Willkommen in der Fußballprovinz!

Abseits der Ergebnislisten

Im Buch »Reisen in die Fußballprovinz« werden Vereine vorgestellt, die kaum jemand kennt. Die ländliche Idylle ist allerdings auch für Nazis interessant.

Anlässlich von Welt- und Europa­meis­terschaften bekommt das sonst kaum gewürdigte Genre Fußballliteratur in den Medien stets eine gewisse Aufmerksamkeit. So räumte die Welt am Sonntag eine Woche vor der EM im Feuilleton eine Seite für »unsere liebsten Fußballbücher« frei. Um Neuerscheinungen ging es dabei allerdings nicht, sondern um die all time favourites einiger Redakteure. Die präsentierten dort eine überraschungs­freie Auswahl inklusive Biographien von Günter Netzer und Paul Gascoigne, aber immerhin ohne Nick Hornbys »Fever Pitch«. Das Konzept der Seite irritierte ein bisschen. Taugen die neuen Bücher etwa nichts? Oder hatten die WamS-Leute keine Zeit, mal reinzuschauen?
Einige Höhepunkte hat die diesjährige Fußballproduktion durchaus zu bieten. Dazu gehört ein Buch, in dem sich auch hübsche Passagen finden wie die folgende über das badische Pfullendorf, bei der man auf den ersten Blick gar nicht an Fußball denkt: »13 000 Einwohner hat das Städtchen, aber auch nur, wenn man die eingemeindeten Örtchen Denkingen (mit Andels­bach, Langgassen, Straß und Hilpensberg), Aach-Linz (mit Reute und Sahlenbach), Gaisweiler (mit Tautenbronn und Bethlehem), Großstadelhofen (mit Kleinstadelhofen, Krähenried, Sylvenstal, Furtmühle und Wattenreute), Mottschieß, Otterwang (mit Litzelbach und Weihwang) und Zell-Schwäblishausen mitzählt. Pfullendorf hat einen Wasserskipark zu bieten und die Nähe zum 20 Kilometer entfernten Bodensee. Das Konrad-Kujau-Museum, das Werke des durch die ›Hitler-Tagebücher‹ bekannt gewordenen Fälschers zur Schau stellte, ist dagegen seit Februar 2006 geschlossen.«
Christoph Ruf tut gut daran, in seine Reportage- und Gesprächssammlung »Ist doch ein geiler Verein. Reisen in die Fußballprovinz« Elemente der Reiseberichterstattung einfließen zu lassen. So kann sich der Leser ein besseres Bild machen von jenen Clubs, die er in der Regel nur aus Er­geb­nislisten kennen dürfte. Dabei kann der SC Pfullendorf immerhin auf zehn Jahre in der 3. Liga zurückblicken. Ab der kommenden Saison jedoch spielt er nur noch viertklassig, denn der Verein gehört zu den Betroffenen einer tief greifenden Reform: Weil der DFB eine 3. Bundesliga einführt und die Anzahl der vierten Ligen von neun auf drei reduziert, werden einige namhafte Clubs aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden – weil sie sich trotz waghalsiger Inves­titionen sportlich nicht qualifizieren konnten oder weil sie den Anforderungen des DFB, die für die 3. Liga etwa einen »Pressekonferenzraum für mindestens 40 Personen« vorsehen, nicht genügen.
Unter anderem den Auswirkungen dieser Reform widmet sich Ruf. Einige Clubs, bei denen er Station gemacht hat, sind sogar noch schlechter dran als Pfullendorf: Der ehemalige Europapokalhalbfinalist KFC Uerdingen, der bereits drei Insolvenzanträge innerhalb von fünf Jahren gestellt hat, spielt in der kommenden Saison in der sechsten Liga, und nur noch fünftklassig kicken künftig Tennis Borussia Berlin und der 1. FC Saarbrücken.
