Skandal um eine Polemik gegen Präsidentensohn Jean Sarkozy in Charlie Hebdo

Ne touche pas le Präsidentensohn!

Witze über Religionen gehören zur Blattlinie der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo. Jetzt sorgt eine Polemik gegen den Präsidentensohn Jean Sarkozy für Wirbel. Bedient der Comic des langjährigen Zeichners Siné antijüdische Klischees?

Dicke Luft in der Redaktion, Hunderte von E-Mails mit zum Teil heftigen Reaktionen – und mehrere tausend Leserkommentare auf einschlägigen Blogs, wo die Beiträge zum Thema in den ersten Tagen über 100 000 mal gelesen wurden: Kaum jemanden schienen die Vorgänge bei der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo in den vergangenen 14 Tagen kalt zu lassen.
Am vergangenen Mittwoch erschien die Wochenzeitung erstmals ohne die regelmäßige Rubrik ihres langjährigen Zeichners Siné. Dem 79jährigen – mit bürgerlichem Namen Maurice Sinet – werden anarchistische Tendenzen und Sympathien, aber auch ein ziemlich sturer Dick­kopf und ein mitunter griesgrämiger Charakter nachgesagt. Seit mehreren Jahrzehnten arbeitete er bei der ursprünglich einmal antiautoritären und linksradikalen, heute eher liberal-antiklerikalen Wochenzeitung. Damit ist nun Schluss. Herausgeber und Chefredakteur Philippe Val kündigte ihm die Zusammenarbeit auf.
Auslöser des Streits ist eine am 2. Juli erschienene Kolumne Sinés. In seinem üblichen Stil – in einer mit kleinen Comicbildern und viel Krakelschrift ausgefüllten Spalte – hatte Siné sich einmal mehr sarkastisch bis hämisch über eine Reihe von Persönlichkeiten, Gruppen und Institutionen ausgelassen. Den Stein des Anstoßes bildete dabei folgende Passage: »Jean Sarkozy, würdiger Sohn seines Vaters und schon jetzt (mit 21 Jahren; B.S.) UMP-Bezirksparlamentarier, ist nahezu unter Applaussalven aus dem Gerichtssaal herausgekommen, wo er wegen Fahrerflucht angeklagt war. Der Staatsanwalt hat – einmal mehr! – Freispruch für ihn ge­fordert! Man muss dazu sagen, dass der Kläger Araber war! Das ist nicht alles: Er (Jean Sarkozy; B.S.) hat soeben erklärt, dass er zum Judentum konvertieren möchte, bevor er seine Verlobte ehelicht, die Jüdin und Erbin des Gründers (der Versandkaufhäuser) Darty ist. Er wird es im Leben weit bringen, der Kleine!«
Nachdem diese Zeilen erschienen waren, geschah zunächst einige Tage lang gar nichts. Aber am 8. Juli erklärte Claude Askolovitch, Journalist beim sozialliberalen Wochenmagazin Nouvel Observateur, in einer Radiosendung, es handele sich bei dieser Kolumne um »einen antisemitischen Text in einer Zeitung, die nicht antisemitisch ist«. Daraufhin berief der Herausgeber Philippe Val eine Redaktionskonferenz ein. Er forderte Siné dazu auf, eine Entschuldigung zu formulieren. Zum einen stimmte Val der Auffassung zu, der Text könne zumindest als antisemitisch ausgelegt werden – indem er nämlich den Eindruck erweckt, um es »weit zu bringen« in der französischen Gesellschaft, müsse man etwas mit dem Judentum zu tun haben. Auf der anderen Seite wünschte Val sich aber auch eine Entschuldigung gegenüber Jean Sarkozy und seiner Verlobten, Jessica Darty, die sich beleidigt fühlen könnten.
Siné legte daraufhin einen Text vor, der eine Richtigstellung enthielt, der dann aber nicht in Charlie Hebdo erschien. Den Wortlaut allerdings machten dann die beiden Websites Marianne2 und Rue89 öffentlich. Siné hatte folgendes formuliert: »Gut, es stimmt, dass das schlecht interpretiert werden konnte. Ich wollte die Idiotie kritisieren, die darin besteht, zu einer Religion – welcher auch immer – zu konvertieren, sowie die Faszination der Familie Sarkozy für den Zaster. Ich habe meine Aussage zusammengekürzt, und was letztlich davon übriggeblieben ist, kann als zweideutiger und verurteilungswürdiger Kurzschluss analysiert werden. Ich ent­schuldige mich gegenüber jenen, die es so verstanden haben.« Damit meinte er den »Kurzschluss«, der Juden mit Geld und einer vermeintlichen geheimen Macht assoziiert. Bei Jean Sarkozy und der Millionärserbin Jessica Darty bat er allerdings nicht um Pardon.
Das hätte es gewesen sein können. Kurz darauf erfuhr Siné aber, dass die darauf folgende Ausgabe nicht nur seinen Richtigstellungstext enthalten sollte, sondern auch eine von Val formulierte und angeblich von allen Mitarbeitern unterschriebene Erklärung, wonach »wir einstim­mig die letzte Phantasie Sinés verurteilen«. Der mit »die Redaktion« unterschriebene Beitrag sollte zudem den Satz enthalten: »Die Verletzung unserer gemeinsamen Werte hat keinen Platz in unserer Zeitung.« Damit wurde Siné symbolisch der Stuhl vor die Tür gestellt und der behauptete antisemitische Charakter seiner Kolumne ausdrücklich bestätigt.
