Ein Gespräch mit Javier Martinez über Botellón-Partys

»Es muss nicht immer Alkohol sein«

1 300 junge Menschen trafen sich im Juli im Parc aux Bastions in Genf zu einer ausgelassenen nächtlichen Party. Verabredet hatten sie sich über das Internetportal Face­book. Schweizer Zeitungen bezeichneten die Feier als »Massenbesäufnis« und behaupteten, die Jugendlichen hätten einen »Schweinestall« hinterlassen. Um eine zweite im Internet vereinbarte ­Party zu verhindern, sperrte die Polizei den Zugang zum Park, die Feiernden mussten weiterziehen. »Botellónes« heißen solche Partys. In Spanien sind sie weit verbreitet, zum größ­ten bisherigen Botellón versammelten sich in Sevilla nach Schätzungen spanischer Medien 70 000 Menschen. Javier Martinez war maßgeblich verantwortlich für das Genfer Botellón im Juli, das erste in der Schweiz überhaupt. Ein weiteres ist für den 22. August geplant. Der 22jährige Martinez ist Spanier und studiert derzeit in Genf.

Was trinken Sie denn am liebsten?
In Spanien mischen die Leute häufig billigen Wein mit Cola. Ehrlich gesagt: Ich mag diese Mischung nicht sonderlich. Glauben Sie es oder nicht: Ich bin überhaupt kein besonderer Freund von Alkohol. Aber ich mag es, neue Leute zu treffen. Deshalb schätze ich Botellónes.
Man kann auch in Bars oder Clubs feiern und Menschen kennen lernen. Warum verabreden sich Hunderte oder Tausende über das Internet, um in einem Park oder an einem anderen öffentlichen Ort zu trinken?
Ich gehe durchaus gern in Bars, Discotheken oder Clubs. Aber manchmal ist mir eben nach einer anderen Unternehmung, nach etwas Einfacherem, wofür ich mich nicht zwanghaft herausputzen muss und das nicht viel kostet. Ich mag Botellónes, weil ich die Bekanntschaft vieler neuer Menschen machen kann. Diese träfe ich sonst niemals, weil sie andere Fächer studieren oder andere Interessen haben als ich.
Außerdem ist es sehr interessant, ein derartiges Ereignis über das Internet in Gang zu bringen und dann zu sehen, dass es wirklich passiert. Und es ist spannend, die Leute zu treffen, mit denen man sich im Internet verabredet hat.
Wie hat man sich ein typisches Botellón vorzustellen?
Während eines typischen Botellón kommen die Menschen nach und nach in kleinen Gruppen, die Menge schwillt allmählich an. Die Leute mischen sich dann ihre Cocktails, und schon redet einer mit dem anderen. Es muss nicht immer Alkohol sein: Manche tauchen gelegentlich mit ihrer Bong auf.
Kleinere Musikanlagen werden unter Umständen mitgebracht, aber es gibt kein großes Soundsystem für die ganze Feier. Und natürlich wird einiges getrunken, aber nicht unbedingt mehr, als wenn die Leute in eine Bar gingen.
Woher kommt diese Art zu feiern?
Die Botellónes kommen wie ich aus Spanien. Sie kamen in den neunziger Jahren auf, als die Leute genug hatten von den hohen Preisen in Kneipen und Discos. Jugendliche konnten sich das kaum noch leisten. Die Menschen treffen sich seither in Parks oder auf Plätzen im Stadtzentrum und trinken sich schon ordentlich warm, bevor sie in die Disco gehen. Denn das kostet nicht so viel.
Haben Sie also die Botellónes in der Schweiz eingeführt?
Ich bin kein Experte, was Botellónes angeht. Ich habe im Internet eine Diskussionsgruppe gegründet, um herauszufinden, ob die Leute in Genf Lust dazu haben. Ich habe viele zustimmende Antworten erhalten.
In Genf leben viele Spanier. Sie kennen die Botellónes. Ich habe die Feiern also nicht wirklich aus Spanien in die Schweiz importiert. Ich musste nicht bei Null anfangen.
Welche Leute gehen denn auf ein Botellón?
In Genf kamen Personen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, würde ich sagen. Es waren viele Studenten da. Aber nach meinen Beobachtungen kamen Leute aus allen sozialen Schichten, um zusammen zu feiern.
Exzessives Trinken gilt gemeinhin als Männersache. Trifft man dennoch Frauen auf einem Botellón?
