Wirtschaftskrise in Italien

Robin Hood in Italien

Die Wirtschaftslage in Italien ist desolat. Die Regierung reagiert darauf mit radi­kalen Einsparungen im öffentlichen Bereich und populistischen Maßnahmen.

Urlaub in Italien ist teuer. Schon die Reise an den Urlaubsort ist kostspielig: zur Autobahngebühr und den Benzinpreisen kommen in diesem Jahr noch erhöhte Kosten für den Fährbetrieb. Wer auf dem Festland bleibt, spart wenig. Entlang der kilometerlangen Küste finden sich immer we­niger freie Strände. Mit dem Eintritt fürs Strandbad und der Miete für den obligatorischen Liegestuhl und den dazugehörigen Sonnenschirm kann ein Tag am Meer schnell mehr als 30 Euro kosten. Das können sich in diesem Jahr nicht alle Italiener leisten. Einer Studie des Hotel- und Tourismusverbandes zufolge wird nur jeder Zwei­te zum höchsten italienischen Sonnenfeiertag, dem heiligen »Ferragosto« am 15. August, ans Meer fahren. Die Urlaubsflaute liegt jedoch nicht nur an den erhöhten Strandpreisen.
Die wirtschaftliche Situation Italiens ist de­solat. Alle Zahlen, die zum Abschluss des ersten Semesters 2008 veröffentlicht wurden, bestätigen die depressive Stimmung im Land. Die führen­de italienische Wirtschaftszeitung Il Sole 24 ore spricht von Stagflation, das heißt: die wirtschaftliche Produktion stagniert und die Preise steigen. Tatsächlich tendiert das italienische Wirtschaftswachstum mit 0,4 Prozent auch im vierten Jahr in Folge gegen Null. Italien liegt damit deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Gleichzeitig stiegen nach Angaben des staatlichen Statis­tikamts die Preise im Juni um 3,8 Prozent. Erhöht haben sich nicht nur die Energie- und Trans­portkosten, sondern vor allem die Preise für ­Lebensmittel. Brot ist im Vergleich zum Vorjahr 13 Prozent teurer geworden, die Pasta kostet sogar 20 Prozent mehr.
Mario Draghi, der Vorsitzende der italienischen Staatsbank, gibt zu, dass die Situation »schwierig« und der Anstieg der Inflationsrate »dauerhaf­ter« sei als ursprünglich vorhergesehen. Es komme nun darauf an, »die Fehler der Wirtschafts­politik, die in Folge der Ölkrisen der siebziger Jahre gemacht wurden, zu vermeiden«. Anders als damals dürfe nicht versucht werden, den Inflationsanstieg durch Lohn- und Gehaltserhöhungen auszugleichen, auch dann nicht, wenn die Inflation, wie Draghi zugeben muss, die italie­nischen Einkommen inzwischen so belastet, dass das Lohnniveau »heute kaum höher ist als vor 15 Jahren«.
Emma Marcigaglia, die Vorsitzende der italienischen Unternehmervereinigung Confindustria, teilt die Einschätzung des Bankchefs: »Man kann nicht davon absehen, dass die Inflation von internationalen Faktoren abhängt. Man muss deshalb eine Logik vermeiden, die in eine Preis-Lohn-Spirale führt.« Deshalb setzt die Unternehmervertreterin weiterhin auf das seit Jahren praktizierte Konzept der Produktivitätssteigerung durch Kostensenkung. Auf der Halbjahreskonferenz von Fiat in Turin kündigte Sergio Marchionne, der Vorstandsvorsitzende des größten italienischen Unternehmens, bereits vorige Woche »mehr Flexi­bilität« an. Das heißt im Klartext, dass der Automobilkonzern angesichts der rückläufigen konjunkturellen Entwicklung ab September Kurzarbeit anmelden und die laufenden Zeitverträge »vorläufig aussetzen« will.

