Die Debatte über Investivlohn

Meine Firma und ich

Wie hältst du’s mit dem »Standort Deutschland«? Darüber gibt die Debatte um den Investivlohn Aufschluss.

Eine »historische Weichenstellung« zur Versöhnung von Arbeit und Kapital hatten Kurt Beck (SPD) und Angela Merkel (CDU) wie so oft angekündigt, und auch der Bundespräsident sah die Chance gekommen, »der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken«. Herausgekommen ist eine Anhebung des Betrags, mit dem sich Beschäftigte steuerfrei an der eigenen Firma beteiligen können, von 135 Euro auf 360 Euro. Also eigentlich kaum der Rede wert.
Dass dennoch alle Medien über dieses Ereignis berichteten, hängt wohl mit mehr zusammen als dem von der Koalition verkündeten Beweis ihrer »Handlungsfähigkeit«. Denn so realpolitisch lang­weilig und wirtschaftlich bedeutungslos diese kleine Subventionsmaßnahme, neuerdings »Investivlohn« genannt, auch daherkommen mag, verbirgt sich hinter ihr doch eine schon lan­ge wäh­rende Debatte, die Aufschluss darüber gibt, in wel­chem Maße die Lohnabhängigen die Ideologie vom »Standort Deutschland« verinnerlicht haben.

Die Idee, Beschäftigte mit einem Teil ihres Lohns am Unternehmen zu beteiligen, ist so alt wie die Bundesrepublik selbst, steht aber derzeit unter völlig anderen Vorzeichen als früher. Immer wieder wurde bereits in den fünfziger Jahren vor allem von der christlichen Gewerkschaftsbewegung darauf hingewiesen, dass die Arbeiter eher bereit seien, »Verantwortung« für »ihr« Unternehmen zu tragen, wenn sie von seinem wirtschaft­lichen Erfolg direkt profitierten. Dass ein solches Modell in der Nachkriegsära nicht ernsthaft prak­tiziert wurde, lag vor allem daran, dass die Maxime »Geht es meinem Betrieb gut, dann geht es auch mir gut« wegen Lohnsteigerungen, die sich nach der Produktivität bemaßen, dauerhaften Arbeitsplatzgarantien und vielfältigen Prämien sowieso schon scheinbare Gültigkeit beanspruchen konnte.
Erst seit den Krisenerscheinungen der be­gin­nen­den siebziger Jahre wurde auch seitens der Po­litik ernsthaft über solche Beteiligungsmodelle nachgedacht. Die Staatsverschuldung schnell­te in die Höhe, Unternehmen kamen zunehmend in Schwierigkeiten und die CDU rüstete zur geistig-moralischen Wende. Der damalige Generalsekretär der Partei, der ordoliberale Kurt Biedenkopf, erarbeitete mit dem konservativen Vorsitzenden der Baugewerkschaft, Georg Leber, Konzepte, nach denen größere Teile des Lohns den Unternehmen als Kredit zur Verfügung gestellt, aber eben die Arbeiter auch am Unternehmensgewinn beteiligt werden sollten. Vor allem jedoch sollte die Ent­koppelung von Lohn und Produktivität so gesetzlich vorbereitet werden.
Wie so häufig reagierte die alte BRD, im Gegensatz zu vielen anderen westlichen Industriestaaten, kaum auf die neuen Herausforderungen. Zwar stand die Forderung nach einer Förderung von Unternehmensbeteiligungen der Beschäftigten seit den siebziger Jahren in den Programmen von CDU und CSU, doch selbst als die Unionsparteien 1983 die Regierung übernahmen, ließen sie keine Taten folgen. Zu stark wirkte die jahrzehn­te­lang ideologisch überhöhte Tarifautonomie weiter und ließ für staatliche Subventionsprogramme keinen Spielraum. Zudem wirkten die Krisenerscheinungen in dem mit einem größeren produk­tiven industriellen Bereich ausgestatteten Nachkriegs­deutsch­land weniger stark nach als in den anderen europäischen Ländern. Vor allem die IG Metall sprach sich gegen alle Beteiligungsmodelle aus und fand dabei in der Mittelschicht Bündnispartner. Heinrich Beyer, der Geschäftsführer der für Beteiligungsmodelle werbenden »Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft«, führt diesen Widerstand, der im Widerspruch zur Abhängigkeit der mittelständischen Unternehmen von Krediten zu stehen scheint, auf einen bis heute bestehenden Grund zurück: »Viele Mittelständler fürchten, sie müssten gegenüber den Angestellten dann ihre Zahlen offen legen.«

