Der Zombie-Film »Otto; Or Up With Dead People«

Totes, frisches Fleisch

»Otto; Or, Up With Dead People« heißt der neue, schöne und philosophische Film des kanadischen ­Regisseurs Bruce LaBruce. Worum geht’s: Sex mit Zombies.

Otto ist Zombie. Da er die Hauptfigur eines Films des kanadischen Regisseurs Bruce LaBruce ist, dürfte klar sein: Otto ist ein schwu­ler Zombie. Denn in Filmen von Bruce LaBruce sind in der Regel alle Menschen schwul, und wahrscheinlich auch die Tiere und Pflanzen. Dass Untote aus dem Schattenreich in den Film steigen, ist allerdings auch im Kino des Ausnahmefilmemachers neu. Es gibt nicht nur den schwulen Himmel, sondern auch die homosexuelle Hölle. Im Universum des Bruce LaBruce ist für jeden Platz.
Gleich zu Beginn spielt der Film ein wenig mit den Zuschauererwartungen: Der junge Fleisch­fresser Otto, gespielt von dem 19jährigen Belgier Jey Crisfar, wacht eines Morgens auf einem Friedhof im Speckgürtel Berlins auf. Das ist dort, wo sich viele der Menschen hinverzogen haben, die einmal mit großen Träumen in die Stadt kamen. Um dann mit Frau oder Mann und zwei Kindern im Vorort zu versauern. Es kann davon ausgegangen werden, dass Otto eines die­ser Kinder ist.
Nun läuft Otto auf der Landstraße vor sich hin, bis er merkt, dass er Hunger hat. Er findet einen angefahrenen Hasen. Was jetzt passiert, darüber sollte man nicht schreiben. Nur so viel: Es sieht wirklich hart aus.
Nach diesem Snack erreicht Otto die Stadt, wo er auf einen anderen Zombie trifft. Was jetzt passiert, verrät man besser nicht. Aber es sieht wirklich schlimm aus!
Die weitere Handlung: Nach einiger Zeit wird die Underground-Regisseurin Medea Yarn (Katha­rina Klewinghaus) auf Otto aufmerksam. Sie fängt an, einen Film über ihn zu drehen, und wird dabei von ihrer Freundin Hella Bent (Su­san­ne Sachsse) und dem Bruder Adolf (Guido Sommer) unterstützt. Gleichzeitig will Medea »Up With Dead People« fertigstellen – einen Polit-Porno-Film, an dem sie schon seit Jahren arbeitet.
Sie überredet ihren Hauptdarsteller Fritz Fritze (Marcel Schlutt), Otto in seiner Wohnung aufzunehmen. Als Otto eine Brieftasche entdeckt, die Informationen über seine Vergangenheit enthält, beginnt er, sich an Einzelheiten aus der Zeit vor seinem Tod zu erinnern – zum Beispiel an seinen Ex-Freund Rudolf (Gio Black Peter). Er arrangiert ein Treffen mit ihm auf jenem Schulgelände, wo sich die beiden zum ersten Mal begegneten.
Gibt es ein Leben vor dem Tod? Die ersten Gedanken zu »Otto« habe ihm der Ex-Freund geliefert, sagt Bruce LaBruce – ein schiitischer Moslem. Die Schiiten seien schwermütige Leute, die die ersten sechs Wochen ihres neuen Jahres damit verbrächten, den Tod des Enkels des Propheten Mohammed zu betrauern. Sie trügen Schwarz und geißelten sich oft.
Mythische Untote begegnen einem aber nicht nur im Islam. Sondern auch im Einkaufszentrum. Untote Jugendliche haben es LaBruce angetan. Viele junge Leute hätten ihm gesagt, sie fühlten sich nicht sonderlich lebendig, gab er auf der Berlinale zu Protokoll.
Keine Frage: Er liebt seine Hauptfigur, und die Kamera liebt Otto. Mühelos schließt sein Film an die großen Grusel-Epen der Filmgeschichte an. Vorbilder gibt es in der Tat genug. Frankenstein, Andy Warhols »Dracula«, der Golem, der Werwolf. Und nicht zuletzt hat auch der Meister des Toten und Untoten, George A. Romero, als Vorbild seinen Anteil am Gelingen. Er hat Filme mit diesen Titeln gedreht: »Night of the Living Dead«, »Dawn of the Dead«, »Day of the Dead«, »Land of the Dead« und »Diary of the Dead«.
Die Zombie-Filme erzählen oft von einer abstrusen Kreatur, gern mit Identitätskrise und voller Selbstzweifel. Otto ist hier ganz klassisches Monster: Er weiß nicht, ob er jetzt ein bedrohlicher Zombie oder nur ein entmutigter Junge mit einer Essstörung ist, der sich nicht anpassen kann. »Als verletzlicher und heimatloser junger Schwuler ist er natürlich auch ein Ausdruck der Feindseligkeit und Homophobie, die es in moder­nen Gesellschaften immer noch gibt«, sagt Bruce LaBruce. Den Soundtrack zu solchen Einsichten liefern Gestalten wie Genesis P. Orridge und Throbbing Gristle.
