Die Retrospektive »The Collections of Barbara Bloom« im Martin-Gropius-Bau

Das Kleid der Mutter

Barbara Bloom ist keine Sammlerin; das ist ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich. Die von ihr selbst kuratierte Retrospektive heißt zwar »The Collections of Barbara Bloom«, doch neige sie, gesteht sie bei der Vorstellung, gar nicht zum Sammeln. Dazu fehle ihr der Vollständigkeitswahn. Dazu fehlt es ihr, muss man hinzusetzen, auch an Pedanterie.

Die Pedanterie, neben dem Geiz und dem Neid eine der häufigsten und der unangenehmsten Eigenschaften von Menschen, ist bei in­teressanten Künstlern häufig anzutreffen. Das hat durchaus sei­nen Grund; wer seine Sachen nicht todernst nimmt, darf nicht hoffen, dass ein anderer sie ernst genug nimmt. Barbara Bloom widerstrebt das. Sie stilisiert sich zur lässigen Spielerin. Dass ihre Ausstellung eine Sammlung sein soll, ist ja nur ein Aufhänger, eine hübsche Idee, um ver­streute Werke aus Jahrzehnten unter einen Hut zu bringen.
Wie der Nachlass von Jacqueline Onassis oder Marlene Dietrich sollen auch diese Exponate bestaunt werden als manchmal preziöse, manch­mal drollige Hinterlassenschaften einer Grande Dame, die selbstverständlich mit der Künstlerin selbst nur über sieben Ecken verwandt ist. Eine exzentrische Dame, so scheint es, aber mitunter auch recht gewöhnlich. Ihr Lieblingsfilm ist nicht »Casablanca« wie der jedes zweiten Connaisseurs, sondern, wie der der andern Hälfte, »Außer Atem« von Jean-Luc Godard. In mehreren ihrer Arbeiten finden sich Reverenzen an diesen Film, seinen Regisseur, seine Hauptdarstellerin. Doch auf einer der Erklärungstafeln wird nicht nur der Originaltitel falsch geschrieben, sondern auch behauptet, »Außer Atem« sei Godards erstes Werk. Nun ja, zuvor hat er noch drei Kurzfilme gedreht. Ein pedantischer Liebhaber wüsste das (ich weiß es von IMDb).
Außer den jungen Godard liebt Bloom die Romanciers Vladimir Nabokov und Gustave Flau­bert. Sie bleibt also durchweg auf der sicheren Seite. Mit diesen Namen kann sich niemand, auf keiner niveauvollen Cocktailparty dieser Welt, blamieren. Mit Nabokov verbindet sie, wie könnte es anders sein, die Schmetterlingsjagd, mit Flaubert eine seltsame Hassliebe. Dem Pedanten Flaubert schreibt die Lässige Briefe, in denen sie ihn um seine Meisterschaft beneidet. Neid, immerhin, zu dieser Todsünde bekennt sie sich. Eine gewidmete Titelseite von Nabokovs »Lolita« hat sie in einen Teppich weben lassen, entsprechend sind die Briefe an Flaubert in Karaffen graviert. Mit Edmund Burke teilt die Künstlerin die Vorliebe nicht für das Erhabene, sondern für Fayencen und Handschmeichler. Das Ganze hat etwas Geschmäcklerisches. Dazu passt das Corporate Design der Ausstellung und der Katalogtext von Dave Hickey, der vom »Flair des Leichten« säuselt, als wollte er einen fettarmen Joghurt bewerben.
Das tut einem alles Leid, denn auch wer Barbara Bloom nicht zu seiner Geschmacksberaterin machen will, kann ihre Kunst doch ­komisch und erhellend finden. Komisch ist ihr Umgang mit Erotik. Der Playboy für Blinde, die auf ein Reiskorn gedruckte Pornografie – dankbar für solche Ideen, sieht jeder gern über ihre Ausführung hinweg. Auf einen Paravent, der ge­wöhnlich Nacktheit verbirgt, hat sie Kopula­tionsszenen sticken lassen, wie man sie aus dem »Djin Ping Meh« kennt. Das Verborgene tritt an die Oberfläche und macht so die Abdeckung überflüssig. Aber komisch daran ist dies: Der Paravent ist durchsichtig und hinter ihm sieht man, wie in jeder Ecke des Martin-Gropius-Baus, einen Feuerlöscher und ein Hygrometer. Diskret bedeckt ist nicht die feuchte Leidenschaft, sondern das Löschwerkzeug und der Feuchtigkeitsmesser.
Bei Bloom erst wird einem klar, dass das Wort »Bildschirm« einen Doppelsinn hat. Die Oberfläche, auf der das Bild erscheint, beschirmt es auch, und was einen Anblick abschirmen soll, kann zu dessen Leinwand werden. Das zeigt der Paravent, das zeigen auch die Vorhänge der Installation »Blushing«. Die Wände eines Saals sind mit Gardinen abgehängt. Durch sie hindurch erkennt man Reproduktionen von Aktdarstellungen oder von Besuchern vor Akt­darstellungen, völlig harmlos, aber die Gardine selbst treibt einem die Schamesröte ins Gesicht.
In der Installation »Broken« sind Bilder von Artisten zu sehen, die Tontöpfe balancieren. Ihnen fällt nichts herunter, aber die Gläser in den Bildrahmen sind allesamt zerbrochen. Nicht die Darstellungen selbst, sondern das Medium, in dem sie erscheinen, unsere beschämte oder indiskrete oder forschende oder gelangweilte Einstellung zu ihnen, unser jeweiliger Abstand, das Licht, sogar die Titel bestimmen darüber, wie wir Bilder sehen. Im Dazwischen entsteht Bedeutung. Mit dieser wichtigen Einsicht rückt Bloom vom Objekt ab, und das bezeichnet den Unterschied von einem Sammler, der stets das Objekt, seinen Fetisch, im Blick hat. Bloom denkt von den Relationen her, das Ding selbst bedeutet ihr wenig, und darin folgt ihr der Betrachter gern.
Eine Ausnahme gibt es jedoch, ein elegantes weißes Abendkleid. An seiner Seite befindet sich eine Leiste mit Knöpfen, auf denen sich jeweils Filmporträts von Frances Rey befinden, der Mutter der Künstlerin. Rey spielte in »The Adventures of Don Juan« an der Seite von Errol Flynn. Auch in einem der schönsten Western aller Zeiten, John Fords »My Darling Clementine«, tritt sie in einer kleinen Rolle auf. Das ruft Vorstellungen wach, so wie alle Werke Blooms, doch diesmal verknüpfen sie sich nicht sogleich wieder mit anderen. Dem Kleid selbst haftet etwas Intimes, Geheimnisvolles, Ernstes an, auch wenn die Mutter es nie getragen hat.
Die Mutter könnte sogar erfunden sein, dennoch erscheint sie auf seltsame Weise stärker als Bloom selbst, die sich häufig porträtiert. Bloom lässt die Röntgenaufnahme ihrer eigenen Zähne auf eine Stuhlbespannung und ihr Porträt auf Teetassen drucken, sie legt gar ihren eigenen Grabstein in eine Vitrine. Das Kleid hat nichts von solcher Koketterie. Trotz seiner bizar­ren Knöpfe wirkt es schlicht. Gerade, dass es keine Kuriosität ist, macht es zu einer.

The Collections of Barbara Bloom. Berlin, Martin-Gro­pius-Bau, Mittwoch bis Montag, 10 bis 20 Uhr, noch bis 9 . November. Der Katalog kostet 45 Euro.