Ein Gespräch mit Hillel Neuer von der NGO »UN Watch«

»Die Atmosphäre ist totalitär«

Die Genfer NGO »UN Watch« kontrolliert seit 1993 die Arbeit der Uno im Hinblick auf Menschenrechtsfragen. Sie ist mit dem Ame­rican Jewish Committee assoziiert. Ihr Vorsitzender, der Kanadier Hillel Neuer, tritt regelmäßig vor dem UN-Men­schen­rechts­rat auf. In einer Rede im März 2007 kritisierte er sehr drastisch die Arbeit des Rates, der »die Sprache und Idee der Menschenrechte entstellt und per­vertiert« habe. Die den Menschenrechtsrat dominie­ren­den Staatsvertreter nannte er »Despoten«, aus dem Traum der Gründer der Men­schen­rechtskommission sei 60 Jahre später ein Albtraum geworden. Der schwer empörte mexikanische Präsident des Rates, Luis Al­fonso de Alba, drohte daraufhin, Hillels Re­den künftig aus dem Protokoll zu streichen.
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Bereits vor einem Jahr haben Sie den Menschen­rechtsrat sehr grundsätzlich in Frage gestellt. Wie beurteilen Sie ein Jahr später dessen Entwicklung?
Der Rat erreicht immer wieder neue Tiefpunkte. Immer wenn man meint, jetzt sei er ganz unten angekommen, schafft er es, noch tiefer zu fallen, tragischerweise. Er ignoriert weiterhin fast alle Menschenrechtsverletzungen in der Welt. Und die wenigen, mit denen er sich befasst, preist er oftmals noch an, anstatt über sie zu berichten. Zum Beispiel wurde über den Sudan zwar debattiert, aber außer Komplimenten für die Kooperationsangebote des Regimes kam nichts dabei herum. Das heißt, man beschäftigte sich zwar mit dem Sudan, aber so, dass das Regime gestärkt wurde. Die anderen schwerwiegenden Menschen­rechtsverletzungen in der Welt, von wenigen Aus­nahmen abgesehen, ignoriert der Rat vollständig. Es gab keine Resolutionen und keine Sonder­sitzungen etwa zu China, zu Russland, Pakistan, Ägypten oder Zimbabwe. Das einzige, wofür sich der Rat wirklich mit Nachdruck einsetzt, ist, Israel zu verurteilen – in all seinen Sitzungen, es ist ein permanentes Thema.
Das ist aber keine ganz neue Entwicklung.
Ja, das war schon die letzten zwei Jahre so. Und nun, in den vergangenen drei Monaten, hat der Rat einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Im März entschied er, sein Mandat für die Meinungsfreiheit komplett aufzugeben. Früher hatte der berufene UN-Experte Staaten zu beobachten, die die Meinungsfreiheit verletzen, seit März ist seine Aufgabe, Individuen zu melden, die die Meinungs­freiheit angeblich missbrauchen, zum Beispiel wenn sie den Islam kritisieren. Das heißt, der Ex­perte, der vormals dafür zuständig war, die Meinungsfreiheit der Individuen gegenüber den Regierungen zu schützen, tut jetzt das genaue Gegenteil, er verteidigt Regierungen und schützt nicht die Rechte der Individuen, sondern einer Religion. Im Juni kam der nächste Schlag, da wurde dann auch noch den NGO verboten, im Menschenrechtsrat über die Sharia zu reden.
Wie würden Sie die Atmosphäre im Rat beschreiben?
Die Atmosphäre ist totalitär. Jeder, der es wagt, offen die Wahrheit zu sagen, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, wird zum Schweigen ge­bracht. Als der britische Menschenrechtler David Littman in einer Rede über Genitalverstümmelung sprach, wurde versucht, ihn aus der Uno zu verbannen. Auch andere NGO-Vertreter, die bestimmte Staaten wegen Menschenrechtsverstö­ßen kritisieren, werden einfach unterbrochen. Es wird zum Beispiel behauptet, sie würden das Thema verfehlen, und man entzieht ihnen das Wort. Es ist eine sehr bedrückende Situation. Die Staaten, die im Rat die Meinungsfreiheit verteidigen, sind in der Minderheit, höchstens zwölf von 47 Staaten kann man dazu zählen. Wenn man an den Traum der Gründungsmitglieder der Menschenrechtskommission denkt, an René Cassin, an Eleanor Roosevelt, und dann sieht, dass der Rat heute von Regimen wie Pakistan und anderen betrieben wird, dann ist das schon sehr traurig.
Allein 2007 gab es 120 Debatten über Israel, doppelt so viele wie über jeden anderen Staat. Vertritt im Rat denn niemand die Interessen Israels?
