Die gesellschaftlichen Folgen der Finanzkrise

Amy weiß es besser als George

Bislang hatten die Krisen des Finanzsystems keine größeren gesellschaftlichen Folgen. Doch es gibt keine Garantie dafür, dass es so bleibt.

»Keine Frage, die Wall Street war besoffen, sie war besoffen und hat nun einen Kater.« Irrtümlich der Ansicht, dass keine Kamera mehr lief, redete George W. Bush bei einer Veranstaltung in River Oaks am vergangenen Freitag offener als gewöhn­lich. »Die Frage ist: Wie lange wird sie nüchtern bleiben?«
Bush spricht aus Erfahrung, nicht nur was übermäßigen Alkoholgenuss betrifft. Der Absolvent der Harvard Business School war maßgeblich am Ruin zweier Firmen beteiligt, die nur durch politisch motivierte Aufkäufe gerettet wurden. Bush mag ein unfähiger Manager mit beschränktem Horizont sein. Eben deshalb versteht er wenigstens einige Mechanismen der Wirtschaft, denn seinesgleichen findet sich zuhauf in den Füh­rungs­­etagen der Konzerne.
Außer den Investoren ahnten fast alle, dass es irgendwann zu einer Krise kommen würde, als in den neunziger Jahren jeder mit Millionen über­schüttet wurde, der laut genug »­­e-commerce« brüllte. Dass viele US-Bürger ohne Vermögen und ausreichendes Einkommen irgendwann mit den Ratenzahlungen für ihre Häuser in Verzug kommen würden, war auch nicht schwer zu erraten.

Als der Playboy vor zwei Jahren einige Models um Anlagetipps bat, überflügelte Amy Sue Cooper mit 32 Prozent Kursgewinn den besten US-Investmentfonds, der es nur auf 20 Prozent brachte. Wenn Sie also Geld anlegen wollen, fragen Sie lieber Amy als Ihren Bankberater. Wenn Sie hingegen wissen wollen, was das alles nun für Ihre mehr oder minder prekäre Existenz bedeutet, kann Ihnen das keiner so genau sagen.
Alle kapitalistischen Krisen sind Überproduktionskrisen. Die Ausweitung der Produktion ist nicht profitabel genug, deshalb sucht die globale Geschäftswelt verzweifelt nach einer neuen Anlagemöglichkeit. Wird sie entdeckt, verfällt ein beachtlicher Teil der Bourgeoisie in einen kollektiven Rauschzustand. Allerdings würde kaum ein Trinker am nächsten Morgen verlangen, dass der Staat das Aspirin und auch noch die Kneipenrechnung bezahlt. Manager sind da weniger zurückhaltend, sie fordern staatliche Unterstützung und bekommen sie auch.
Dieses System funktioniert erstaunlich gut. In den diversen Krisen wird überschüssiges Kapital vernichtet, der Staat verhindert tiefgreifende Folgen. Sicherlich hätte man mit dem vielen Geld Nützlicheres anfangen können, der anderen Form globaler Kapitalvernichtung, dem Weltkrieg, ist dieses System jedoch allemal vorzuziehen. Dass der von vielen Linken seit etwa einem Vierteljahr­hundert vorhergesagte unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch des globalen Finanzsystems bislang ausblieb, bedeutet allerdings nicht, dass es nie so weit kommen kann. Die gefürchtete Kettenreaktion, ein durch staatliche Maßnahmen nicht mehr aufzuhaltendes Übergreifen einer Krise im Finanzsystem auf alle Branchen, ist möglich. Doch um vorhersehbar zu sein, müsste das Treiben der Manager rationalen Kriterien folgen.

Es ist einem Bourgeois wohl tatsächlich unmöglich, zu erkennen, dass nicht die miese Shoppinglaune, sondern Geldmangel den Absatz seiner Waren behindert. Die sinkende Kaufkraft, verstärkt durch die Inflation, ist das zweite Element der derzeitigen Überproduktionskrise. Sie trifft in den USA General Motors, aber auch die Firma Starbucks, der die Agen­tur Bloomberg bescheinigte, sie habe ihr Filialennetz für »weniger wohlhabende Kunden erweitert, die jetzt auf wirtschaftliche Belastungen reagieren«.
Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist möglich, und da drei Viertel der Menschheit noch immer auf die Segnungen der Konsumgesellschaft warten, gäbe es auch potenzielle Käufer für eine gesteigerte Warenproduktion. Doch die Bourgeoisie müsste zu ihrem Glück gezwungen werden, zu einem New Deal, der den Kapitalverkehr stärker reguliert, die Profite vorübergehend schmä­lert und die Kaufkraft erhöht.
Franklin D. Roosevelts New Deal war keine einsame Entscheidung eines weisen Präsidenten, die dreißiger Jahre waren eine Zeit heftiger Klassenkämpfe in den USA. Viele Unternehmer setzten Todesschwadronenen gegen die Gewerkschaften ein, gegen die Betriebsbesetzer in Flint und anderswo brachte die Nationalgarde Maschinengewehre in Stellung. Doch am Ende hatte die Gewerkschaftsbewegung Tarifverträge erkämpft, die es ermöglichten, dass auch Arbeiter sozial abgesichert werden und es zu einem gewissen Wohl­stand bringen können.
Dieser Status wird nun, nicht nur in den USA, in Frage gestellt, und es ist für jeden, der nicht Betriebswirtschaft studiert hat, offensichtlich, dass dieser Trend die Rezession verstärken wird. Die Obamania oder auch die Oskaromania helfen da nicht weiter. Nur neue soziale Kämpfe können eine sozialdemokratische Politik durchsetzen, die wiederum die Bedingungen für die gesellschaftliche Emanzipation verbessern würde. Es gibt zwar ein diffuses Verlangen nach change oder sozialer Gerechtigkeit, doch die Lohnabhängigen bleiben apathisch, während die vorübergehend ernüchterte Bourgeoisie wohl schon die nächste reizvolle Bar sucht.