Krieg und Seife
Kammerspiele, die einen Zweikampf zum Thema haben, ähneln immer ein bisschen einer Sportveranstaltung. Es geht um die richtige Strategie, um Reaktionsschnelligkeit und starke Nerven. Man kann den Akteuren beim Punktemachen zusehen, und am Schluss gibt es einen Gewinner und einen Verlierer, so sind die Regeln. Der Raum dieser duellartigen Konfrontationen ist dabei so begrenzt wie ein Boxring – oder wie eine Theaterbühne, was dieses Genre für das Medium Film nicht unbedingt prädestiniert erscheinen lässt. Doch gerade die räumliche Reduktion scheint für das Kino immer wieder attraktiv zu sein.
»Interview« ist ein geradezu prototypisches Beispiel für solch ein sportliches Kammerspiel. Zwei sehr gegensätzliche Charaktere, ein etwa neunzigminütiger Kampf. Pierre Peders, ein ramponierter Politjournalist und Kriegsberichterstatter, wird von seinem Chef dazu abkommandiert, die erfolgreiche Soap-Darstellerin Katya zu interviewen. Für jemanden, der gerade an einem politischen Skandal in Washington dran ist, ist das der intellektuelle Abstieg schlechthin. Denn nicht zuletzt wird hier die ernsthafte politische Auseinandersetzung mit den seichten Nichtigkeiten der Halbprominenz konfrontiert. Peders reagiert bockig und spart sich die Vorbereitung, und aus dem Interview in einem schicken Restaurant wird ein sehr kurzes und bissiges Streitgespräch. Man trennt sich nicht gerade freundschaftlich. Katya nennt ihn herablassend »Peter Peders«, er kontert mit »Fuck-ya« und steigt in ein Taxi, das kurz darauf einen Unfall baut – der Fahrer war abgelenkt von Katyas »killer smile«. Peders tropft das Blut von der Stirn, das blonde Starlet bekommt plötzlich Mitleid und nimmt den Reporter mit nach Hause, um ihn mit einem Beutel Tiefkühlgemüse zu verarzten.
Zweiter Versuch. Nach einigen Whiskeys kommt das Interview nun doch noch in Gang und verwandelt sich fast unmerklich in ein komplexes Spiel zwischen Angriff und Rückzug, zwischen »echter« emotionaler Anteilnahme und perfider Intrige. Und bis zum »Showdown« – man beichtet sich gegenseitig das angeblich »tiefste« Geheimnis – bilden Spiel und bitterer Ernst, Lüge und Wahrheit, Schein und Sein eine unauflösbare Allianz.
»Interview« ist das von Steve Buscemi inszenierte US-Remake des gleichnamigen niederländischen Originals von Theo van Gogh, der im Jahre 2004 von einem religiösen Fundamentalisten ermordet wurde. Anlass war »Submission«, ein polemischer Kurzfilm, der die Unterdrückung von Frauen im Islam kritisierte. Der »spektakuläre« Tod des umstrittenen Regisseurs hat seinen Filmen jedoch kaum zu mehr Popularität verholfen, außerhalb der Niederlande sind sie bis heute nahezu unbekannt. Dabei plante van Gogh selbst eine amerikanische Variante von »Interview«, angeblich hatte er sogar Madonna für Katyas Part vorgesehen. Buscemis Film ist der erste einer Van-Gogh-Remake-Trilogie, zwei weitere Verfilmungen von Stanley Tucci und Bob Balaban sollen demnächst folgen.
Buscemi verlagert das klaustrophobisch anmutende Original, dessen fies ausgeleuchtetes Setting unangenehm an den Container der Real-Life-Serie »Big-Brother« erinnerte, in ein luxuriöses New Yorker Loft, und es ist nicht zuletzt dieser Ort, der dem Film eine gewisse Eleganz und Großzügigkeit verleiht. Überhaupt ist das amerikanische Remake filmischer, alles Bühnenhafte wurde hier sichtbar getilgt. Bevor sich das Geschehen nach 20 Minuten in Katyas Wohnung verlagert, gibt es relativ viel Bewegung (das Restaurant, die Taxifahrt etc.); und auch danach scheinen die Figuren immer unterwegs zu sein – auch wenn sich der Parcours nur aus Wohnzimmer, Bad und Schlafzimmer zusammensetzt. Buscemi schafft dadurch viel Raum, wo eigentlich keiner ist, und ermöglicht dadurch Distanznahme, man kann sich zurücklehnen und zuschauen. Dagegen verströmte van Goghs Film eine ähnlich beklemmende Atmosphäre wie eine Nachmittags-Psycho-Talkshow, bei der man voller Ekelgefühle hängenbleibt.
»Interview« hat trotz aller spielerischen Leichtigkeit viel von einer Laborsituation. Das Machtverhältnis zwischen Pierre und Katya, seine komplizierten Dynamiken, die Aufs und Abs sowie der entscheidende Augenblick, an dem buchstäblich der Spieß umgedreht wird, lassen sich wie bei einer Versuchsanordnung beobachten. Dennoch gibt es keine Objektivität. Alles könnte Verstellung und Theater sein, um den anderen aus der Reserve zu locken, und hinter dem privatesten Bekenntnis könnte sich größte Professionalität verbergen. Denn die authentischen Geschichten sind nicht unbedingt die glaubwürdigsten, ebenso wie die erfundenen unter Umständen überzeugend wahr klingen können. Lüge und Wahrheit sind im Grunde austauschbar – so sind nun mal die Mechanismen der Mediengesellschaft.
Die dahinter liegende Medienkritik ist smart erzählt, allerdings nicht unbedingt neu, und der sportliche Aspekt des Films ist ein bisschen ermüdend, da der Zweikampf zwischen dem Intellektuellen und dem scheinbaren Dummchen im Grunde nur eine einzige Überraschung zulässt – dass man sich nicht absolut sicher sein kann, wer bei diesem Spiel nun tatsächlich der Gewinner und wer der Verlierer ist.
So ist es hauptsächlich den beiden Schauspielern zu verdanken, dass »Interview« nicht langweilt und bis zuletzt eine angenehm aufgekratzte Stimmung aufrechterhält. Steve Buscemi spielt Pierre Peders auf so uneitle Art und Weise als verschrobenen und ausgesprochen hässlichen Wicht, dass es schon fast wieder ein bisschen eitel wirkt. Sienna Miller, die mehr ist als eine Schauspielerin (oder weniger), ist allerdings der interessanteste Mehrwert dieses Remakes. Als Verkörperung von Gossip und Celebrity-Kultur schlechthin lässt sie Film und Wirklichkeit, Schauspieler-Persona und Filmfigur ununterscheidbar ineinander fließen. Denn ebenso wie Katya ist Sienna Miller weniger aufgrund ihres großartigen Talents bekannt als vielmehr durch ihre Dauerpräsenz in den Boulevardmedien; ihr Ruhm verdankt sich hauptsächlich ihrer Glanzrolle als betrogene Ex-Verlobte von Jude Law. Immerhin mimt sie die nervtötende hysterische Schnepfe derart überzeugend, dass man leicht auf die Idee kommen könnte, sie spiele sich hier selbst. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist sie vielleicht doch keine so schlechte Schauspielerin.
»Interview« (USA 2007). Regie: Steve Buscemi. Darsteller: Steve Buscemi, Sienna Miller, Molly Griffith, Robert Hines. Kinostart: 29. Mai