Es gibt einige Staaten, die versuchen, eine Balance zu halten: vor allem Kanada, aber auch Deutschland, die Niederlande, Großbritannien, Frankreich vielleicht manchmal. Auch sie kritisieren bestimmte israelische Aktionen, aber sie meinen, dass man nicht den Kontext ignorieren darf, die Angriffe von Hamas und Hizbollah. Aber die Resolutionen sind letztlich alle einseitig und erwähnen mit keinem Wort die Hamas oder die Hiz­bollah. Man könnte meinen, es gäbe in der gan­zen Region keinen Akteur außer Israel. Die Europäer haben schon einiges getan, aber nicht genug. Zu oft ziehen sie es vor, Kompromisse zu schließen oder Deals zu vereinbaren. Sie votieren man­chmal mit Nein bei diesen Resolutionen, manchmal enthalten sie sich oder stimmen sogar dafür. Also, einige Staaten engagieren sich schon, aber sie sind eine kleine Minderheit.
Ihre Kritik an den Europäern klingt recht zurück­haltend. Würden Sie denn mehr Widerstand von den europäischen oder westlichen Staaten erwarten?
Ja. Kanada kann man keine Vorwürfe machen, aber die Europäer tun eindeutig nicht genug. Unglücklicherweise lassen sie sich immer wieder auf Deals ein, wie im Juni 2007, als sie einem Reformpaket zustimmten, das genau jene Fehlentwicklungen des Rates festschrieb, die es eigentlich korrigieren sollte. Alles in allem würde ich sagen: Ich bin besorgt.
Ist es vielleicht nicht nur eine Krise des Rates, sondern allgemein eine Krise der Akzeptanz universeller Menschenrechte?
Ich bin überzeugt davon, wenn man mit Gefängnisinsassen in China spricht, mit welchen in Zimbabwe und mit welchen in Kuba, würden die in vielen Punkten übereinstimmen. Sie würden alle zustimmen, dass es Rechtsstaatlichkeit geben muss, faire Prozesse, grundsätzliche Freiheiten. Man kann sehr wohl eine weltweite Zustimmung zu Menschenrechten bekommen, aber nicht von den Regierungen, die selbst Menschenrechte verletzen. Wenn man ihre Opfer befragte, würden diese die universellen Menschenrechte sicher­lich befürworten.
Wie könnte die Politik des Menschenrechtsrats geändert werden? Oder plädieren Sie wie manche andere Kritiker für seine Abschaffung?
Ich denke nicht, dass er abgeschafft wird. Er exis­tiert, und wir müssen versuchen, ihn besser zu machen. Die Demokratien sind aufgefordert, mehr zu tun, und die EU muss mehr tun, als Deals mit der Mehrheit der islamischen Länder zu machen. Wir müssen vor allem auch Demokratien in der Dritten Welt wie etwa Indien oder Südafrika dazu bringen, sich besser zu verhalten. Zur­zeit stimmen sie im Rat nicht wie Demokratien, aber gerade sie sollten die Menschenrechte unterstützen. Oder auch Südamerika. Die Staaten von dort stimmen sehr oft mit den islamischen Staaten, sie zeigen keine Stärke, ihre eigenen politischen Prinzipien durchzusetzen. Das vor allem sollte sich ändern.
Nächstes Jahr findet in Genf die Nachfolgekonferenz von Durban 2001 statt. Wie sollten sich Ihrer Meinung nach die europäischen Staaten dazu verhalten?
Kanada boykottiert die Konferenz, die USA und Israel scheinen sie auch boykottieren zu wollen. Aus der EU gibt es sehr deutliche Statements. Nicolas Sarkozy etwa sagte, wenn die Konferenz eine anti-israelische Richtung nimmt wie 2001, werde er sich distanzieren. Ähnlich erklärten es bereits Politiker aus Großbritannien und den Niederlanden. Wenn es wie 2001 wird, wollen sie die Konferenz boykottieren. Hoffentlich ist ein Boykott nicht notwendig, aber notwendig ist es auf jeden Fall, zusammenzustehen für unsere Prinzipien. Man braucht glaubwürde Druckmittel, wenn man etwas ändern will. Aber ich befürchte, die Europäer werden nicht zusammenstehen. In Europa sagen die einen dies, die anderen das. Die Organisatoren der Konferenz müssen kaum befürchten, dass Europa sich geschlossen zurückzieht, wenn die Sache schlecht verläuft. Die Europäer müssten schon sehr deutlich machen, dass sie es keinesfalls zulassen werden, wenn von den wirklichen antirassistischen Herausforderungen abgelenkt wird.