Härter arbeiten für den gleichen Lohn in Kuba

Das Ende der Gleichmacherei

Weil die Nahrungsmittelpreise steigen und die kubanische Landwirtschaft zu unproduktiv ist, werden die Löhne vorerst nicht erhöht. Härter arbeiten sollen die kubanischen Arbeiter trotzdem.

»Es ist meine Pflicht, offen zu sprechen«, sagte Raúl Castro und leitete damit die Passage seiner Rede ein, die für Ernüchterung und Enttäuschung sorgte. »Unmoralisch wäre es«, so fuhr der 77-jährige Staatschef fort, »falsche Erwartungen zu wecken.« Das allerdings war bereits geschehen, denn Osvaldo Martínez, Vorsitzender der Wirtschaftskommission des Parlaments, hatte erst vor wenigen Wochen umfassende Lohn­reformen angekündigt. Doch nun sagt Raúl Cas­tro: »Jede Lohnerhöhung, die man einführt, muss mit den Möglichkeiten der Wirtschaft korrespondieren.«
Diese Möglichkeiten sind allerdings bescheiden, denn die Wirtschaft Kubas leidet derzeit unter den steigenden Lebensmittelpreisen auf dem internationalen Markt. Noch vor einem Jahr habe eine Tonne Reis 435 Dollar gekostet, nunmehr sei der Preis auf 1 110 Dollar gestiegen; im gleichen Zeitraum sei der Weizenpreis von 297 auf 409 Dollar gestiegen, klagte Raúl Castro und warb so um Verständnis.

Allein für Lebensmittelimporte rechnet Comandante Raúl mit zusätzlichen Ausgaben von 1,1 Mil­liarden Dollar. Insgesamt wird Kuba in diesem Jahr rund 2,8 Milliarden Dollar ausgeben müssen, um Geflügel, Reis und Bohnen für die Bevölkerung zu importieren. Castro weiß nur zu gut, woran das liegt. Riesige Flächen werden in Kuba nicht mehr bestellt, 56 Prozent des Ackerbodens liegen einer Studie des statistischen Amtes zufolge brach. Kein Wunder, dass Nahrungsmittel nicht nur in der Hauptstadt Havanna knapp sind, sondern teilweise auch in ländlichen Regionen.
Die wichtigste Herausforderung ist es, die land­wirtschaftliche Produktivität zu erhöhen. Deshalb sollen neben den staatlichen Großbetrieben verstärkt Kleinbetriebe gefördert werden. »Wir müssen das Land wieder produktiv machen«, lau­tet der Appell des ehemaligen Verteidigungs­ministers. Er verwies auf die Armee, die erhebliche Mengen an Nahrungsmitteln produziert und verkauft. An deren Beispiel solle man sich orientieren.
Nach langen Monaten des Wartens soll nun bald bekannt gegeben werden, wie staatliches Ackerland zur Nutzung an private Bauern weitergegeben wird. Für die kubanische Regierung eine wesentliche Maßnahme, um die Versorgung zu verbessern und die Nahrungsmittelimporte zu reduzieren. Doch wie und zu welchen Bedingungen angebaut, geerntet und gehandelt werden soll, ist noch unklar.

Klar ist jedoch, dass fortan jeder nach seiner Arbeitsleistung bezahlt werden soll. »Sozialismus bedeutet soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, aber Gleichheit vor dem Recht und an Möglichkeiten, nicht beim Einkommen. Gleichheit ist nicht Gleichmacherei«, erläuterte Raúl Castro vor der Nationalversammlung. Gleichzeitig mit dem angekündigten Ende der »Gleichmacherei«, die letztlich die ohnehin schon beachtlichen Einkom­mensunterschiede legitimiert, sollen auch die staatlichen Subventionen und Vergünstigungen reduziert werden. Angekündigt wurden zudem Maßnahmen zur Bekämpfung des Diebstahls in den Betrieben und die Einführung eines effek­tiven Steuer- und Abgabensystems.
Für die Bevölkerung sind das nicht gerade ­rosige Aussichten, denn Comandante Raúl verlangt von den Kubanern, mehr, effizienter und auch länger zu arbeiten – bei unverändertem Lohn­niveau. Mit Ernüchterung wurde das in Havanna aufgenommen, denn man hatte sich von der ersten Rede des neuen Staatschefs vor dem Parlament Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation versprochen. Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez kommentierte: »An den drei grundlegenden Problemen, dem Wohnungsmangel, der schwierigen Versorgungs­lage und den fehlenden Freiheiten im ökonomischen wie politischen Bereich hat sich nichts geändert.« Viele Kubaner warten nun auf die zweite Rede Castros, die zum Revolutionsfeiertag am 26. Juli ansteht, und hoffen, dass er dann Erfreu­licheres mitzuteilen hat.