Der Gedanke an einen Zombieporno habe ihn fasziniert, denn so etwas ist absolut folgerichtig: Der Zombiekörper sei durchlässig, verfallen, »man kann sich seine bevorzugte Öffnung suchen«.
LaBruce sieht erstaunliche Parallelen zwischen lebenden Toten und schwulem Massensex: »Wer je in einem Park gecruist hat oder in den Gängen einer Sauna, der weiß, dass das wie bei der ›Nacht der lebenden Toten‹ sein kann: Die Anonymität der Toten, die austauschbaren Kör­perteile, sexuelle Trance – all das kann aufregend sein und Spaß machen.« Sex als Integration des Nochnicht- bzw. Nichtmehrmenschlichen: Zombies seien vollendete Konformisten, sie handelten alle gleich. »Sie sehen alle gleich aus, und es zieht sie alle immer zu den gleichen Orten.« Mit Otto habe er den Film-Topos ins Gegenteil verkehren wollen. Der Film soll einen Zombie zeigen, der ein Nonkonformist ist, der, wie es im Film heißt, »seine Einmannrevolution gegen die Realität führt«.
Der Betrachter mag sich selbst ein Urteil bilden, »Otto« ist ein bunter und schöner Film. Wie der traurige Jugendliche da im lila Flieder steht und aus den hohlen Augen eine Träne fließt, ist großes Independent-Kino wie alle Filme von Bruce LaBruce. Und natürlich strengstens verboten für Unter-18-Jährige.
Die eleganteste Einstellung, die die Gleichzeitigkeit von Totem und Lebendigem zeigt, gelingt LaBruce allerdings nicht bei Otto, sondern bei seiner Frauengestalt Hella Bent. Wenn sie auftritt, tut sie dies grundsätzlich im Stumm­filmambiente: Der Film wechselt ins Schwarzweiß, Hella redet nicht, ihr Text kommt ganz stil­echt auf einer eingeblendeten Texttafel. Das erhöht die Dramatik ungemein. Interessant wird es allerdings, wenn der für seine Special-Effects-Arbeit nicht unbedingt berühmt gewordene LaBruce Schwarzweiß- und Buntfilm nach einer Weile mixt. Bent erscheint dann in ihrem S/W-Stummfilm, während außen herum der Farbfilm tobt.
Die Kunst von LaBruce, sie ist eine lebensfrohe. Er möchte politische Filme mit den Mitteln der Pornografie ausgestalten. Der letzte Versuch, der Porno um eine schwule RAF namens »The Raspberry Reich«, war so lebensfreudig, dass manche Leute im Kino sogar weggeguckt haben. Denn selbst die radikalste Terroristensekte hat bei LaBruce noch Zeit, sich in Großaufnahme einen blasen zu lassen. Am liebsten im Berliner Tiergarten, der so etwas wie das pri­vate Schrebergelände von LaBruce ist.
Der Mann kommt gern nach Berlin. Sein Produzent Jürgen Brüning wohnt hier, der auch ganz rührig ist. Neulich vor zwei Jahren hat er das Berliner Pornofilmfestival gegründet. Er hat mehrere Filmvertriebe und -produktionsgesellschaften, von denen eine »Wurstfilm« heißt und über die ich meistens lachen muss, wenn sie mir eine E-Mail schreibt. In der Betreffzeile steht dann »Infos from Wurstfilm«. Brüning dreht auch selbst. Über eines seiner Hauptwerke schrieb einmal die Berliner Zeitung, der Film habe ja kaum eine erkennbare Handlung. Titel: »West fickt Ost«.
Auch bei »Otto« hat Brüning Wache gestanden, und geschaut, ob die Drehgenehmigung kommt. Die Gang hat im verfallenden »Spreepark« drehen können, am Ende des Treptower Parks, ein Fantasialand, dessen Besitzer Kokain in den Karussells nach Deutschland schmuggelte und bis vor kurzer Zeit im Gefängnis saß. Eine andere Location, das Papierlager an der Köpenicker Straße, brannte kürzlich ab – es war dasjenige der Wochenzeitung Jungle World.
Na wunderbar! Gibt es sonst noch was? Ja. Den Otto-Darsteller fand das Filmteam über Myspace. Den Hasen, den er essen muss, hat der Re­quisiteur dem Vernehmen nach mit rohem Thunfisch und Erdbeersirup ausgestopft. Er sieht jedenfalls verdammt echt aus.
Ja, man sieht es dem Personal an: Untot sein à la Bruce LaBruce scheint großen Spaß zu machen.

»Otto; Or, Up With Dead People« (D/Can 2008)
Regie: Bruce LaBruce. Start: 18. 9.