Max Müller im Gespräch über seine neue Solo-Platte und seine Band Mutter

»Unser Image ist, dass wir normal sind, und das finde ich gut«

Max Müller ist Sänger und Texter der Berliner Band Mutter. Am 20. Juni erscheint seine neue Solo-Platte »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war«. Nicht nur für Tex Rubinowitz (Cartoonist und Autor) ist Max Müller der »der­zeit größte deutsche Dichter«. Vielen deutschen Musikern von Jochen Distelmeyer (Blumfeld) bis Rocko Schamoni gilt Max Müller als Vorbild für intelligente, deutsch­sprachige Rockmusik. Als »intel­ligente Monumente für emotionale Dumm­heit« beschrieb Diederich Diederichsen einmal die Musik der Band Mutter.

Der Titel deines neuen Albums »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war« ist wie viele Titel und Texte von dir ebenso einfach wie unverständlich.
Wieso, was gibt es daran nicht zu verstehen? Das ist ein Zitat aus dem Film »Butch Cassidy und Sundance Kid«. Da sagt Paul Newman diesen Satz, kurz bevor beide erschossen werden. Das fand ich witzig.
Ein Dichter erklärt seine Texte nicht?
Die Leute fragen immer nach tieferen Bedeutungs­schichten. Natürlich sind die Texte vielschichtig. Aber wenn ich Musik höre, will ich nicht die ganze Zeit über die Texte grübeln. Da können die Texte noch so kreativ und irre sein, wenn die Musik nicht gut ist, helfen die Texte auch nicht.
Kann man über Musik überhaupt reden?
Die Musikzeitschriften machen das, auch wenn die, seit es das Internet gibt, niemand mehr braucht.
Die Band Mutter wird ja tatsächlich wegen Zeilen wie »Ich schäme mich Gedanken zu haben, die andere Leute in ihrer Würde verletzen« geschätzt, die jede Deutung offen lassen und trotzdem faszinieren.
Das ist ja die Kunst. Ich wollte immer eine Klarheit in der Sprache haben. Die Leute sind immer auf der Suche nach einer Tiefe in den Texten und können nicht akzeptieren, dass das, was ich sage, so gemeint ist, wie es da steht. Es ist viel schwieriger, etwas ganz einfach zu beschreiben als mit ausschweifender Lyrik und Floskeln, wie Herbert Grönemeyer es tut. Ich will eine Formulierung finden, statt immer noch ein Wort draufzulegen, das es nicht trifft. Ich habe immer am liebsten die Musik gehört, die einerseits eine ganz klare Sprache hat, die aber gleichzeitig etwas ganz anderes erzeugt, das nicht eindeutig und festlegbar ist.
Udo Lindenberg war eines deiner Vorbilder dafür?
Das ist nicht mein Vorbild, der ist grauenhaft, aber die erste Platte »Andrea Doria« ist das erste, was ich mit Musik verbunden habe. Da hatte Lindenberg noch so eine unpeinliche Sprache und nicht dieses »Ey, Alter«, das er danach gemacht hat.
Ist Jonathan Richmans Motto, Musik zu machen, die den Ohren kleiner Kinder nicht weh tut, etwas, mit dem man deine Musik mittlerweile charakterisieren könnte?
Seit ich Vater bin, bin ich eigentlich noch aggres­siver geworden. Das hat aber mit meiner Musik nichts zu tun. Bevor ich Vater wurde, habe ich mir mal überlegt eine Kinderplatte aufzunehmen. Das wäre doch witzig, wenn Mutter das machen würde. Außerdem kenne ich etliche Kinder, die sämtliche Liedzeilen von der Platte »Haupt­sache Musik« auswendig können.
Von welchen Dingen sind deine Texte inspiriert?
Zeitungen, Radio, Fernsehen. Geschichten, die mir Bekannte erzählen, bei denen ich mich frage, wie kann man nur so bescheuert sein. Was mich ärgert, treibt mich an.
Lässt du dich auch von der Lektüre einer linken Wochenzeitung antreiben?
Es muss schon was Interessantes drin stehen, ich muss gut unterhalten werden. Ich will mich beim Lesen nicht quälen, auch wenn die Inhalte kompliziert sind, muss ich sie verstehen können. Ich lese gerade Golo Manns Biographie über Wallenstein. Das ist köstlich, wahnsinnig komisch und sprachlich total interessant. Und dann die ganzen Details, da stürzt hier mal einer in Prag aus dem Fenster, und dann passiert da wieder was.
