Wie die CDU die »Schöpfung bewahren« will

Willkommen im Schwarz-Wald

Die CDU diskutiert über ihr umweltpolitisches Programm. Es ist von »Schöpfung« und »Heimat« die Rede, doch es geht auch um mögliche Koalitionen mit den Grünen auf Bundesebene.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner war sich mal wieder nicht zu schade dafür, die allerverstaubtesten Wertvorstellungen zu offenbaren: Keusch­heit sei die Voraussetzung für ökologisch verantwortliches Handeln. Diese Ansicht gab er kürz­lich im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger kund. Nach dem Motto: Wer den eigenen Laden nicht christlich-sauber halten kann, der dürfe sich des »Makrokosmos‹« erst gar nicht annehmen.
So weit geht die konservative Politik zwar nicht mit ihren Forderungen. Doch auch die CDU macht sich seit einiger Zeit vermehrt Gedanken über die Ökologie. Wie konservativ-christlich die aussehen darf, steht in einem ganzen Haufen Papier, der seit vergangenem Jahr erzeugt wurde, darunter »Positionspapiere« zum Klima- und Artenschutz und ein »Zehn-Punkte-Programm« zu Energie und Klima. Ende Juni hat der CDU-Bundesvorstand das Umweltprogramm »Bewahrung der Schöpfung« verabschiedet. Anfang De­zem­ber soll darüber auf dem Parteitag in Stuttgart abgestimmt werden.
Auch wenn sich der Titel des Antrags wie das Motto einer Predigt anhört, kommt der Text erstaunlich weltlich daher, vom häufigen Gebrauch der Worte »Heimat« und »Schöpfung« einmal abgesehen. Vielmehr wundert sich der Leser zunächst über einige Passagen, die den Eindruck ver­mitteln, die unternehmerfreundliche Partei habe tatsächlich ihre ökologische Ader entdeckt. Der Flugverkehr soll demnach in den Emissionshandel einbezogen, Effizienzstandards bei Elektrogeräten sollen für verbindlich erklärt werden, und auch der Flächenverbrauch zum Beispiel durch den Straßenbau soll von derzeit 100 auf 30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020 sinken. Die erneuerbaren Energien sollen bis 2050 den Haupt­teil der Energie in Deutschland ausmachen.

Für den »Erhalt ihrer Heimat« scheint die CDU bereit zu sein, inhaltlich neue Wege zu gehen, könnte man beim ersten Lesen glatt denken. Auf den zweiten Blick wird jedoch schnell ein ganz anderes Kalkül deutlich. Ole von Beust, Hamburgs Erster Bürgermeister und seit kurzem aus Koalitionsgründen der Lieblings-CDU-Politiker der Grünen, hat den Antrag erarbeitet. Dass sich die Konservativen mit dem Programm künftige schwarz-grüne Koalitionen erleichtern wollen, liegt nahe. Klare Mehrheiten nach den Wahlen gehören der Vergangenheit an. Da ergibt es Sinn, inhaltlich mehr anzubieten. Umso enttäuschter war CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, als die Grünen keinen Sinneswandel der Christdemokraten erkennen wollten. »Warum loben Sie uns nicht?« schrieb Pofalla nach Kritik vom Grünen-Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn.
Also alles nur Heuchelei und Strategie? Ole von Beust sieht immerhin Ähnlichkeiten zwischen seiner Partei und der von Kuhn. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nach der Besiegelung des schwarz-grünen Bündnisses in Hamburg sagte er, inzwischen würden die Grünen erkennen, dass es ohne Wirtschaftswachstum nicht gehe. Auf der anderen Seite habe »die CDU begriffen, dass ungehemmtes Wachstum die Ressourcen zerstört«. Im neuen Umweltpapier spricht die CDU von einer »sozialen und ökologischen Marktwirtschaft«. Indem neue Tech­nologien und Märkte gefördert werden, könne die Umweltpolitik wirtschaftliches Wachstum erzeugen. Auch die Grünen plädieren längst für eine solche »grüne Marktwirtschaft«.
Und selbst normalerweise weniger aufgeschlos­sene Politiker der CDU entdecken plötzlich inhaltliche Schnittmengen. Der Berliner Frak­tions­vorsitzende Friedbert Pflüger sprach Ende Juni von »alten grünen Wurzeln« seiner Partei. Es sei ein urchristdemokratisches Anliegen, die Schöpfung zu bewahren, meinte auch der Parteikollege und saarländische Ministerpräsident Peter Müller. Der konservative CDU-Mann Alexander Gauland äußerte gar Anfang des Jahres in der taz: »Überall da, wo die Grünen bei Naturbewahrung, Denkmalschutz, Umweltschutz Positio­nen vertreten, die konservativ sind, habe ich nicht nur keine Probleme, sondern das stärkt den konservativen Teil der CDU.« Die multikulturellen Inhalte der Grünen lehne er hingegen ab.
»Es gab schon immer Versuche, die Ökologie stärker in die Politik der CDU einzubringen«, sagte Parteienforscher Gerd Langguth von der Universität Bonn der Jungle World. Häufiger habe sich die Partei jedoch für die Marktwirtschaft entschieden, weshalb die Umweltschützer kaum eine Rolle gespielt hätten. Sie sind mit ihren ökologischen Vorhaben daher immer schnell an parteiinterne Grenzen gestoßen. Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, langjähriges Mitglied der damaligen Kohl-Regierung, hat die Widerstände erlebt. Auch weil er umweltpolitisch zu viel wollte, musste er 1994 seinen Posten räumen. Er wurde Bauminister und übergab das Um­weltressort an Angela Merkel. Dennoch ist Töpfer nach wie vor der anerkannteste Ökologe der CDU. Acht Jahre lang war er sogar der Welt »oberster Umweltschützer« als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Uno. Von seiner eigenen Partei ist Töpfer allerdings Kritik gewöhnt, zum Beispiel weil er die von der Union verpönte Ökosteuer befürwortet hatte.

