Der Taylorismus hat den Journalismus erreicht. Das zeigt das Beispiel »FR«

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Das Modell Frankfurter Rundschau hat Zukunft: Outsourcing, Zeitarbeit und die Produktion von Inhalten am Fließband.

Die Frankfurter Rundschau (FR) zehrt bis heute von ihrem Ruf, ein sozialliberales Blatt zu sein. Tatsächlich hat die Zeitung, die früher von einer gemeinwohlorientierten Stiftung geführt wurde, Generationen von Lesern eine kritische Sicht auf die Verhältnisse der Bonner Republik geboten. Doch bereits seit einigen Jahren ist der Qualitätsverlust nicht zu übersehen. Die sinkende Zahl der verkauften Exemplare führte im Jahr 2004 zu einer existenziellen Krise. Damals übernahm die SPD-eigene Deutsche Druck- und Verlagsgesell­schaft 40 Prozent der defizitären Zeitung und rettete sie vorläufig. Der Einstieg des Konzerns Neven-Dumont mit weiteren 50 Prozent der Anteile im Jahr 2006 schien zumindest ökonomisch eine Zukunft zu ermöglichen.
Verbunden waren damit allerdings der Abbau zahlreicher Stellen und drastische Einschnitte bei den tariflichen Leistungen für die Beschäftigten. Waren vor vier Jahren noch 1 600 Drucker, Grafiker, Verwaltungs- und Buchhaltungsangestellte und Journalisten bei der FR beschäftigt, so sind davon knapp 600 übrig geblieben. Sie ver­teilen sich auf das Redaktionsgebäude am Main­ufer und das in den achtziger Jahren, kurz vor Be­ginn der allgemeinen Zeitungskrise, errichtete Druckzentrum in Neu-Isenburg.

Schon bevor Dumont die Zeitung faktisch übernahm, hatte der Stellenabbau begonnen, und seit 2002 verzichten die Beschäftigten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Dumont reichte das nicht. Wenige Monate nach der Übernahme wurden wei­tere Stellenstreichungen angekündigt, was die Vertrauensleute von Verdi dazu brachte, mit Aktionstagen und einem Warnstreik dagegenzuhalten. Dennoch sank die Zahl der Beschäftigten, nachdem mühsam ein Sozialplan ausgehandelt worden war.
Bereits damals wurde deutlich, dass sich das so­ziale Klima bei der Frankfurter Rundschau, das jahrzehntelang durch einen sozialpartnerschaftlichen Korporatismus auf der Grundlage des Stiftungsvermögens gekennzeichnet war, grundlegend geändert hatte. Spätestens mit der Umstellung auf das kleinere Tabloid-Format und den damit einhergehenden inhaltlichen Veränderungen – mehr Bilder und Agenturmeldungen statt kritischer, hintergründiger Artikel – wurde die Zeitung zurechtgestutzt für das, was Martin Diekmann auf einer Tagung der Fachgruppe Medien von Verdi im November 2007 als »Eingliederung des Journalismus in einen neuartigen Industrialisierungsprozess« charakterisierte. Dadurch würden die Journalisten bzw. die Redaktionen letztlich zu »Produktionsfirmen, deren Kunden gar nicht die Leser und Hörer sind, sondern die Verlage und Senderunternehmen. Die Ökonomie des Journalismus besteht also darin, dass der Journalismus nicht primär Nachrichten oder sonstige Informationen verkauft – sondern Reichweiten und Quoten.«
Damit einher geht die tayloristische Zerschlagung der journalistischen Arbeitsabläufe. Die Zeitung als solche ist nur noch eine leere, standar­disierte Hülle, ein Markenname, der mit beliebigen Inhalten, Grafiken und anderem Material zu füllen ist. Die Redaktionen der Zukunft aktualisieren ihre »Contents« laufend am »Newsdesk«, liefern sie an mehrere Zeitungen und Onlineportale mit dem Ziel, Zugriffsquoten, Verkaufszahlen und damit auch das Anzeigenaufkommen zu steigern. Wer heutzutage im Internet die »Google-News« liest und auf den üblichen Vermerk »und 386 ähnliche Artikel« achtet, bekommt einen Vor­geschmack davon.

