Sind Computerspiele etwas für Linke?

Reine Zeitverschwendung

Auch kritische Menschen gehen ins Kino, lesen Romane und hören Musik. Nur von Computerspielen wollen sie meist nichts wissen. Dabei gibt es mindestens fünf Gründe, vom Ignoranz- endlich in den Action-Modus überzugehen.

»Uefa Euro 2008«

Im modernen Kapitalismus werden die Spielregeln für die Verwertbarkeit des Einzelnen zugleich erweitert und verengt. Während immer mehr Individuen aus dem Netz der Verwertung herausfallen, müssen viele derjenigen, die noch von ihm erfasst werden, mehr und vor allem effizienter arbeiten. Wo das Prekariat noch überlegt, ob es neben dem Drittjob auch noch einen Viertjob annehmen kann, muss ein neuer Festangestellter wegen des veränderten »Workflow« nicht nur seine, sondern auch die Arbeit seines Vorgängers machen.
Nichts ärgert das Management von heute – egal, ob es die Führungsetage des Großkonzerns oder die personelle Einheit von Arbeitskraft und Controlling-Instanz, sprich Selbstmanagement ist – mehr als Ineffizienz, unproduktive Arbeitsphasen oder, anders gesagt, Zeitverschwendung. Nie waren Dienstpläne detailreicher, und nie zuvor haben Menschen die Kalenderfunktion von Google zur Rationalisierung des eigenen Arbeitstags benutzt.
Computer- und Videospiele aber sind Zeitverschwendung. Reine Zeitverschwendung. Zwar dienen auch sie, wie Literatur, Film und Musik, der individuellen Reproduktion und befinden sich deshalb nicht außerhalb kapitalistischer Verwertungszusammenhänge. Doch anders als dem Roman, dem Kinofilm mit Überlänge oder dem Lieblingsalbum wird dem Computerspiel kaum kulturelle Bedeutung zugestanden. Unkonzentriertes Arbeiten wegen des vorabendlichen Besuchs eines Rockkonzerts wird vom Personalchef ausnahmsweise verziehen, er war ja schließlich auch dort. Die Erwähnung einer achtstündigen Session mit dem neuen Fußballspiel »Uefa Euro 2008« an der Playstation 3 wird in derselben Situation nicht nur Unverständnis auslösen, sondern vermutlich die Kündigung zur Folge haben.

»Gran Turismo 5: Prologue«

Als reine Zeitverschwendung werden Computerspiele übrigens nicht selten auch von jenen begriffen, die sich gerne mit ihnen befassen. Dem Studenten, der in den neunziger Jahren nach den mit »Civilization 2« verbrachten Wochenenden immer wieder montags zum Arzt musste, um sich ein Attest für seine Professorin zu besorgen, damit er für die fällige Hausarbeit nochmals zwei Wochen Aufschub bekommt, entspricht heute der Konsolenspieler, der am Wochenende knapp 1 500 Runden mit »Gran Turismo 5: Prologue« gefahren ist.
Doch ein ärztliches Attest am Montagmorgen bringt ihm nichts, als freier Webdesigner oder selbständiger Journalist ist er in engen Grenzen sein eigener Chef. Sich selbst bescheißen kann man aber nur selten. Er hasst sich also dafür, das Wochenende nicht anders genutzt zu haben, denn im Rückblick erscheint ihm nun die an der Konsole verbrachte als ungenutzte Zeit. Ideen für die nächste Woche wurden nicht entwickelt, Konzepte nicht im Kopf vorformuliert, Texte nicht schon stichpunktartig auf der Gehirnfestplatte abgespeichert.
Dabei hat er das Beste gemacht, was in seiner Situation überhaupt denkbar ist: das Hamsterrad verlassen, sich ausgeklinkt, Gehirnsynapsen aktiviert, die für nichts anderes als Vergnügen, Vergeudung, Ineffizienz, sprich Spaß, da sind. Man kann sein Tun als unbewussten Eskapismus bezeichnen, als eine unüberlegte Flucht in Welten, die für den normalen beruflichen und privaten Alltag gänzlich unbrauchbar sind. Die Versenkung in die Sphäre des Spiels hat die überwiegend produktive Erwachsenenwelt zugunsten der überwiegend zweckfreien Kindheitswelt zumindest temporär bzw. einige Dutzend Levels lang in den Hintergrund treten lassen.