Wie es hätte gehen können, und darauf hinzuwei­sen wurde Kurt Biedenkopf in den vergangenen Wochen nicht müde, hatte Margaret Thatcher in Großbritannien gezeigt. Ein Volk von Aktionären sollte aus dem sick man of Europe werden. Wäh­rend Staatsunternehmen privatisiert wurden und die Realeinkommen stark sanken, halfen Un­ternehmensbeteiligungen, die Macht der Gewerk­schaften zu brechen. Bis heute sind in Großbritan­nien die Gewinne aus der Kapitalbeteiligung an der eigenen Firma steuerfrei, und solche Modelle werden immerhin von jedem zweiten Betrieb angeboten. Viele Industrieländer etablierten in der Folge ähnliche Modelle. Staatliche För­derungen existieren heutzutage nicht nur in Großbritannien und den USA, sondern auch in Frankreich, Österreich, Belgien und den Niederlanden mit teilweise erheblichen Steuerfreibeträgen.
Zwar bietet ein Großteil der deutschen Konzerne den Beschäftigten die Möglichkeit an, verbilligte Belegschaftsaktien zu erwerben, insgesamt gilt dies aber lediglich für neun Prozent aller inlän­dischen Betriebe. Im Verhältnis zu den immer­hin 31 Prozent bei in Deutschland tätigen auslän­dischen Firmen eine doch geringe Zahl. Diese geringe Beteiligung ist umso erstaunlicher, als das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer groß angelegten Studie kürzlich herausgefunden hat, dass die Löhne durch Investivlöhne zugunsten von Unternehmenskrediten gesenkt werden können, Betriebe mit Beteiligungsprogrammen im Schnitt »innovativer« seien als andere und ihre Wertschöpfung über dem Durchschnitt liege.
Da fragt man sich doch, warum der »ideelle Ge­samtkapitalist« (Marx) in Deutschland nicht beherzter zu diesem Mittel greift. Das mag daran liegen, dass diese ideologische Waffe ein wenig stumpf geworden ist. Die Börsencrashs haben das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Betriebe – und nichts anderes sind Aktienbeteiligungen ja letztlich – erschüttert. Zudem kann niemand mehr davon ausgehen, ein Leben lang in der glei­chen Firma zu arbeiten und so am Ende von Beteiligungen zu profitieren. Ganz davon zu schwei­gen, dass im Zeitalter der Rekordpleiten mit dem Job auch die Investitionen futsch sein könnten. Einen Teil des Lohns in die eigene Firma zu inves­tieren, stellte also nur so lange eine Möglichkeit der Versöhnung zwischen Boss und Arbeiter dar, wie der Glaube an den Keynesianismus noch nicht vollends erschüttert war.

Im Gegensatz zur CDU, der es bei allen Vorschlägen zum Investivlohn immer um die Unterordnung der Beschäftigten unter die Ziele der eigenen Firma ging, hat die SPD die Zeichen der Zeit erkannt. Kurt Becks Vorschlag, Beteiligungen an einem »Deutschlandfonds« einzuführen, wurde teilweise selbst von konservativen Medien präferiert. Ein solcher Fonds hätte den Vorteil gehabt, nicht nur das Risiko von Insolvenzen zu verringern, sondern auch die fehlende Treue zum Betrieb durch die zum »Standort Deutschland« zu ersetzen. Der Fonds wurde durch den Streit in der Regierungskoalition verhindert. Zukünftig werden Beteiligungsmodelle aber nur erfolgreich sein können, wenn sie sich vom altbackenen Paternalismus konservativer Prägung lösen und eine den krisenhaften Verhältnissen adäquate Form annehmen: die Versöhnung von Arbeit und Kapital als Unterordnung unter die Nation.