Mit Zeilen wie »Weil es immer ein Mensch ist, der dem Mensch im Wege steht« geht es auf deiner neuen Platte auch um die Unveränderbarkeit des Individuums. Hast du dich in den vergangenen 30 Jahren nicht geändert?
Nein. Man lernt vielleicht, ein bisschen lockerer mit den Dingen umzugehen. Meine Texte handelten schon davon, als ich mit 16 angefangen habe zu schreiben. Eine gewisse Thematik bleibt immer, und bei mir ist es diese Beobachtung, dass sich Menschen selbst nach schweren Schicksalsschlägen nicht grundsätzlich ändern.
Trotz aller Kritik an der Konformität der Gesellschaft sind demnach also auch Linke konservativ?
In grundsätzlichen Dingen wie Geiz, Gier oder Aggression gleichen sich alle, egal welche politischen Einstellungen die Leute haben. Aber ich habe ja die Möglichkeit, mich mit so wenig Idioten wie möglich zu umgeben.
Du warnst auf der neuen Platte vor solchen Idioten, die ihren Namen auf Gürtelschnallen tragen. Sind Leute, die T-Shirts mit Band-Logo tragen, nicht genauso idiotisch?
Die meisten wissen ja gar nicht, was sie da für Bands auf ihren T-Shirts tragen. Welche Band man hört, hat heute keine Bedeutung mehr. Es ist in keiner Weise mehr bedrohlich, eine bestimmte Musik zu hören. Es ist alles ein schwam­miger Brei geworden. Das muss nicht unbedingt negativ sein. Aber Distinktionsgewinn ist nicht mehr drin.
Obwohl Mutter und Max Müller Lieblinge des Feuilletons sind, sind sie nie im Mainstream angekommen. Warum?
Mutter war nie eine Poserband. Die Leute sind eben so, wie sie sind. Weder treten wir in Lederklamotten noch mit Sonnenbrillen auf. Auch wenn ich die Klamotten, die die Bandmitglieder tragen, teilweise unmöglich finde, die sind eben so, und das soll auch so bleiben. Unser Image ist, dass wir halt irgendwie normal sind, und das finde ich gut. Ich wollte immer eine gewisse Rea­lität haben. Mutter hat aber auch Humor und Iro­nie. Wir haben mit der Platte »Hauptsache Musik« ja auch richtig schöne Sachen produziert, weil ich zeigen wollte, dass man Popmusik machen kann, ohne daraus schrottigen Schlager und pein­lichen Folk-Rock zu machen.
Könntest du auch Volksmusik machen, ohne schrottig und peinlich zu werden?
Das Lied »Heimatmusik« auf der neuen Platte handelt ja davon, das ich nicht verstehen kann, was Millionen Menschen an diesen Volksmusiksendungen fasziniert. Das ist wirklich ein Parallel­universum. Diese Plastikmusik macht die Leute glücklich, obwohl man dabei nicht mal ein Instru­ment hören kann. Das klingt alles total elektronisch. Man kann Leuten, die diese Musik hören, einfach nicht erklären, dass sie totaler Mist ist. Und auf der anderen Seite können sie nicht verstehen, dass Musik, die ich gut finde, keine Krach­musik ist. Das Glücksgefühl der Volks­musik­liebhaber ist so geballt, dass einem davon echt schlecht wird. Wie halten die Leute das aus? Die müssen doch auch in der normalen Welt leben. Da habe ich mich lieber in dieser hässlichen Welt eingerichtet und finde es schön dort.
Wird dir auch schlecht von den vielen Deutschland-Fähnchen während der EM?
Nein, es gibt schlimmere Nationalisten. Sollen sie doch ihre Fähnchen in den Wind halten, ich finde das nicht bedrohlich. Das ist so wie Kindergeburtstag oder Vereinsfest.
Gibt es etwas, das an Deutschland bedrohlich ist?
Ja, der Osten. Wenn ich da hinfahre, wo es normal ist, dass ein Skinhead an der Tankstelle sitzt, grusele ich mich.
Trittst du in Ostdeutschland auf?
Nicht mehr. Das war jedes Mal dasselbe. Da kommen dann die Veranstalter und warnen, dass da irgendwelche Leute vorbeikommen könnten und dass man aufpassen muss. Da habe ich keinen Bock drauf, das nervt mich.
Dabei ist doch die Band Mutter berühmt dafür, den Saal leer zu spielen.
Totaler Quatsch. Das haben wir wohl schon gemacht. Aber in der Regel bleiben die Leute.
Mutter produziert gerade eine neue Platte. Was werden die Themen sein?
Mord und Totschlag, Gewalt, Sex.

Max Müller: »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie früher einmal war« (Angelika Köhlermann / Broken ­Silence)