»Grand Theft Auto IV«

Eskapismus ist unter kritisch denkenden Menschen verpönt, weil ihnen dazu immer nur Szenarien aus »Der Herr der Ringe« einfallen. Ganz falsch ist das nicht. Die Flucht des Einzelnen vor den als unangenehm bis unerträglich empfundenen Zuständen der Realwelt in Fantasy-Geflimmer samt mittelalterlichen Stände- und Verhaltensordnungen ist weit verbreitet. Wer sich aber auf Feenzauber und Gnomengewalt einlässt, ist für eine rationale Kritik an den Ursachen der als unangenehm bis unerträglich empfundenen Zustände nicht selten verloren.
Umso mehr gilt es, den Eskapismus nicht den Saurons und Eruditen zu überlassen. Der Flucht ins präfaschistisch Mystische sollte man eine Flucht in bessere Welten entgegenstellen. Doch eine bessere Welt meint im Computerspielbereich oft eine schlechtere Welt. Kaum eine virtuelle Welt bildet die Schlechtigkeit der Zustände derzeit so gut ab wie »Grand Theft Auto IV«. Es scheint, als hätten ganze Passagen des Werkes von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer das Drehbuch für diese dunkle Welt der Gangs und Rackets geliefert. Sie ist voll von brutalen Ausdrucksformen struktureller, personalisierter und ideologischer Vergesellschaftung.
Anders gesagt: »Grand Theft Auto IV« ist so, wie die Welt wäre, wenn das, worüber die Jungle World wöchentlich kritisch berichtet, die Wirklichkeit eins zu eins abbilden würde: durch und durch unfrei, gewaltförmig und ethnisch vorformatiert, rassistisch, sexistisch, Angst erregend, gegen die Emanzipation des Einzelnen wie ge­gen die Emanzipation der gesamten Menschheit gerichtet; ein Survival-of-the-Fittest-Szenario unter Waffen und am Controller der Xbox 360.

»Wii Fit«

Zum Glück ist das nur ein Spiel, und die reale Welt hat noch mehr zu bieten. Liebe, Freundschaft, Sex, Drogen, Entspannung, Genuss, Spaß und dergleichen halten all den anderen Mist in Grenzen. Zumindest zu Entspannung, Genuss und Spaß trägt auch die mit Spielekonsolen verplemperte Zeit bei, selbst dann, wenn sie einem Trend folgt, den das Unternehmen Nintendo seit einigen Jahren setzt.
Die Geräte und die Software der »Wii« und der »Wii Fit« haben das Computerspiel der engen Szene der Daddel-Nerds entrissen und in die Mitte der Gesellschaft geführt. Unter den pickligen Ego-Shooter-, Rennsport- und Multiplayer-Spielern als Rentnerkonsole verschrien, verwandelt die Wii immer mehr passive in aktive Fernsehkon­sumenten. Die Wii ist nichts anderes als Fernsehen zum Mitmachen.
Biopolitisches Fernsehen, möchte man mit einem Blick auf das Fitnessprogramm »Wii Fit« und das standardmäßig der Konsole beigelegte »Wii Sports« hinzufügen. Beides eignet sich hervorragend, um das eingangs beschriebene Zeiteffektivitätsdogma weiter voranzubringen. Denn hier wird nicht einfach im Sinne der Zeitverschwender gespielt, Training und Sport können die individuelle Leistung auch jenseits der Konsole steigern. Dem entgegen steht für kritische Menschen die Freiheit, dass Training und Sport den Vereinen und Vereinsmeiern entrissen werden und dass die mit dem Wellness- und Fitnesswahn der vergangenen Jahre einhergehende Körpernormierungsmaschine nun ins Stocken gerät: »Wii Fit« bietet den vom Mainstream als zu alt, zu dick, zu dünn und anderweitig als unsportlich Titulierten einen neuen, individuellen Zugang zum Sport.

»Uncharted«

Computerspiele können aus vielen Gründen Spaß machen. Dabei verhält es sich mit ihnen wie mit Literatur, Film und Musik. Aus der Masse an Neuerscheinungen ragt nur wenig Gutes heraus. Ein Spiel wie »Uncharted« zu entdecken, ist reiner Genuss, die anderen zu spielen, lohnt kaum. Obwohl eine kritische Besprechung des Bestsellers »Assassin’s Creed«, in dem man sich als islamistischer Attentäter durch die Welt mordet, doch ganz interessant wäre und alles andere als reine Zeitverschwendung.