Der Export nuklearer Technologie

Der Bazar ist eröffnet

Im Interesse der Atomindustrie wurde das letzte Hindernis beseitigt, das den Export nuklearer Technologie in alle Welt noch behinderte.

War Frank-Walter Steinmeier vor Freude über die Ernennung zum Kanzlerkandidaten nicht recht bei der Sache? »Ich begrüße, dass es dem deutschen Vorsitz in schwierigen Verhandlungen gelungen ist, dem Ziel der Nichtverbreitung in der heutigen Einigung breite Berücksichtigung zu verschaffen«, kommentierte der deutsche Außenminister die Entscheidung der Nuclear Supplieres Group (NSG), Atomexporte nach Indien zu gestatten.
Eigentlich hätte er etwas über die weiterhin unbeschränkte Geltung der Nichtverbreitungsdoktrin sagen müssen. Er und andere Befürworter des dubiosen Deals behaupten schließlich, der Nuklearhandel mit Indien werde nicht zur Proliferation, der Verbreitung von Atombomben, führen. Unfreiwillig kam Steinmeier der Wahrheit etwas näher. Die US-Regierung, die den Deal initiierte, vereinbarte eine Überwachung der zivilen indischen Atomanlagen durch die Internationale Atom­energiebehörde (IAEA) und ließ sich zusichern, dass Indien keine sensitive Nukleartechnologie exportieren und vorläufig auch keine Atombomben zu Testzwecken mehr explodieren lassen wird.
Atomtests gab es ohnehin seit zehn Jahren nicht mehr, und den Indern muss zugute gehalten werden, dass sie, anders als Russland, China und einige europäische Staaten, auch vor der Unterzeichung des Abkommens nie sensitive Nukleartechnologien exportiert haben. Die Überwachung ziviler Nuklearanlagen durch die IAEA soll sicherstellen, dass Indien importierte Technologie nicht militärisch verwendet. Sie kann jedoch nicht verhindern, dass diese Technologie für militärische Zwecke ausgewertet und kopiert wird.
Der erste, als zivil deklarierte indische Atomtest im Jahr 1974 war der Anlass für die Gründung der NSG. Nun will Indien seine Atomindustrie modernisieren, der Gesamtwert der in Aussicht stehenden Aufträge wird auf 100 Milliarden Dollar geschätzt. In der vergangenen Woche wurde der nukleare Bazar eröffnet. Die noch notwendige Genehmigung des Abkommens durch den US-Kongress gilt als Formalität, die indische Regierung ließ mitteilen, es werde bereits mit amerikanischen, russischen und französischen Unternehmen verhandelt. Nach Angaben der indischen Industrie- und Handelskammer werden 400 Unternehmen von dem Deal profitieren.
Es verwundert nicht, dass die Mitglieder der NSG das Geschäft nicht den Amerikanern überlassen wollen. Schließlich sind in diesem Gremium nur Länder vertreten, deren staatsnahe Atomfirmen eine breite Berücksichtigung ihrer Interessen erwarten. Vielleicht nicht verwunderlich, aber bizarr ist es, dass ein solches Gremium im Namen der »internationalen Gemeinschaft« über diese Frage entscheiden kann. Das ist in etwa so, als wenn ausschließlich Öl und Kohle exportierende Staaten über Maßnahmen zum Klimaschutz zu befinden hätten.
Da Indien bereits Atombomben besitzt, ist der direkte Schaden gering. Doch Indien hat den Atom­waffensperrvertrag nicht unterzeichnet und erhält nun dennoch Zugang zu allem, was der nukleare Weltmarkt zu bieten hat. Der Iran hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, das verpflichtet die »internationale Gemeinschaft« zu einem »größtmöglichen Austausch von Ausrüstung, Material sowie wissenschaftlichen und technologischen Infomationen für die friedliche Nutzung der Nuklearenergie« (Artikel IV) mit den Ayatollahs. Nur wegen der iranischen Verstöße gegen die Überwachungsregeln können Atom­exporte unterbunden werden.
Die Atommächte haben sich vor nunmehr 40 Jahren zu »Verhandlungen in redlicher Absicht« über vollständige nukleare Abrüstung verpflichtet. Derzeit modernisieren sie alle ihr Arsenal und sind zumindest redlich genug, von Abrüstung nicht einmal zu reden. Diese konsequente Weigerung kann für andere Staaten Anlass sein, sich ebenfalls ihrer Verpflichtungen zu entledigen. Der Atomwaffensperrvertrag kann binnen drei Monaten gekündigt werden, so schnell wie ein Mietvertrag, und die nach Expansion strebende Nuklearindustrie hat das letzte Hindernis beseitigt, das den Zugang zu potenziell militärisch nutz­baren Technologien bislang eingeschränkt hat.