Siné zog seine Richtigstellung zurück. Infolge­dessen kündigte Philippe Val ihm die Zusammenarbeit auf. In einem von ihm gezeichneten Artikel erklärte Val zudem, die Verbreitung des »Gerüchts« über den angeblichen Konversionswunsch von Sarkozy junior sei nicht »akzeptabel«, außerdem käme man vor Gericht damit nicht durch. Der frühere Le Monde-Chefredakteur Edwy Plenel mutmaßte daraufhin, die Furcht vor einem Prozess, den der Präsidentensohn anstrengen könnte, habe Val zum Rausschmiss des langjährigen Mitarbeiters veranlasst. Zumal die Familie Sarkozy bereits mehrfach Journalisten und Kritiker durch exzessive Prozessdrohungen eingeschüchtert hat.
Es bleibt die Sache selbst, also die Worte, die Siné in seiner Kolumne niederschrieb. Hegte er dabei antisemitische Ressentiments, etwa dergestalt, dass er einen Zusammenhang zwischen sozialer Situation bestimmter Gruppen in der französischen Gesellschaft und ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit zog? Eine oberflächliche Betrachtung könnte diesen Schluss zulassen: Der »arabische« Verlierer im Fahrerfluchtprozess gegen Jean Sarkozy steht der »jüdischen« Millionärserbin gegenüber. Nur ist die Frage, ob genau dieser »Zusammenhang« vom Autor so intendiert war.
Aus der Lektüre der umstrittenen Kolumne ergibt sich dies unterdessen nicht: Dass insbesondere die Nachfahren »arabischer« oder af­rikanischer Einwanderer durch das französische Polizei- und Justizsystem oft überdeutlich benachteiligt werden, ist ein kaum bestreitbares Faktum. Dass der junge Jean Sarkozy schon heute ein hemmungsloser Karrierist und Op­por­tunist ist, dürfte sich ebenfalls schwer wider­legen lassen. Und dass jemand wie er eher einer Multimillionärin denn einer hübschen Supermarktkassiererin etwas abgewinnen kann, dürf­te ebenfalls niemanden ver­wundern.
Last but not least kann man es Siné auch nicht prinzipiell übel nehmen, dass er etwas gegen eine religiöse Konversion im allgemeinen und gegen einen von ihm als opportunistisch empfundenen Religionsübertritt im besonderen ein­zuwenden hat. Vor allem muss man die Persönlichkeit Sinés kennen, die sich durch eine strikte, oft barsche Frontstellung gegen Reli­gions­gruppen aller Couleur auszeichnet. Am 11. Juni, keine vier Wochen vor dem jüngsten Skandal, hatte er in seiner wöchentlichen Kolumne geschrieben: »Ich gestehe ein, dass die Muslime mir immer unerträglicher werden, und je mehr ich Kopftuch tragenden Frauen in meinem Stadtteil begegne, desto mehr habe ich Lust, ihnen heftig den Arsch zu versohlen.« Wie so oft trennte Siné in seinem Verständnis von Antiklerikalismus dabei nicht scharf zwischen der Ablehnung einer Religion oder aller Religionen sowie dem Angriff auf ihre indivi­duellen Mitglieder als Personen.
Zudem gehört der Spott über Religionen zur Blattlinie von Charlie Hebdo. Das Magazin gehörte 2006 zu den wenigen Zeitschriften, die die Karikaturen mit dem Gesicht Mohammeds aus der dänischen Jyllands-Posten nachdruckten und damit eine Menge Ärger riskierten.
Aber auch wenn der unmittelbare Anlass für die Eskalation in der Charlie-Redaktion, die Kolumne vom 2. Juli, nicht unbedingt den nach­weisbaren Vorwurf des Antisemitismus begrün­den kann: Es bleibt der Verdacht, dass Siné genau dieses unausgesprochene Ressentiment, das von Kritikern benannt wird, also die Assimila­tion von Juden mit »Reichtum und Erfolg«, in seinem Hinterkopf durchaus kultiviert.
Im Juni 2004 hatte der Zeichner an einem gemeinsamen Auftritt mit dem später wegen antisemitischer Äußerungen verurteilten Schauspieler Dieudonné M’bala M’bala und dem Berufsprovokateur und späteren Le-Pen-Intimus Alain Soral teilgenommen. Angeblich, um die »pa­lästinensische Sache« zu unterstützen, wäh­rend die PLO-Generaldelegierte in Frankreich – Leila Shahid – sich freilich klar von ihnen distanzierte.
Solche Kontakte sprechen nicht unbedingt da­für, dass Siné sich entschieden genug vom Antisemitismus abgrenzt. Zugleich scheint dem Chefredakteur Philippe Val der Skandal nicht ganz ungelegen zu kommen. Denn Val strebt unzweideutig seit Jahren in die staatstragende »linke Mitte« und versucht, mit der diffus linksradikalen Tradition, für die ein Urgestein wie Siné steht, zu brechen. Dass der Heraus­geber also den antiautoritären Wirrkopf loswer­den wollte, ist plausibel. An der notwendigen Kritik der Ressentiments, welche der Zeichner mitunter nährt, ändert dies hingegen nichts.