Für die linke Metallgewerkschaft Fiom offenbart die Krise bei Fiat strategische Fehler der Unternehmensführung. Jahrelang habe man sich auf die Deregulierung des Produktionsprozesses konzentriert und dabei den »Innovationsprozess« aus den Augen verloren. Fiat riskiere deshalb, den Anschluss an die neueste Entwicklung von Elektro- und Hybridautos zu verlieren. Die Fiom steht jedoch mit ihrer Kritik allein. Für die Kollegen von der konservativen Metallgewerkschaft Uilm war die Situation »aufgrund der internationalen Konjunktur« ganz einfach »unvermeidlich«.
Auch Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti erklärt das »goldene Zeitalter« für ­beendet und beschwört Furcht vor der »dunklen Seite der Globalisierung« herauf. Im Frühjahr, noch bevor die Regierung von Silvio Berlusconi ins Amt gewählt wurde, hat er ein Buch mit dem apokalyptisch-prophetischen Titel »Angst und Hoffnung« vorgelegt. Im ersten Teil macht er in einer Mischung aus globalisierungskritischem Pathos und nationalistischer Hetze »Fanatiker« der liberalen Marktwirtschaft, »Spekulanten« des Finanzmarkts und Massen »illegaler Einwanderer« aus Asien und Afrika für den drohenden Untergang Italiens und des gesamten Abendlandes verantwortlich. Doch schon im zweiten Teil naht die »Rettung« aus der globalen Krise.
In wenigen Stichworten fasst Tremonti die kon­servativ-reaktionäre Ideologie der neuen italie­nischen Rechten zusammen: Besinnung auf christ­liche Wertvorstellungen und Familientraditionen, Etablierung einer autoritären politischen Ordnung und Umverteilung der sozialpolitischen Verantwortlichkeit vom Staat auf familiäre, lokale Gemeinschaften. Das Pamphlet avancierte in Italien in den vergangenen Monaten zum Best­seller. Berlusconis Regierung dient es offensichtlich als ideologisches Handbuch zur politischen Praxis.
Nach den rassistischen Immigrationsgesetzen und der Einführung der totalen Immunität für die vier höchsten italienischen Staatsämter, mit der sich Berlusconi den gegen ihn anhängigen Strafverfahren entzieht, um »ungestört« regieren zu können, wurde vergangene Woche das neue Haushaltsgesetz verabschiedet. Es zeichnet sich durch Tremontis Credo aus: nach außen protek­tionistisch, nach innen wirtschaftsliberal. Das Ge­setz sieht radikale Einsparungen im staatlichen Gesundheitswesen, in der öffentlichen Verwaltung, vor allem aber in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur vor.

In seinem Buch kritisiert Wirtschaftsminister Tre­monti das Interesse an der »Zukunft« als Überbleibsel der linken Fortschrittsideologie. Die Leute würden sich schließlich nur dafür ­interessieren, was »morgen« sei. Deshalb war ihm auch sehr an der Einführung der populären, wenngleich von allen Wirtschaftsexperten kritisierten und von der europäischen Kommission mit Skepsis betrachteten »Robin-Hood-Steuer« gelegen. Profite der Erdölproduzenten, Banken und Versicherungen sollen demnach zukünftig höher besteuert und ein Teil der daraus resultierenden Mehreinnahmen soll an sozial Schwache weitergeleitet werden. Vor allem bedürftige Familien und Pensionäre sollen die so genannte Sozialkarte erhalten, eine Art Bankkarte über 400 Euro, um ihre Lebensmittel- und Energieversorgung sicher­zustellen. Die Steuer kommt beim heimischen Fernsehpublikum gut an, sie bedient den Hass auf die »Halsabschneider«. Die betroffenen Sektoren haben jedoch bereits angedroht, die erhöhte Steuerlast durch eine Anhebung der Preise an ihre Kunden weiterzugeben.
Von einer Kritik an Tremontis Almosenpolitik und einer Opposition gegen die von der Rechten angestrebte Neuordnung der politischen Verfassung Italiens kann keine Rede sein. Die mitt­lerweile nicht mehr im Parlament vertretene ­ra­dikalere Linke wie Rifondazione comunista ist seit der Wahlniederlage ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und kann sich nicht um die Interessen ihrer vermeintlichen Wählerklientel kümmern. Immerhin hat die Demokratische Par­tei angekündigt, irgendwann im Oktober zu einer Demonstration aufrufen zu wollen. Auch wenn sich nur wenige den Strandurlaub leisten können, in Italien ist nun erst einmal Sommerpause.