Alen Budaj im Gespräch über Fußball, Kriegsverbrecher und den Umgang mit dem Faschismus in Kroatien

»Die Kroaten wissen nicht, was ein Kriegsverbrechen ist«

Vergangene Woche traf die britische Boulevardzeitung The Sun den 95jährigen ehemaligen Ustaša-Offizier und Kriegsverbrecher Milivoj Ašner in der Klagenfurter Innenstadt beim Fußballgucken. Seit dem Jahr 2005 besteht gegen Ašner ein Auslieferungsgesuch von Kroatien an Österreich. Die Auslieferung wird jedoch mit Unterstützung von Jörg Haider und ärztlichen Attesten, die Ašner Demenz bescheinigen, von den österreichischen Behörden verweigert. Alen Budaj ist der kroatische Nazijäger, dessen Untersuchungen 2004 zur Anzeige Ašners in Kroatien führten.

Was hat Sie im Alter von 19 Jahren motiviert, die Ermordung der Juden von Požega im Zweiten Weltkrieg zu erforschen?
Als ich vor elf Jahren mit der Untersuchung begann, gab es eine Lücke in der Geschichte der Stadt, nämlich die Geschichte der Vernichtung der Juden in Požega. Eines Tages erzählte mir der Partisan Vladimir Bunjevcevic, dass Milivoj Ašner, der Chef der Ustaša-Polizei in Požega, ein Kriegsverbrecher, der nie verurteilt worden war und den ich für tot hielt, wahrscheinlich noch lebe und sich in Kroatien aufhalte. Bunjevcevic war selber von Ašner im Polizeigefängnis gefoltert worden. Tatsächlich fand ich Ašner in seiner Geburtsstadt Daruvar, wo er unbehelligt lebte und politisch aktiv war, er hatte eine Partei gegründet und wurde von lokalen Radios interviewt. 2002 erschien dann in dem überregionalen rechten Magazin Fokus ein Interview mit ihm. Darin forderte Ašner von der damaligen kroatischen Regierung eine Untersuchung der Verbrechen in Bleiburg, wo im Mai 1945 in Richtung Österreich fliehende Ustaša von den Partisanen getötet worden waren.
Bunjevcevic erkannte auf dem Foto den ehemaligen Polizeichef und nahm mir, am Tag bevor er starb, das Versprechen ab, dass ich im Namen all jener, die in Požega ermordet wurden, Ašner auf die Anklagebank bringe. Dann habe ich meine Nachforschungen dem Simon-Wiesenthal-Zentrum übergeben. Dessen Direktor Ephraim Zuroff gab anschließend offiziell bekannt, dass der Name Milivoj Ašner auf der Liste der meistgesuchten Naziverbrecher an vierter Stelle steht, und erstattete Anzeige.
Für welche Verbrechen machen Sie Milivoj Ašner verantwortlich?
Ašner war zwischen dem 5. Mai 1941 und dem 21. September 1942 Chef der Ustaša-Polizei. Die Maßnahmen gegen die Juden in Požega wurden einen Tag nach seiner Ernennung zum Polizeichef eingeleitet. Im Herbst 1941 ordnete er die Deportation aller Juden ins Ghetto am Stadtrand an. 150 Juden wurden an Weihnachten in die Konzentrationslager Stara Gradiška und Jasenovac, Frauen und Kinder ins Konzentrationslager Ðjakovo deportiert. Im Sommer 1941 ordnete Ašner eine Mas­senhinrichtung im Durchgangslager von Požega an, bei der 400 Serben in einer Nacht ermordet wurden.
Das Staatsarchiv in Zagreb gab kürzlich zu, dass der Name Milivoj Ašner einmal als Opfer der Faschisten und einmal als Polizeichef in Požega geführt wurde. Wie konnte es zu diesem Fehler kommen?
Dass ein Verbrecher auf diese Weise zum Opfer gemacht wird, kann wohl nur in diesem Land passieren. Nach der Befreiung des Landes 1945 hat die erste Ehefrau von Ašner die Untersuchungskommission belogen und behauptet, ihr Ehemann sei in Bleiburg von den fliehenden Ustaša ermordet worden, weil sie ihn für einen Sympathisanten der Partisanen hielten. In Wahrheit gelang es Ašner, das so genannte Massaker von Bleiburg zu überleben und nach Österreich zu fliehen. Dort nannte er sich Georg Aschner, heiratete erneut und wurde eingebürgert. 1985 wurde in Zagreb eine Liste der jüdischen Opfer des Faschismus erstellt, und Ašner wurde auf diese Liste gesetzt, wahrscheinlich weil jemand den unter Juden in Deutschland geläufigen Namen für jüdisch und Ašner aufgrund der Aussage der Ehefrau für ein Opfer der Faschisten hielt.
Der jugoslawischen Polizei war Ašner aber als Verantwortlicher der Ustaša und Kriegsverbrecher bekannt. Warum konnte er 1992 trotzdem unbehelligt nach Kroatien einreisen?
So wie viele Ustaša-Emigranten, darunter Ante Pavelic, das Staatsoberhaupt des faschistischen Kroatien, konnte sich auch Ašner erfolgreich vor den jugoslawischen Behörden verstecken. Die Kommission für die Aufklärung der Verbrechen im faschistischen Kroatien belegte anhand von Dokumenten, dass Ašner für Kriegsverbrechen verantwortlich ist, das wusste auch die neue kroatische Regierung unter Franjo Tudjman. Kroatien litt aber seit 1991 unter einer kollektiven Amnesie, und so konnten viele Ustaša-Emigranten in den neunziger Jahren wieder nach Kroatien einreisen, erhielten finanzielle Unterstützung vom neuen Staat und die Staatsbürgerschaft.
Wie hat sich die kroatische Regierung verhalten, als Ephraim Zuroff 2004 Anzeige gegen Ašner erstattete?