Ähnliche Erfahrungen machen CDU-Mitglieder noch heute, etwa Peter Liese, im EU-Parlament Berichterstatter für die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel. Er hat sich erfolgreich für die Realisierung dieser Maßnahme eingesetzt, im Parlament wurde sie Anfang Juli beschlossen. Heftige Kritik kam etwa vom hessischen Europa-Minister Volker Hoff, der den Beschluss als »ideologisch motiviert« bewertete: Die Einigung bedeute einen Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftverkehrsbranche. Normalerweise entscheiden sich solche parteiinternen Konflikte zugunsten der Wirtschaft. Umso bemerkenswerter ist die klare inhalt­liche Festlegung im Umweltprogramm der CDU für den Emissionshandel in der Luftfahrtbranche, der bisher nur für die Industrie gilt und die klimaschädlichen Emissionen senken soll.
In den vergangenen Jahren habe sich die CDU, nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen Profilierung von Angela Merkel als »Klimakanzlerin«, inhaltlich weiterentwickelt, sagt Parteienforscher Langguth. Ein Beispiel seien die Erneuerbaren Energien: »Da gibt es heute eine viel größere Offenheit als je zuvor.« Die Annäherung an die Grünen hält er aber trotzdem auch für ein strategisches Verhalten. Wenn es um den eigenen Macht­erhalt gehe, sei die CDU immer inhaltlich pragmatisch gewesen. Falls es tatsächlich in Zukunft zu einer bundesweiten Koalition mit den Grünen komme, könnten die ökologischen Inhalte noch stärkeres Gewicht erhalten. »Wenn das die Kanzlerfrage entscheiden sollte, wird die Union auch bei der Kernenergie wackeln.« Zumal es selbst in der CDU seit langem eine Plattform gegen Atomenergie gibt. Der Bundesverband Christlicher Demokraten gegen Atomkraft, eine Vereinigung von nach eigenen Angaben mehreren hundert Atomkraftgegnern aus CDU und CSU, hat sich in der Vergangenheit unter anderem mit Grundsatzpapieren wie »Aus christlicher Verantwortung: Die nukleare Geisterfahrt beenden« zu Wort gemeldet.
Ein Blick auf die Realpolitik der CDU lässt an ihrer Befürwortung der Atompolitik aber keinen Zweifel. Auch im neuen Umweltprogramm steht nichts anderes als das, was fast täglich von Parteimitgliedern gefordert wird: Die deutschen Atom­kraftwerke sollen länger laufen als im bisher gültigen Ausstiegsbeschluss geplant. Auch ein Tem­polimit wird abermals abgelehnt. Dafür hat sich unter anderem das CDU-Mitglied Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamts, eingesetzt. Auch die längeren AKW-Laufzeiten hat Troge schon mehrfach abgelehnt.

Wenn es um die praktische Politik geht, verhält sich die CDU also nicht umweltfreundlicher als früher. Der Blick nach Hamburg zeigt, dass die Grünen zwar mitregieren dürfen, an Punkten, wo es um die deutsche Wirtschaft geht, aber zurückstecken mussten. So wird die auch aus Gründen des Naturschutzes umstrittene Elbvertiefung gegen den Widerstand der Grünen durchgeführt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte daher den Hamburger Koalitionsvertrag: Mit grüner Zustimmung drohe nun »der größte Eingriff der letzten 50 Jahre in den Fluss«.
Die CDU betreibe mit ihrem Umweltprogramm nichts als »Schönschreiberei ihrer tatsächlichen Politik«, schlussfolgert Rüdiger Rosenthal, Sprecher des BUND. »Sie hat sich aus Versatzstücken anderer Parteien ihre Linie zurechtgestoppelt.« Trotzdem könne man in Zukunft die CDU womög­lich »an der einen oder anderen Stelle stärker beim Wort nehmen«. Ein Beispiel sei der Bereich Energieeffizienz von Elektrogeräten, der in dem Dokument genannt wird.
Es wird auch in Zukunft sehr viel verlässlichere Partner für den Umweltschutz geben als die CDU. Und doch muss sie sich schon aus wahlstra­tegischen Gründen mit den ökologischen Inhalten der Grünen auseinandersetzen. Weil die aktuellen CDU-Programmschriften christliche Inhalte nur phrasenhaft erwähnen, dürfte zumindest die persönliche Keuschheit als Weg zum ökologischen Gleichgewicht, frei nach Kardinal Meis­ner, den Koalitionspartnern erspart bleiben.