Die Comic-Autobiografie von Art Spiegelman

Im langen Schatten der Maus

Wie er wurde, was er zeichnet: Art Spiegelman hat seine Autobiografie in einem großartigen Comicroman erzählt.

Die Rezeption Art Spiegelmans in Deutschland sei zu ignorieren, hat der Literaturwissenschaftler Ole Frahm einmal in einem Artikel zu »In the Shadow of No Towers«, Spiegelmans Aus­ein­an­der­setzung mit dem 11. September, geschrieben, da sie entweder seine Kritik auf Antiamerikanis­mus verkürze oder aber, wie im Falle von »Maus«, dem Comic, mit dem Spiegelman über die Gren­zen der Comicszene hinaus berühmt wurde, diesen positiv von der sonstigen »Bilderflut« aus Amerika abhebe, ansonsten dem Genre Comic aber kritisch gegenüber eingestellt sei.
Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag ist nun Art Spiegelmans Autobiografie »Breakdowns – Porträt des Künstlers als junger %@*!« auf Deutsch erschienen. Der großformatige Band, den Spiegelman im Nachwort als »ein Manifest, ein Tagebuch, einen zerknitterten Abschiedsbrief und eine immer noch glühende Liebeserklärung« an den Comic bezeichnet, gliedert sich in drei Teile: das titelgebende autobiografische Porträt in Comicform, ein ausführliches Nachwort und, darin eingebettet, ein Rückblick auf Spiegelmans Frühwerk, genauer: ein Nachdruck des 1980 im Stroemfeld-Verlag auf Deutsch erschienenen und schon seit Jahren vergriffenen Buches »Breakdowns – From Maus to Now« mit Comic-Strips von 1972 bis 1977.
Der Begriff »Maus« in diesem frühen Titel bezieht sich auf eine in dem Band enthaltene Früh­version jenes Werkes, mit dem Spiegelman einige Jahre später berühmt werden sollte und das auch im Mittelpunkt seines Lebensrückblicks steht. »Uff; es hat keinen Zweck (…) Wie weit ich auch renn, ich komm nicht aus dem Schatten dieser Maus raus!« legt er seiner Comicfigur in den Mund, die versucht, der übermächtigen Statue seines Vaters Vladek Spiegelman, dessen Leben er in »Maus« porträtiert hat, zu entfliehen. Spiegelman schreibt dagegen an, auf »Maus« reduziert zu werden, gleichzeitig kommt er jedoch immer wieder auf dieses Werk und seine Hintergründe zurück. Dabei geht es auch und vor allem um die eigenen Beschädigungen als Nach­komme von KZ-Überlebenden. Diese belagern Spiegelmans Leben wie auch sein Schaffen und dringen immer wieder unvermittelt in dieses ein.
Besonders deutlich wird dies beim Wiederlesen der alten Strips aus den Siebzigern. Zwar sind sie noch stark geprägt von Experimenten mit dem Medium Comic, dessen ästhetische Mög­lichkeiten damals noch weitgehend unerkannt waren, doch bereits hier kreist Spiegelman immer wieder um das zentrale Thema seines Lebens. Nicht nur in der Vorstudie zu »Maus« wird das Thema Nationalsozialismus aufgegriffen, es durchzieht viele der Strips; sei es, dass Spiegelman sich in einem Comic über den Selbst­mord seiner Mutter in der Kleidung eines KZ-Häftlings zeichnet, sei es, dass ein Hakenkreuzschatten an der Wand auftaucht, sei es, dass sein Alter Ego Al Flügelman in einer klassischen Detektiv-Story sagt: »Wir Künstler sind unverwüstlich (…), selbst im Konzentrationslager würde ich in meiner eigenen Welt der Kunst allmächtig sein.«
So erklärt sich auch der Titel »Breakdowns«; immer wieder bricht die Familiengeschichte in seinen Alltag ein, Zusammenbrüche bestimmen das Leben Spiegelmans, sowohl in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Den Rückblick auf sein Schaffen beginnt er mit Frag­menten von Erinnerungen an seine Mutter Anja Spiegelman, die sich 1968 umbrachte, ohne eine Zeile der Erklärung zu hinterlassen. Vier Jahre nach dem Selbstmord zeichnete Spiegelman die Geschichte »Gefangener auf dem Höllenplaneten«, seine persönliche Auseinandersetzung mit diesem Ereignis, das gleichzeitig ein Wendepunkt in seiner Karriere als Zeichner ist. Inhaltlich bedeutet diese Arbeit die Konfrontation mit der eigenen Biografie, gestalterisch die Hinwendung zu einer an die Holzschnitte des deutschen Expressionismus oder die Bildgeschichten Frans Masereels erinnernden Ästhetik, die bereits die Gestaltung von »Maus« vorbereitet.
