Streit in Indien über ein Nuklearabkommen mit den USA

AKW ja, aber nicht aus Amerika

Linke und rechte Oppositionsparteien in ­Indien protestieren gegen das Nuklear­abkommen mit den USA.

Die Parteien gaben sich Mühe, möglichst viele Ab­geordnete zur Abstimmung zu bringen. Zwei Par­lamentariern, die derzeit wegen Mordes im Ge­fäng­nis sitzen, wurde Freigang gewährt, einige andere wurden auf Krankenbetten in den Saal geschoben. Um gegen angeblichen Stimmenkauf zu protestieren, warfen während der Debatte drei Abgeordnete der hindu-nationalistischen BJP Säcke mit Bargeld auf das Pult, hinter dem Rahul Gandhi von der Kongress-Partei redete.
Die von mehreren indischen Fernsehsendern live übertragene Abstimmung am Dienstag der vergangenen Woche über das Nuklearabkommen mit den USA sorgte für großes Aufsehen, zu­mal eine Niederlage des Premierministers Manmohan Singh (Congress) wohl zu Neuwahlen geführt hätte. Seit vier Jahren regiert die Koali­tion United Progressive Alliance (UPA), doch sie hat keine Mehrheit im Parlament und muss sich daher von der Left Front, der Allianz kommu­nis­tischer Parteien, dulden lassen. Anfang Juli verweigerte die Left Front der Regierung jegliche wei­tere Unterstützung; da auch die BJP das Nuklearabkommen ablehnt, sah es schlecht aus für Singh.
Der 2005 mit den USA ausgehandelte Vertrag soll Indien den Erwerb von Technik zum Bau von Atomanlagen und von nuklearem Brennstoff für den zivilen Gebrauch ermöglichen. Indien würde damit eine Sonderstellung eingeräumt, da das Land zwar Atomwaffen besitzt, aber nie den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und deshalb eigentlich vom internationalen Nuklearhandel ausgeschlossen ist. Um die Ausnahme zu legitimieren, sollen die zivilen Atomanlagen künftig von der IAEA kontrolliert werden.

Diese Regelung empört die kommunistischen Parteien, die darin eine Verletzung der nationalen Souveränität sehen und der Regierung vorwerfen, das Land unter die indirekte Kontrolle der USA zu stellen. Weniger entschieden war die BJP, die den Nukleardeal zunächst unterstützte, dann aber aus machtstrategischem Kalkül ablehnte. Letztlich errang die UPA mit 275 zu 256 Stimmen einen relativ deutlichen Sieg.
»275 – Primeminister nukes them all!« verkündete am nächsten Tag die englischsprachige Tageszeitung Deccan Chronicle. Präsident George W. Bush übermittelte seine Glückwünsche und be­sprach zwei Tage nach dem Votum das weitere Vorgehen mit Singh. Denn es gibt noch einiges zu klären, eine Einigung mit der IAEA steht aus, auch der Kongress in den USA muss noch über den Vertrag beraten. In beiden Fällen gilt eine Zu­stimmung jedoch als wahrscheinlich.
Die USA haben dann einen neuen Absatzmarkt für ihre Atomindustrie erschlossen. Wichtiger dürfte jedoch das Bestreben sein, den Einfluss Chi­nas zu mindern. Dass Indien eine so bevorzug­te Behandlung erfährt, ist zudem eine Warnung an die pakistanische Oligarchie. Der indische Ein­fluss wird durch das Bündnis mit den USA gestärkt, überdies erhält das Land Zugang zu moder­ner Atomtechnologie. Derzeit liefern die indischen Atommeiler nur knapp drei Prozent des verbrauchten Stroms. Doch bis zum Bau der ersten Reaktoren wird es noch Jahre dauern, und der Energiemangel führt zu immer häufigeren Unterbrechungen der Stromversorgung.
Die IT-Firmen in Hyderabad erhalten mit Generatoren ihren Betrieb aufrecht, doch die Bauern können ohne Strom kein Grundwasser abpumpen und ihre Felder nicht bewässern. Solche Probleme und die steigenden Preise beschäftigen große Teile der Bevölkerung mehr als das Nuklearabkommen. Daher ist es fraglich, ob die nationalistische Rhetorik Rahul Gandhis und anderer Congress-Politiker die Bevölkerung zufrieden stellen kann. Großmachtsphantasien und Nationalstolz bedient die BJP momentan besser.