Der Autor hat sich für seine Reisen im wesentlichen zwei Arten von Vereinen ausgesucht: solide wirtschaftende Provinzvereine ohne Tradition und Traditionsclubs, die wegen Missmanagement, Größenwahn und vielleicht auch der Übellaunigkeit des Fußballgotts tief gefallen sind. In letztgenannte Kategorie fällt der Viertligist Waldhof Mannheim, in dessen Vereinskneipe heute Dimitrios Tsionanis, ein Manndecker der Waldhofer Schule, hinter dem Tresen steht. Vom Fußballer zum Wirt – eine Karriere alten Stils.
Um Atmosphäre einzufangen, streift Ruf nicht nur durch Vereinskneipen. Er besucht auch Clubmuseen – nein, nicht nur Werder Bremen und Manchester United haben eins, die gibt es tatsächlich sogar bei Fünftligisten. Die Spvgg Bayreuth – ein Club, den Eingeweihte im übrigen »die Altstadt« nennen – und Altona 93 unterhalten beispielsweise kleine Ruhmeshallen. Nicht zuletzt liefert Ruf Einblicke in Fanmilieus, die teilweise ein bisschen an den FC St. Pauli erinnern. Ivo Burmeister, ein in Düsseldorf lebender Fan des KFC Uerdingen, der sich immer wieder Aktionen ausdenkt, um zum Überleben seines Vereins beizutragen, reagiert auf das Stichwort St. Pauli allerdings allergisch. Ihn wurmt es, dass ein bundesweit derart populärer Verein mit dem Image des Underdogs hausieren geht. »Der Underdog schlechthin« sei schließlich Uerdingen.
Im Mittelpunkt von Rufs Geschichten stehen neben ehrenamtlichen Offiziellen Fans wie Burmeister, die teilweise in Funktionen hinein­gewachsen sind, weil ihr Verein jeden brauchen kann, der mit anpackt. Unter den Gesprächspartnern sind auch Originale wie die 85jährige Margot Langner, die noch 1998 beim Halleschen FC einen Fanclub gründete. Wenn es keine Winterpause gäbe, frotzelt Ruf, käme sie »nicht dazu, ihre Blumen zu gießen«, weil sie sich nämlich auch die Spiele der Jugendmannschaften anschaut.
Es ist aber beileibe nicht so, dass Ruf unterwegs in einer Welt war, in der es jenseits der finanziellen Probleme noch idyllisch zugeht. Den Eindruck zerstreut er spätestens durch ein Interview mit dem sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Holger Apfel, der sich zur Rekrutierungsstrategie seiner Partei in den unteren Ligen äußert. Der NPD-Funktionär, Fan von Eintracht Braunschweig, lobt die Anhänger unterklassiger Vereine dafür, dass sie »keine Erfolgsfans« seien, sondern »Leute, die sich aus Tradition und Heimatbewusstsein mit ihrem Verein identifizieren«, spult routiniert sämtliche Parolen aus dem Kommerzkritiker-Repertoire ab (»Alles, was den Markt stört, wird verhindert«; »Die Fans werden zu reinen Konsumenten degradiert«; »Es geht nur noch um Profite«) und entdeckt darin zu schlechter Letzt auch noch Parallelen zum Parteiprogramm: »Die Kritik der Fans an der Kommerzialisierung des Fußballs passt gut mit unserer Globalisierungskritik zusammen.« Mancher Leser wird sich fragen, ob das denn sein muss, dass der braune Apfel hier so viel Raum bekommt, sich zu äußern, aber eine wichtige Erkenntnis bringt dieses Interview allemal mit sich: Wer Sympathien für authentischen oder so genannten ehrlichen Fußball hat, sollte sich zwecks Abgrenzung von falschen Freunden überlegen, wie er sie formuliert.

Christoph Ruf: Ist doch ein geiler Verein. Reisen in die Fußballprovinz. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2008, 240 Seiten, 16,90 Euro