Streit um die Wahlen in der Mongolei

Vor den Jurten wächst keine Blume

Die Regierungspartei betrachtet sich als Siegerin der Wahlen in der Mongolei, doch die Opposition protestiert gegen Manipulationen.

Die Ukraine, Georgien und Kirgisien haben es mit ihren orangenen, Rosen- und Tulpenrevolutionen vorgemacht. Anfang voriger Woche reihte sich auch die Mongolei unter die postsowjetischen Staaten ein, in denen die Opposition revoltiert. Allerdings fiel die Namensgebung in der von Steppe und karger Berglandschaft geprägten Region weniger blumig aus. Die Mongolen nennen sie schlicht Jurtenrevolution, nach den Zelten der nomadischen Bevölkerung.
Bei den Parlamentswahlen am 29. Juni erhielt die regierende Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MVPR) 47 von 76 Sitzen. Im Großen Hural, dem mongolischen Parlament, ist außerdem die Demokratische Partei mit 26 Abgeordneten vertreten, die restlichen drei Sitze erhielten kleinere politische Bündnisse und unabhängige Kandidaten. Die Wahlkommission spricht von »ehrlichen Wahlen« und weist jegliche Kritik zurück.
Die oppositionelle Demokratische Partei rechnete aufgrund von Meinungsumfragen vor der Wahl indes fest mit einer Mehrheit und forderte nach Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse deren Revidierung. Der Parteivorsitzende und ehemalige Premierminister Tsachiagiin Elbeg­dordsch sagte auf einer Pressekonferenz, seine Partei habe infolge von Manipulationen während der Wahl zwischen zehn und 15 Prozent der ihr zustehenden Stimmen verloren, bei der Auszählung sei sie um weitere 30 Prozent betrogen worden.

Etwa 6 000 Oppositionsanhänger versammelten sich daraufhin am Dienstag der vergangenen Woche im Zentrum der Hauptstadt Ulan Bator und forderten Neuwahlen. Am späten Abend eskalierte die Situation, als sich die Menge zur Erstürmung der Parteizentrale der MVPR entschloss, wo sich zu dem Zeitpunkt die Parteiführung, darunter auch Premierminister Sand­schaagiin Bajar, aufgehalten haben soll. Die aufgebrachte Menge setzte das Gebäude in Brand und bewarf die herbeigeeilte Feuerwehreinheit mit Steinen und Molotow-Cocktails. Darauf reagierte die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen. Einigen Berichten zufolge sollen Polizisten direkt in die Menge gezielt haben. Insgesamt fünf Menschen kamen bei den Unruhen ums Leben, etwa 300 trugen Verletzungen davon, darunter etwa 100 Angehörige der Sicherheitskräfte.
Zu Brandstiftungen kam es auch in einem Theater und in der Nationalgalerie. Nach der Plünderung eines Duty-Free-Shops landeten 281 Personen infolge übermäßigen Alkoholkonsums in den städtischen Ausnüchterungszellen. Es erfolgten etwa 500 Festnahmen. Am frühen Morgen hatte sich die Lage wieder beruhigt.
Noch am Dienstagabend verhängte Staatspräsident Nambaryn Enchbajar für vier Tage den Ausnahmezustand. Außer dem mongolischen Staatssender stellten alle Fernsehsender ihren Betrieb vorübergehend ein. Auf den Straßen der Hauptstadt sollen über 2 000 Polizisten und Soldaten weitere Unruhen verhindern. Nach dem Ende des Ausnahmezustands begannen am Wochenende Verhandlungen zwischen Repräsentanten der Demokraten und der MVPR.