Die Story fand später als Faksimile Eingang in »Maus«, als Dokument eines Versuchs der Annäherung an die Erinnerungen seiner Mutter, die Birkenau überlebte, das Überleben jedoch nicht ertrug. »Maus« war die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Vaters, das Festhalten seiner Lebensgeschichte, um sie vor dem Vergessen zu erretten. Die für den Sohn bestimmten Aufzeichnungen der Mutter dagegen waren nach ihrem Tod vom Vater vernichtet worden – ein Akt, der als Folge seiner Traumatisierungen gesehen werden muss. »Nach Anjas Tod hab ich gemusst machen eine Ordnung mit alles (…) in diesen Heften sind gewesen zu viele Erinnerungen. Also habe ich sie verbrannt«, bringt der Vater in »Maus« zu seiner Entschuldigung vor.
In »Maus« wie auch in »In the Shadow of No Towers« und jetzt in »Breakdowns« geht es um die Unabgeschlossenheit dieser Vergangenheit. In »Maus« standen die Traumatisierungen des Vaters Vladek im Mittelpunkt, die teilweise mit den Deformationen des Sohnes korrespondierten, wodurch deutlich wurde, wie die traumatische Vergangenheit nicht nur die Überlebenden betrifft, sondern eben auch ihre Kinder. Und ebenso wie in »Maus« wurde in Spiegelmans 9/11-Comic die Präsenz des Holocaust von einer Zeitebene in eine andere überführt, der 11. September 2001 als neuestes Ereignis eines fortschreitenden Traumas seiner persönlichen Geschichte beschrieben, das die Wunden, die die Familiengeschichte in ihm hinterlassen haben, wieder öffnet. In »Breakdowns« schreibt Spiegelman diese persönliche Annäherung an seine eigenen Verwundungen fort und fügt ihr neue Aspekte hinzu. So folgt der Beschreibung der Ent­stehung von »Gefangener auf dem Höllenplaneten« ein Sprung in die Gegenwart. Spiegelman sitzt am Schreibtisch und schreibt in einer der beeindruckendsten Sequenzen von »Breakdowns«: »Normalerweise verwechsle ich Kunst nicht mit Therapie, aber ich war wirklich der Meinung, ›Höllenplanet‹ hätte mir geholfen, Anjas Selbstmord zu bewältigen (…). 33 Jahre nach diesem Comic, 37 Jahre nach dem Tod meiner Mutter (…) war ich auf diesen stechenden Schmerz nicht gefasst! Eine Angstattacke überwältigte mich wie aus heiterem Himmel und warf mich zu Boden.« Wie immer bei Spiegelman treffen verschiedene Reflexionsebenen aufeinander; noch während er sich mit seinen Erinnerungen auseinandersetzt, stellt er diese bereits wieder in Frage, indem er seine Zweifel an ihnen abbildet: »Wie komme ich dazu, meine Memoiren zu schreiben? Ich weiß nicht mal mehr, was letzte Woche war.« So wird »Breakdowns – Porträt des Künstlers als junger %@*!« zum Porträt einer fragmentierten Erinnerung an seine Eltern, zu einer Hommage an die Comics, die ihn als Kind geprägt haben, und zu einer Selbstanklage. Spiegelman wirft sich vor, die Traumatisierungen seiner Eltern nun an seine eigenen Kinder weiterzugeben. In einer Epi­sode überreicht er seinem Sohn Dash eine Schatztruhe als Geschenk, die ein Monster mit einer KZ-Mütze enthält, mit den Worten: »Ich habe es von meinem Vater bekommen, als ich noch ganz klein war (…) und jetzt gebe ich es an dich weiter. Du fühlst dich damit so wertlos, dass du glaubst, nicht mal das Recht zum Atmen zu besitzen! Und stell dir vor! Eines Tages wirst du es an deinen eigenen Sohn weitergeben.«

Art Spiegelman: Breakdowns – Porträt des Künstlers als junger %@*! Fischer, Frankfurt a.M. 2008, 84 Seiten, 29,90 Euro