Es kamen in etwa genau so viele Frauen wie Männer. Man stelle sich vor: Ein Haufen Männer säuft sich im Park besinnungslos. Das wäre doch tatsächlich sehr langweilig.
Im Schweizer Indymedia-Portal haben sich die Feiernden aus Genf einen Vorwurf eingehandelt: Botellónes seien Partys für gelangweilte, wohlhabende Mittelschichtskinder, die lediglich den Nachbarn auf die Nerven gingen.
Nein, das ist vollkommen falsch. Botellónes werden doch nicht für ein ausgewähltes Publikum organisiert. Eigentlich werden sie gar nicht richtig organisiert. Sie ereignen sich recht spontan, und jeder kann an ihnen teilnehmen. Da ist es unerheblich, ob jemand besonders wohlhabend ist oder eben nicht. Auf einem Botellón treffen sich viele unterschiedliche Menschen. Und spätestens, wenn sie etwas getrunken haben, mischen sie sich.
Mit Hunderten oder sogar Tausenden Menschen Parks oder Plätze zu belagern, kann die öffentliche Ordnung gehörig durcheinander bringen. Geht es bei den Botellónes dennoch nur darum, zu trinken und zu feiern, oder auch darum, Polizei und Behörden herauszufordern?
Ein Großteil der Leute hier in Genf, die ein Botellón besucht haben, mag es, weil man einen schönen Abend mit anderen Menschen in einer netten Umgebung verbringen kann. Das Trinken gehört natürlich dazu. Aber es gibt tatsächlich Leute, die kommen und etwas Alkoholfreies trinken.
Es ist durchaus möglich, dass manche im Botellón auch etwas Rebellisches sehen, weil es ansonsten nicht genug Raum gibt, an dem man sich für wenig Geld amüsieren kann. Mit dem Botellón nimmt man sich diesen Raum einfach.
In Spanien ist es im Verlauf einiger Botellónes zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. In Barcelona haben sich Jugendliche im vergangenen Jahr eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert. Auch in Salamanca gab es 2007 Krawalle während einer Feier.
Also, in Genf gab es bisher erst zwei Botellónes, und es ist niemand auch nur im geringsten gewalttätig geworden.
Und wie reagieren die Polizei, die Behörden und die Medien in Genf?
Die Polizei benimmt sich akzeptabel. Beamte haben während der Feiern lediglich Kontrollgänge gemacht, um zu sehen, ob alles in geregelten Bahnen verläuft. Auch die Genfer Behörden zeigen sich sehr gesprächsbereit und bemühen sich, das Phänomen zu verstehen. Zurzeit wird das Botellón nicht als illegal betrachtet. Lediglich die Medien versuchen, eine Auseinandersetzung darüber in Gang zu bringen, ob Botellónes nun gut oder schlecht für die Jugend sind, und polemisieren gegen die Feiern.
Für den 22. August ist erneut ein Botellón in Genf geplant. Nach Zeitungsangaben wollen die Polizei und die Behörden es lieber verhindern.
In Genf sind die Behörden, wie gesagt, sehr zur Kooperation bereit. Bislang ist die Feier, die wir für den 22. August angesetzt haben, noch nicht verboten. Aber die Stadt besteht auf der Zusage, dass die teilnehmenden Personen ver­ant­wor­tungs­voll handeln. Wir sollen also nicht einen öffentlichen Ort in Beschlag nehmen und ihn am Ende für andere Bürger unbenutzbar hinterlassen. Im Juli befand sich der Park nach der Feier in der Tat in keinem sonderlich schönen Zustand. Büsche, Wiesen und Bäume waren beschädigt, überall lag Müll. Wir müssen also Lösungen finden, wenn wir weitere Botellónes planen.
In Spanien lädt das Wetter häufig dazu ein, auch die Nächte im Freien zu verbringen. Da verwundert es nicht, dass Botellónes zu einem Massenphänomen geworden sind. Denken Sie, die Feiern werden auch in Nordeuropa in Mode kommen, wo das Wetter nicht immer ganz so angenehm ist?
Meiner Ansicht nach sind Botellónes auch für Länder geeignet, die weiter im Norden liegen. Ich war schon häufig in Deutschland und auch in Dänemark. Auch dort hängen die jungen Leute gern zusammen auf der Straße herum. Ich glaube nicht, dass das kältere Klima ein Problem ist. Nur wenn es regnet, macht es selbstverständlich keinen Spaß.