Anfang April kündigte Dumont an, Grafik, Layout, Bild, technische Redaktion und Produktionssteuerung zum 1. Juli in eine eigenständige Toch­terfirma mit dem Namen »FR Design GmbH« auszugliedern, die ihre Leistungen in Zukunft auch dem Mehrheitsgesellschafter M. Dumont-Schauberg und externen Unternehmen anbieten soll. Dazu gehören u.a. der Kölner Stadt-Anzeiger und der Express. Die in der »FR Design GmbH« Beschäftigten unterstehen – ein kleiner erwünsch­ter Nebeneffekt – nicht mehr dem Tarifvertrag für die Druckindustrie, sondern dem wesentlich ungünstigeren für Großhandel und Verlage. Betroffen davon sind 15 Personen. Der Rest der GmbH rekrutiert sich aus Mitarbeitern der hauseigenen Leiharbeitsfirma, dem Pressedienst Frankfurt (PDF).
Ebenfalls zum 1. Juli wurden die Abteilungen Rechnungswesen und Controlling an den Stamm­sitz des Konzerns Dumont-Schauberg in Köln verlagert und die entsprechenden Arbeitsverhält­nisse in Frankfurt mit Aufhebungsverträgen beendet. Von dieser Maßnahme sind 50 Beschäftigte betroffen.
Zugleich wurde bekannt, dass die weitere Zerschlagung der Belegschaft in mehrere, nicht mehr dem Tarifvertrag für die Druckindustrie unterstehende GmbHs geplant ist. Betriebsrat und Ver­trauensleute riefen daraufhin zu Protes­ten auf. Mit wachsender Verzweiflung versuchten sie, über den gewerkschaftlichen und betrieblichen Rahmen hinaus Unterstützung zu finden. So mischte sich bei einer Podiumsdiskussion der Zeitung zum Thema »1968« im Historischen Museum ein Betriebsrat unter die Referenten. Obwohl er versprach, nur still »als Denkmal für die Belegschaft« auf dem Podium sitzen zu wollen, kam es zwischenzeitlich zu tumultartigen Szenen. Auch Stefan Hebel, Mitglied der Chefredaktion der FR, und Matthias Arning, der Leiter der Stadtredaktion, waren sichtlich nervös. Es ist dem Publikum zu verdanken, dass der Betriebsrat auf dem Podium bleiben durfte, wohl auch deshalb, weil die Anspielung auf die Störaktionen der Achtundsech­ziger erkannt wurde.
Der Widerstand der Belegschaft kulminierte in zwei Warnstreiks am 29. Mai und am 12. Juni. Vor allem bei der zweiten Aktion wurde deutlich, wie schwierig es ist, wenn die kämpfende Belegschaft intern gespalten und überdies auf die Unterstützung einer kampfunwilligen Großgewerkschaft wie Verdi angewiesen ist. Das Ziel der gewerkschaft­lichen Streikleitung war es damals, die FR am 13. Juni nicht erscheinen zu lassen. Während die Drucker im Neu-Isenburger Druckzentrum die Arbeit niederlegten, kam es vor der Zentrale zu peinlichen Szenen, als Redakteure – Verdi-Mitglieder – erklärten, den Streik nicht unterstützen zu wollen. Und während die Auseinandersetzung in Frankfurt noch im Gange war, wurden die Dateien für den Druck bereits nach Köln geschickt, bearbeitet und weiterversandt. Neben einer Druckerei in Luxemburg war es vor allem die gewerkschaftlich organisierte Druckerei des Madsack-Konzerns in Hannover, die sich am Streikbruch beteiligte. Wenige Wochen zuvor noch hatte der dortige Betriebsratsvorsitzende den Vertrauensleuten der FR zugesichert, dass er es nicht zulassen würde, wenn in »seinem« Betrieb Streiks unterlaufen würden.
Rainer Maria Kalitzky, Vertrauensmann bei Verdi und Betriebsrat der FR, kommentierte am nächsten Tag in einem offenen Brief: »Praktische Solidarität ist sowohl in Köln als auch in Hannover ein Fremdwort. Diese Duckmäuser lügen unsere streikende Belegschaft an und der Verdi-Apparat schaut tatenlos zu. So wie auch in anderen Städten lassen diesen Herren Funktionäre zu, dass kämpfende Belegschaften verbrannt statt unterstützt werden.«
Derweil geht der Protest der Drucker der Frankfurter Rundschau gegen die Filettierung ihres Betriebs weiter.