Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA

Fannie, Freddie & Co

Erst waren die Häuser und einige kleine Hypo­thekenbanken futsch, jetzt mussten Fannie und Freddie fast dran glauben. Die Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA hat ihr Ende noch lange nicht erreicht.

Die Prognosen und Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung in den USA, vor allem aber ihre völlig unterschiedliche Bewertung durch die Kommentatoren der diversen Medien, scheinen auf den ersten Blick verwirrend. Der Wert des Dollars steigt wieder, während die Ölpreise sinken, das Bruttoinlandsprodukt wächst um 2,7 Prozent und die Börse jubelt. Man könnte meinen, die Gefahr einer ausgewachsenen Rezession sei ausgestanden. Dahinter stehen allerdings längerfristige Trends, die in eine andere Richtung deuten. Im Juni stieg die Inflationsrate mit fünf Prozent auf den höchsten Wert seit 1991. US-Notenbankpräsident Ben Bernanke warnte bei der halbjährlichen Senatsanhörung vor den negativen Entwicklungen der US-Wirtschaft und der hohen Gefahr einer steigenden Inflation.
Zudem legte Bernanke den neuesten Vierteljahresbericht über die US-Wirtschaft, das so genannte »Beige Book«, vor. In diesem wimmelt es von diplomatischen Formulierungen, so dass der New Yorker Focus-Korrespondent Jürgen Schönstein diese als Ansammlung »euphemistischer Synonyme für ›wirtschaftliche Talfahrt‹« kommentierte. Von einem generell »erhöhten oder wachsenden Preisdruck« sei da zu lesen; Begriffe wie »Abschwächung« oder »Aufweichung« zögen sich durch den gesamten Text. »Vermutlich hätten sie auch geschrieben, dass Hurrikan Katrina ›ein wenig windig‹« war, merkte Schönstein an.

Während jahrzehntelang gerade der US-Wirtschaft eine Leitfunktion für die weltweite ökonomische Entwicklung zugeschrieben wurde, haben in der jüngsten Vergangenheit die noch relativ stabile Weltkonjunktur und der schwache US-Dollar die amerikanische Industrie gestützt. Doch mit der schwächer werdenden Weltwirtschaftslage, fällt auch dieser Stabilitätsfaktor langsam weg. Dass es der Weltwirtschaft wiederum gerade gar nicht gut geht, hat unter anderem auch etwas mit der US-Finanzkrise zu tun.
Vergangenen Montag bestätigte das Budget-Amt des Weißen Hauses, dass das Jahr 2008 voraussichtlich mit einem Rekord-Haushaltsdefizit von 482 Milliarden Dollar abgeschlossen werden wird. Das bisherige Rekordminus wurde im Jahr 2004 erreicht. Damals lag das Defizit bei 413 Milliarden Dollar. Auch die Arbeitslosenzahlen in den USA sprechen eine klare Sprache. Die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung stiegen in der vergangenen Woche um 34 000 auf über 406 000. Das bedeutet, man geht mittlerweile von ernsthaften und nicht nur saisonbedingten Problemen am Arbeitsmarkt aus. Und während Ökonomen noch darüber debattieren, ob die US-Wirtschaft bereits in der Rezession angekommen ist, geraten immer mehr Haushalte in immer größere Finanznöte. Nach John Cavanagh und Chuck Collins vom Washingtoner Forschungsinstitut Institute for Policy Studies ist die Verschuldung der US-Haushalte inzwischen auf dem höchsten Niveau seit 1933 angekommen. Der Kongress lud vergangene Woche zu einer Expertenanhörung über die soziale Situation der US-Bürger. »Noch nie seit der Depression der dreißiger Jahre standen derart viele Familien am Abgrund«, erklärte die Harvard- Professorin Eli­zabeth Warren. Inzwischen müssen die Amerikaner, laut Warren, zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens aufwenden, um ihre Kreditkartenschulden abzubezahlen.