Zwar gab es in der jüngeren Geschichte der Mongolei keine derart heftigen Ausschreitungen, allerdings rief die Demokratische Partei ihre Anhänger nicht zum ersten Mal auf die Straße. Bereits vor zwei Jahren setzte sie erfolglos zur ersten »Jurtenrevolution« an. Anlass war das Scheitern einer Großen Koalition zwischen der seit 1921 fast ununterbrochen regierenden, vormals prosowjetischen MVPR und den Demokraten, die sich nach den Wahlen von 2004 zu einer Zusammenarbeit genötigt sahen, weil keine Partei eine absolute Mehrheit erreicht hatte. Tsachiagiin Elbegdordsch verlor nach den Protesten seinen Posten als Premierminister, während die MVPR aus dem von ihr initiierten Koalitionsbruch gestärkt hervorging.
Die programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien sind gering, doch Elbegdordschs Sympathien gelten weniger dem nördlichen Nachbarn Russland als den USA. Er studierte im Unterschied zum Rest des politischen Establishments der Mongolei nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in den USA. Während seiner Amtszeit als Premierminister ließ er Russisch durch Englisch als offizielle erste Fremdsprache ersetzen. Damit setzte er deutlich andere Akzente als die MVPR, die nach wie vor ein enges Bündnis mit Russland befürwortet.
Angesichts der wirtschaftlichen Interessen ist es nur logisch, dass die russische Regierung das Ergebnis der Wahlen als legitim erachtet. Der staatliche russische Konzern Rosneft liefert über 90 Prozent des in der Mongolei verbrauchten Erdöls. Innerhalb der vergangenen drei Monate erhöhte Rosneft die Ölpreise bereits zwei Mal um jeweils etwa 20 Prozent. Bereits zuvor überstieg die Inflationsrate 15 Prozent, die Preiserhöhungen setzten der Bevölkerung arg zu. Auf eine Ölpreissenkung will sich die russische Regierung indes nur einlassen, wenn ihr Monopol bei der Ölversorgung dauerhaft gesichert wird.
Die Mongolei verfügt selbst über eine große Menge an Bodenschätzen, darunter Gold, Kupfer und Kohle. Russische Großkonzerne wie Sewerstal, Renowa, Basiselement und Rusal wollen von diesem Rohstoffreichtum profitieren. Von besonderem Interesse für die russische Regierung sind die bedeutenden Uranvorräte der Mongolei. Denn der staatliche Konzern Rosatom benötigt für den Ausbau der Nuklearwirtschaft die fünffache Menge des im eigenen Land verfügbaren Urans. Die kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion begonnene und in den neunziger Jahren unrentabel gewordene Erschließung von Uranvorkommen im Gebiet Dornod soll nun wieder aufgenommen werden. Bislang fehlt es an den nötigen Gesetzen, bis Jahresende will die mongolische Regierung Abhilfe schaffen und dem Parlament eine entsprechende Vorlage zur Abstimmung vorlegen.

Die US-Regierung findet sich mit der Vorherrschaft russischen Kapitals in der Mongolei nur ungern ab. Das einflussreiche Wall Street Journal veröffentlichte unlängst einen Artikel, in dem die Intensivierung des Warenverkehrs und eine engere Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich gefordert werden, aber auch dazu aufgerufen wird, die Weltöffentlichkeit gegen die russische Vormachtstellung in der Mongolei zu mobilisieren. In den politischen Streit hat die US-Regierung sich bislang nicht eingemischt, die Botschaft in Ulan Bator beschränkte sich darauf, »tiefe Besorgnis« zu äußern und beide Parteien zur Zusammen­arbeit aufzufordern. Die erstmals 2003 durchgeführten US-Militärmanöver in der Mongolei sorgen wiederum bei der chinesischen Führung seit geraumer Zeit für Verstimmungen.
Der Rohstoffreichtum der Mongolei weckt das Interesse weit mächtigerer Staaten, die auch politisch Einfluss nehmen wollen. Er gibt der politischen Führung andererseits die Möglichkeit, sich Wohlwollen zu erkaufen. Der Mindestlohn beträgt 46 Dollar, ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Im Wahlkampf versprachen beide Parteien jedem Mongolen einen persönlichen Anteil an den Rohstoffeinnahmen in Form einmaliger Zahlungen. Bei den Demokraten belief sich die Summe auf umgerechnet 860 Dollar, die MVPR setzte gar 1 300 Dollar an.