Das Vorgehen der Hamburger Polizei während der Klima- und Antirassismuscamps

Besonnen, bis der Notarzt kommt

Demonstrationen wurden mit zweifelhaften Begründungen aufgelöst, und Video­aufnahmen belegen das harte Vorgehen der Hamburger Polizei während des Klima- und Antirassismuscamps im August. Die schwarz-grüne Regierung verteidigt die Tak­tik der Polizei.

Es gibt ihn also wirklich, den Klimawandel! Zu­min­dest haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des internationalen Klima- und Antirassismuscamps, das im August in Hamburg stattgefunden hat, etwas herbeigeführt, das man so nennen könnte. Dieser Wandel ist zwar nur örtlich begrenzt und vor allem ein innenpolitischer, doch dafür könnte er »nachhaltig« sein, wie es so schön heißt.
Mit allerlei Aktivitäten – an einigen nahmen mehrere tausend Menschen teil – sorgten die Camper eine Woche lang für Aufregung in Hamburg. Je länger die Camps dauerten und je mehr Aktionen bekannt wurden, desto nervöser wurden die Politiker der Stadt. Nachdem die Polizei weder drei nächtliche Farbbeutel- und Steinwürfe auf Mitarbeiter der Ausländerbehörde noch einen Angriff auf eine Ausländerabteilung eines Be­zirksamts am helllichten Tag verhindert hatte, ­geriet die polizeiliche Taktik in die Kritik. Eine überraschende, mehrstündige Besetzung der Baustelle des Kohlekraftwerks Moorburg in Anwesenheit der Polizei drei Tage bevor das Vorhaben öffentlich angekündigt war, tat ein übriges.

Die Politiker der Stadt legten daraufhin ihre Zurückhaltung ab und machten mit rigorosen Forderungen auf sich aufmerksam. Der Hamburger Juso-Vorsitzende Danial Ilkhanipour forderte in einer Pressemitteilung, das »Terror-Camp« müsse sofort aufgelöst werden. Er schrieb: »Ich hoffe inständig, dass der Senat so etwas nie wieder in unserer Stadt zulassen wird.« Der SPD-Nachwuchs verliere vollständig die Nerven, lästerte die Lokalpresse. Eine Zeitung folgerte: »Hätte auch ›Richter Gnadenlos‹ Ronald Schill nicht besser sagen können.« Solche Kommentare sind für die Hamburger SPD aber längst keine Beleidigung mehr. So führte der SPD-Innenexperte Andreas Dressel aus: »Gerade unsere Wähler möchten geschützt werden, möchten einen starken Staat. Das ist ein Kernpunkt sozialdemokratischer Politik.«
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Hamburger Bezirk Nord, Robert Bläsing, forderte präventiv den Einsatz von Wasserwerfern gegen die Demonstranten. Der CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus hatte zunächst vor der Woche, in der die Camps stattfanden, noch reumütig bekannt, man müsse in der Flüchtlingspolitik umdenken und über bisherige Fehler der CDU offen diskutieren. »Dass in der Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren vieles nicht optimal verlaufen ist, ist unbestritten. Auch die CDU hat da einen Lernprozess durchgemacht«, sagte Ahlhaus. Die Springerpresse erklärte den eigentlich stramm rechten Innensenator kurzerhand zu einem »linksliberalen Ökopax«. Schließlich hatte Ahlhaus das Camp noch dazu genehmigt, gegen den Willen zweier von der SPD geführter Bezirke. Doch während der Aktionswoche fand der Innen­senator wieder zu seiner alten Form zurück und ließ über seine Behördenpressestelle verlauten: »Für Chaoten gibt es in Hamburg kein Par­don.«

An dieser Aussage konnte sich die Polizei auch endlich wieder orientieren. Sie handelte dementsprechend: Gleich zwei zentrale Kundgebungen beendete sie in den Folgetagen unter klarer Missachtung juristischer Vorgaben, die für grundrechtlich geschützte Versammlungen gelten. Sowohl die Demonstration gegen das Kohlekraftwerk Moorburg als auch die Demonstration gegen Abschiebungen am Hamburger Flughafen wur­den aufgelöst, weil es nach Angaben der Polizei im Umfeld zu Straftaten gekommen sei. Dies ist zwar kein hinreichender Grund, unstreitig friedliche Versammlungen aufzulösen. Aber mit solchen Details wollte sich die Polizeiführung anscheinend nicht herumplagen, nachdem ihr Ahlhaus doch ein möglichst hartes Vorgehen nahegelegt hatte.
Um nicht in den Ruf zu kommen, ein schlaffer Innensenator zu sein, zeigte Ahlhaus also öffentlich Härte, auf Kosten der Demonstrationen und ihrer Teilnehmer. Diese Strategie ist aufgegan­gen, keine der etablierten Hamburger Parteien beanstandete das polizeiliche Vorgehen. Einzig die Fraktion der »Linken« kritisierte anlässlich einer aktuellen Stunde in der Hamburger Bürger­schaft die Innenpolitik des schwarz-grünen Senats mit den Worten: »Da wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt.«
Die Hamburger Grünen hatten sich in dieser politischen Auseinandersetzung bis dahin auffällig zurückhaltend gezeigt. Nur die grüne Innen­expertin Antje Möller wies auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Überprüfung der einen oder anderen polizeilichen Maßnahme hin. Staatstragend gab sich der Justizsenator Till Steffen, der der grün-alternativen Liste (GAL) angehört. Er sagte in der Hamburger Bürgerschaft: »Der Senat wird diesen Kurs in vergleichbaren Situationen beibehalten. Insgesamt hat die Polizei besonnen und flexibel reagiert.«
Wie das besonnene und flexible Verhalten der Hamburger Polizei in Wirklichkeit aussieht, zeigen Videoaufnahmen, die im Rahmen einer Stadt­teilaktion während der Campwoche entstan­den. Auf dem Video ist nicht nur zu sehen, wie eine Person, die von drei Polizeibeamten festgenommen wurde, auf den Boden gepresst wird, während ein vierter Beamter sie mit zwei Faustschlägen traktiert. Die Aufnahmen dokumentieren auch, wie ein festgenommener, offenbar bewusstloser Demonstrant minutenlang völlig unzureichend versorgt wird. Nachdem die ratlosen Polizisten den Betroffenen nicht einmal in die stabile Seitenlage bringen, erhält er auch von der Besatzung eines herbeigerufenen Rettungswagens und einer Notärztin keine angemessene Erstversorgung. Stattdessen wird der Festgenom­mene wieder der Polizei übergeben, die ihn an allen Vieren in einen Mannschaftswagen schleppt. Wie mittlerweile bekannt wurde, veranlasste die Polizei erst später auf der Wache, dass der Mann ins Krankenhaus gebracht wurde.

Aufnahmen des NDR zeigen darüber hinaus, wie Polizisten während der Demonstration in Moorburg den Kopf einer festgenommenen jungen Frau gegen ein Fahrzeug schlagen und Beamte auf die Mitarbeiter eines Alternativ­senders einprügeln. Polizisten griffen auf dieser Demonstration zudem grundlos eine Beobach­terin des Komitees für Grundrechte und Demokratie an. Sollten die mittlerweile eingeleiteten Ermittlungsverfahren nicht, wie so häufig, am Ende von der Justizbehörde eingestellt werden, die dem grünen Senator Steffen untersteht, könnte sich das Klima in der schwarz-grünen Koali­tion in Hamburg jedenfalls überaus schnell verschlechtern.