische Generalstaatsanwalt im vorigen Jahr, indem er 30 000 Geschichtsbücher verbrennen ließ, in denen die Nationalgeschichte nicht ganz im Sinne des ehemaligen Diktators Suharto wiedergegeben war. 2005 ordnete der Landrat der türkischen Provinz Isparta die Verbrennung der Bücher Orhan Pamuks an. Sie fiel allerdings aus, weil sich in den Regalen der lokalen Büchereien keine Bücher Pamuks fanden (Jungle World 37/05). In dem Dorf Pretzien in Sachsen-Anhalt verbrannten im Juni 2006 Neonazis bei einem Volksfest zur Sonnenwende zunächst eine US-amerikanische Fahne, was noch niemandem aus der anwesenden Dorfbevölkerung unangenehm auffiel. Erst als auch das »Tagebuch der Anne Frank« »dem Feuer übergeben« wurde, schritt dann doch eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes ein (28/06).

Papier entzündet sich bekanntlich bei Fahrenheit 451. Heutzutage und wohl erst recht in der Zukunft spielt das Papier jedoch eine immer weniger wichtige Rolle. CDs und DVDs brennen aber viel schlechter, man muss sie zermalmen oder wie zum Beispiel im April 2007 in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad – dort wurden Hunderte »unislamische« Ton- und Bildträger verbrannt – mit literweise Benzin übergießen. Das Internet, in dem die Gedanken der Menschen heutzutage niedergelegt werden, lässt sich noch viel weniger anzünden. Dennoch wird es weiterhin Bücherverbrennungen geben, weil es eben nicht nur um Zensur geht, sondern um einen symbolischen Akt der Vernichtung.
Deshalb passt die nationalsozialistische Bücherverbrennung von 1933 (und es gab in den folgenden Jahren noch viele weitere) auch nicht in eine Linie mit anderen Scheiterhaufen der Geschichte. Denn nicht die Tatsache, dass Nazis ein paar Bücher in Brand setzten, ist das singuläre Verbrechen, sondern der Vernichtungsplan, für den dieses Feuer auf dem Opernplatz in Berlin der symbolische Akt war. Nicht die Vernichtung des geschriebenen Worts hebt den 10. Mai aus die­ser Reihe hervor, sondern die folgende Vernichtung von sechs Millionen Juden, von Homosexuellen, Roma, »Asozialen« und politischen Gegnern. Für diese Vernichtung waren die Flammen auf dem Opernplatz, bildlich und im Nachhinein gesehen, der Zündfunke.
Auch wenn Bücherverbrennungen als solche keineswegs eine Erfindung der Faschisten sind, sondern in fast allen Kulturen, Religionen und politischen Systemen stattgefunden haben und teilweise noch stattfinden, so wohnt ihnen doch der faschistische Gedanke des totalitären Zugriffs und der eliminatorischen Intoleranz inne. Drum ist es sinnvoll, in diesem Zusammenhang auch auf andere Bücherverbrennungen hinzuweisen. Es ist eben kein Zufall, dass Nazis sich dieses Rituals bedienten, sondern ihrer Ideologie immanent. Es ist faschistisch, auch jenseits des Nationalsozialismus. Und das bedeutet auch, dass Bücherverbrennungen, durch wen auch immer, in keinem Fall geduldet werden dürfen.