Rund drei Millionen Hausbesitzer in den USA können sich momentan ihre Hypothekenzinsen nicht mehr leisten und stehen sogar kurz davor, ihr Haus zu verlieren. Etwa 1,5 Millionen Häuser wurden in den letzten Monaten zwangsversteigert. Regierung und Kongress haben zwei Notaktionen gestartet, um den Markt vor dem Kollaps zu retten. Der Senat beschloss ein Hilfspaket für Hausbesitzer im Wert von 300 Milliarden Dollar, wodurch Eigenheimbesitzer neue Hypotheken erhalten und der Zwangsräumung entgehen sollen. Diese Maßnahme ist zum einen dem Wahlkampf geschuldet, zum anderen dem Versuch, den Konsumenten wieder zu mehr Liquidität zu verhelfen; wobei die Auswirkungen dieses Paketes kaum nachhaltiger sein dürften als die des Steuerschecks über 300 Dollar, den die Regierung im Frühjahr an jeden Steuerzahler verschickte.
Einen Tag nach dem Beschluss, den Hausbesitzern zu helfen, stellte die Regierung den beiden Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac Notfallkredite in noch unbekannter Höhe in Aussicht. Fannie Mae (ursprünglich Federal National Mortgage Association, FNMA) ist eine 1938 gegründete staatlich geförderte Hypothekenbank. Freddie Mac (Federal Home Loan Mortgage Corporation), ebenfalls staatlich gefördert, kauft Hypothekenkredite von Banken, fasst diese Kredite zusammen und bringt sie auf die Finanzmärkte. Da die beiden Institute zwar privatwirtschaftlich organisiert sind, aber von der US-Regierung gefördert werden, waren sie bisher in der Lage, günstige Immobilienkredite an kleine Sparer zu vermitteln.
Schon lange hatten Experten vorausgesagt, dass die US-Regierung einen Zusammenbruch der beiden Institute nicht zulassen würde, da in einem solchen Fall ein echter Kollaps des US-Immobilienmarktes bevorstände. Die beiden Banken halten nach dem Rückzug vieler Geldinstitute den Markt für Hypotheken fast allein am Laufen. Aber auch eine völlige Verstaatlichung der beiden öffentlich-rechtlichen Baufinanzierer – die kurzzeitig im Gespräch war – wäre für die US-Regierung kaum verkraftbar gewesen. Die beiden sitzen auf Hypotheken in Höhe von gut fünf Billionen Dollar, die, bei einer staatlichen Übernahme, die Staatsverschuldung der USA glatt verdoppelt hätten. Die jetzt gefundene Lösung bedeutet allerdings, dass auf die US-Regierung ein Risikopotenzial in unbekannter Höhe wartet.
Der ehemalige Präsident der US-Notenbank-Regionaldirektion von St. Louis, William Poole, sprach sich am Montag bereits für die Abschaffung der beiden halbstaatlichen Hypothekenfinanzierer aus. Gegenwärtig sei es allerdings noch nötig, die beiden zu unterstützen, schreibt er in einem Gastkommentar für die New York Times vom vergangenen Montag. »Ihnen zu gestatten, zahlungsunfähig zu werden, würde eine weltweite Krise zur Folge haben«, erklärt er. Der US-Kongress habe die Lage selbst verschuldet, indem er Fannie Mae und Freddie Mac einen »sonderbaren und sehr vorteilhaften Status als quasi-öffentliche Agenturen und quasi-private Unternehmen« eingeräumt habe, ohne sie zu verpflichten, ausreichend Kapital zu halten.

Die beiden Banken mit den harmlosen Spitznamen sorgten zwar hierzulande für die größten Schlagzeilen, doch ging auch die Serie von Bankenpleiten in den vergangenen Wochen weiter. Die Behörden schlossen die First National Bank of Nevada und die First Heritage Bank of California. Der Einlagensicherungsfonds sprang mit umgerechnet einer halben Milliarde Euro ein. Damit sind allein in diesem Jahr bereits sieben US-Banken kollabiert. Mitte Juli wurde der größte unabhängige börsennotierte Baufinanzierer Indymac vom Staat übernommen, nachdem das Kreditinstitut große Kapitalschwierigkeiten hatte. Indymac war die drittgrößte Bankenpleite in der US-Geschichte überhaupt.
Zu recht wies Heiner Stuhlfauth, mit Blick auf die Geschichte der führenden kapitalistischen Wirtschaftsmächte, darauf hin, »dass – nachdem die führende Weltmacht ihre wirtschaftliche Innovationskraft und Vormachtstellung eingebüßt hat – noch eine mitunter sehr lange Phase der ›Finanzialisierung‹ folgen kann, in der das Imperium sozusagen die Ernte einfährt, kraft seiner Handels- und Militärpräsenz auf dem Globus: billige Waren und Rohstoffe, ohne selbst viel dafür zu leisten. In diese Phase sind die USA unter Ronald Reagan eingetreten; seitdem haben sie immense Schulden angehäuft und ein Handels­bilanzdefizit, das jeden anderen Staat der Welt ruinieren würde. Doch wer will gegenüber der größten Militärmacht der Welt den Schuldeneintreiber spielen? Und wer wagt es, ihr vorzuschreiben, wie viele Dollars sie druckt und in Umlauf bringt?« (Jungle World 28/08)
Es stellt sich nur die Frage, was passiert, wenn das System von innen zerbricht. Momentan deutet zwar wenig auf einen Crash der US-Wirtschaft hin, denn dieser wird von der US-Regierung etwa im Fall der beiden Hypothekenbanken Freddie und Fannie mit massiven Interventionen verhindert. Diese Eingriffe entsprechen zwar ganz und gar nicht der eigenen neoliberalen Ideologie, sind aber alternativlos. Doch hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, den immer größer werdenden Schuldenberg und die nicht endenden Pleitenserie zu regulieren, nähern sich die USA ihrer Kapazitätsgrenze.
Mit voreiligen Untergangsszenarien sollte man seriöserweise vorsichtig umgehen, zumal sich apokalyptische Prognosen über die Zukunft des US-Imperiums in letzter Zeit einer zu großen Beliebtheit erfreuen. Doch während die ehemalige Handels- und spätere Finanzmacht Venedig bereits seit einigen Jahrhunderten in morbider Schönheit friedlich vor sich hin darbt, könnte es tatsächlich sein, dass der nächste größere Wirtschaftszusammenbruch in den USA den entscheidenden Schub für eine Rezession bedeutet, die die ökonomischen Kräfteverhältnisse gravierend verändern könnte und mit ziemlicher Sicherheit ein außerordentlich zerstörerisches Potenzial hätte.