Kolumbiens Regierung profitiert von der Befreiung Betancourts

Raus aus dem Dschungelcamp

Sechs Jahre lang war Ingrid Betancourt die bekannteste unter den rund 700 Gefangenen der kolumbianischen Guerilla­gruppe Farc. Ihre Befreiung ist ein Triumph für die von Skandalen belastete Regierung Uribes.

Jaime Barrientos kann sich noch gut an den 22. Februar 2002 erinnern. Damals wie heute reckte der Journalist ungläubig den Hals, um die Bilder von Ingrid Betancourt auf dem Bildschirm mit­zubekommen. An jenem Februartag vor über sechs Jahren fuhr die Abgeordnete der grünen Par­tei Kolumbiens auf eine Mission, die sie direkt in die Gefangenschaft der Farc führte; heute sind es die Bilder einer lächelnden Ingrid Betancourt, die nach ihrer Gefangenschaft in versteck­ten Dschun­gelcamps erleichtert ist, in Freiheit zu sein.
Verantwortlich dafür ist ein Kommando der kolumbianischen Armee, das die 46jährige ge­mein­sam mit drei US-Amerikanern und elf weiteren Geiseln in der im Süden liegenden Provinz Guaviare befreite. Das Militär hatte die Operation sorgfältig geplant und in die Reihen der Guerilla einige Armeeangehörige eingeschleust. Andere Soldaten hätten sich hingegen als Sympathisanten der ältesten und größten Guerillaorganisation Lateinamerikas ausgegeben und behauptet, sie sollten auf Befehl des Farc-Anführers Alfonso Cano die Geiseln zu ihm bringen. Manche Kritiker Uribes mutmaßten, in Wahrheit sei Lösegeld bezahlt worden. Betancourt sprach jedoch von einer »perfekten Operation«.

Die Gefangenen kletterten in Handschellen in den bereitstehenden Hubschrauber, und die Crew entwaffnete schließlich auch die beiden Farc-Comandantes, die die Geiseln ins Hauptquartier der Guerilla begleiten sollten. Nicht ein Schuss fiel, und Ingrid Betancourt wertete diese Tatsache wenige Stunden später auf dem Militärflugplatz von Bogotá als »Friedenszeichen für Kolumbien«.

Ihre Reise vor sechs Jahren sollte Friedensverhandlungen fördern. Sie wollte den damaligen Farc-Oberkommandierenden Manuel Marulanda – er verstarb im März dieses Jahres – treffen und ihn davon überzeugen, mit der Regierung weiter Verhandlungen zu führen statt den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Doch die aufsehenerregende Aktion wurde nicht zu dem großen Erfolg, den sich die für die Präsidentschaftswahlen kandidierende Ingrid Betancourt erhofft hatte. Wenige Kilometer vor der Stadt Villa San Vicente de Caguán wurde der mit weißen Laken drapierte Geländewagen an einer Straßensperre gestoppt. Die beiden Journalisten, die Betancourt und ihre Wahlkampfmanagerin Clara Rojas begleiteten, kamen schnell wieder frei, doch für die beiden Frauen begann eine Geiselhaft in den Camps der 1964 gegründeten Guerilla.
Die Gefangenschaft hat Ingrid Betancourt anscheinend besser überstanden, als das letzte Video und weitere Informationen es nahelegten. Eine ausgemergelte Frau kauerte in dem letzten, Ende November 2007 veröffentlichten Video auf einer schmalen Holzbank irgendwo im kolumbianischen Dschungel. Doch nach ihrer Befreiung am Mittwoch der vergangenen Woche machte die Mutter zweier Kinder einen optimistischen Ein­druck, die 46jährige schien gesünder zu sein, als befürchtet worden war.
Die Gerüchte, dass die Politikerin der grünen Partei »Oxígeno Verde« dem Tod nahe sei und an Hepatitis B und der Tropenkrankheit Leishmaniose leide, hatten die französische Regierung veranlasst, die Anstrengungen zur Befreiung der Frau, die neben dem kolumbianischen auch einen französischen Pass besitzt, zu erhöhen. Doch die französischen Bemühungen blieben erfolglos, die US-Regierung hingegen scheint den Kolumbianern Informationen geliefert zu haben. Ihr Botschafter William Brownfield sprach von einer »engen« Zusammenarbeit auch auf geheimdienst­lichem Gebiet.
In den neunziger Jahren brachte Betancourt mit ihren Kampagnen gegen die Korruption und für Verhandlungen mit der Guerilla einige Unruhe in das politische Establishment. Auf den ersten Filmaufnahmen vom Militärflugplatz in Bogotá blickt sie verschmitzt unter dem Schlapphut hervor, den ihr einer der Befreier zur Uniformjacke gegeben hatte. Wenige Stunden später war sie wieder zur Stelle, um ihre Kinder, mitt­lerweile 22 und 19 Jahre alt, in Empfang zu nehmen. Sie flog dann nach Frankreich, ließ jedoch anklingen, dass sie sich wohl in Kolumbien wieder politisch betätigen wird. Ihr Appell, Gespräche mit der Farc zu beginnen und sich an die Nachbarstaaten Venezuela und Ecuador zu wenden, um das verlorene Vertrauen in die kolumbianische Regierung wieder herzustellen, ist dafür ein Beispiel.

Für die rechtskonservative Regierung von Álvaro Uribe Vélez ist die Befreiung von Ingrid Betancourt ein großer Triumph. Sie lenkt ab von den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, die auch gegen Mitglieder der Präsidentenfamilie we­gen der direkten Kooperation mit den Paramilitärs ermittelt. Die Befreiung wird zudem als Indiz für die anhaltende Schwächung der Farc gedeutet. Die Guerillagruppe, die sich in erster Linie durch Entführungen und die Besteuerung des Kokainhandels finanziert, hatte einst 18 000 Kämpfer. Viele von ihnen sitzen auch in kolumbianischen Gefängnissen, die Farc wollten sie im Austausch für Betancourt und andere Geiseln freipressen. Ein Handel, auf den sich Präsident Uribe nie einlassen wollte. Dafür lässt er sich nun feiern.