Sie haben alles dafür getan, dass Ašner seine Sachen packen und über Nacht das Land in Richtung Österreich verlassen konnte. Zwar wurde anschließend ein Auslieferungsantrag gestellt. Doch unter der neuen HDZ-Regierung hat bislang kein Minister, kein Staatsanwalt, kein Polizist und auch nicht das Komitee für die Aufklärung von Kriegsverbrechen etwas zu dem Fall gesagt. Selbst Staatspräsident Stipe Mesic, der als größter Antifaschist in der kroatischen Gesellschaft gilt, sagte nichts zu diesem Fall.
In der vergangenen Woche hat dieser Fall erneut für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. Wird das etwas an der Haltung Österreichs und Kroatiens ändern?
Ich befürchte, dass es eine geheime Absprache mit den österreichischen Behörden gibt und die Kroaten nicht auf der Auslieferung bestehen werden. Ašners Aussage, die er vergangene Woche im kroatischen Fernsehen machte, unter ihm seien keine Familien in Lager, sondern höchstens in ihre Heimatländer deportiert worden, ist eine glatte Lüge. Die Regierung hat bislang allerdings immer noch nichts getan, um mehr Druck auf die österreichischen Behörden auszuüben.
Gibt es noch Zeugen, die gegen Ašner aussagen könnten?
Dušan Janosevic, eines der wenigen noch lebenden Opfer, hat sich in der Sun erstmals zu Wort gemeldet. Er wurde unter Ašner im Gefängnis gefoltert. Bislang hat er keiner kroatischen Zeitung ein Interview gegeben. Das will er erst dann tun, wenn der Prozess in Kroatien eröffnet wird. Seine sowie etliche Aussagen anderer Überlebender, die inzwischen gestorben sind, hat das kroatische Gericht aber schon längst aufgenommen, als Ašner von Zuroff angezeigt wurde.
Viele Verbrechen der Ustaša sind auch unter der jugoslawischen Regierung nicht gerichtlich verfolgt worden. Hatte man Angst, dass sich die Kroaten von dem neuen Staat abwenden würden?
In Jugoslawien hat man nach Ende des Krieges durchaus konsequent die Ustaša-Verbrechen aufgeklärt. Doch ab den späten siebziger Jahren wollte man diese Geschichten nicht mehr anrühren, da das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten sowieso schon schwierig war. Das Spezifische an der kroatischen Gesellschaft ist, dass sie es nicht versteht, was es heißt, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Kroaten wissen nicht, was ein Kriegsverbrechen ist. Der barbarische Nationalismus und der Revisionismus stehen dem entgegen. Man streitet sich immer noch darüber, ob im Konzentrationslager Jasenovac wirklich Leute systematisch ermordet worden sind, oder darüber, dass die Helden aus dem Krieg der neunziger Jahre unmöglich Kriegsverbrecher sein können.
Sie haben die Stadt Zagreb angezeigt, die ein Konzert des Rocksängers Thompson auf dem zentralen Platz der Stadt Ende Mai zugelassen hatte, bei dem Lieder und Symbole der Ustaša zu hören und zu sehen waren. Ein Polizist wurde vom Dienst suspendiert, weil er Anzeige gegen Thompson erstattete. Wie weit reicht die Sympathie mit der Ustaša in den kroatischen Behörden?
Das müssen Sie den Premierminister Ivo Sanader fragen. Der Polizist hat die Aufgabe erledigt, was sämtliche kroatischen Behören nicht getan haben. Die kroatische Nachrichtenagentur Hina meldete nach dem Konzert, dass dieses friedlich verlaufen sei. Doch die Kameraleute und Fotografen, die dort waren, konnten belegen, dass eben nicht alles friedlich verlaufen ist, es sei denn, man hält die Ustaša für eine friedliche Organisation. Dieses Verhalten von Organisationen wie Hina und der Polizei ist Normalität. Das wird sich in Kroatien nur ändern, wenn man ein Gesetz gegen nazistische Symbole erlässt, ähnlich wie es das in Deutsch­land gibt. Bevor Kroatien in die EU aufgenommen wird, sollte dafür gesorgt werden, dass ein solches Gesetz erlassen wird.
Ašner und seine Ehefrau lassen verlautbaren, dass sie sich von Juden verfolgt fühlen. Wie wird Ihre Arbeit in Kroatien aufgenommen?
Den Antisemitismus in Kroatien gab es immer und es wird ihn immer geben, dort, wo Juden sind, und auch, wo sie nicht sind. Der intellektuelle Teil der Gesellschaft hat das, was ich bisher gemacht habe, unterstützt. Doch für den größeren Teil gab es weder im Zweiten Weltkrieg noch im Krieg der neunziger Jahre Kriegsverbrechen. In diesem Zusammenhang fühlen sich die Kroaten immer von irgendjemandem verfolgt.
Gibt es ein Denkmal in Požega, das an die Ermordeten während des Zweiten Weltkriegs erinnert?
Die jugoslawischen Partisanen errichteten an dem Ort, wo das Durchgangslager in Požega war, ein Denkmal für die ermordeten Serben und Partisanen. Dieses wurde allerdings, so wie viele Partisanendenkmäler, von den Kroaten nach ihrer Unabhängigkeit 1991 zerstört. Und der jüdische Friedhof in Požega ist völlig verwildert. Einige Bewohner haben nach dem Zweiten Weltkrieg sogar ihre Häuser auf den Gräbern gebaut, wobei ihnen die Grabplatten als Fundament dienten.