Die Krise der Automobilindustrie trifft auf die Tarifverhandlungen

Prophylaktisch jammern

Bei Opel, VW und Daimler stehen die Produktionsbänder zeitweilig still. Um sich auf die Krise vorzubereiten, baut die Autoindustrie Überkapazitäten ab und reduziert die Lagerbestände. Die Lage noch viel düsterer darzustellen, als sie ist, macht sich zu Beginn der Tarifverhandlungen in der Metallbranche nicht schlecht.

Mit 758 000 Beschäftigten allein im Inland ist die Automobilindustrie eine der wichtigsten Branchen des deutschen Kapitalismus. Wenn die gesamtwirtschaftliche Lage heikel scheint, schlägt sich dies naturgemäß auch im Absatz von Neuwagen nieder. Der ging entsprechend in den vergangenen Monaten spürbar zurück.
Zugleich sind die Autokonzerne stark vom Export und von den Verkaufszahlen ihrer Niederlassungen in Westeuropa und in den USA abhängig. Und gerade die Geschäfte mit den USA laufen derzeit wegen der Finanzkrise und ihrer deutlichen Auswirkungen nicht besonders gut. Während US-Konzerne wie General Motors (GM) und Chrysler ums Überleben kämpfen, fallen die Umsatzverluste deutscher Hersteller jedoch insgesamt noch gemäßigt aus.

Auch in Deutschland wird zurzeit in den Fabriken von Opel, VW und Daimler die Produktion gedrosselt, Arbeiter werden in den Zwangsurlaub geschickt und Zeitarbeiter entlassen. Eindringlich wird die Krise der Automobilindustrie verkündet, gar schon auf ein so genanntes Hilfspaket der Bundesregierung spekuliert. Die Experten sind zur Stelle, um publizistisch für Untergangsstimmung zu sorgen. »Bei Herstellern und Zulieferern werden viele ihren Arbeitsplatz verlieren«, schrieb etwa in der Welt der in solchen Fragen gern zitierte Ferdi­nand Dudenhöffer, der an der Universität Duisburg - Essen einen Lehrstuhl für »Unternehmensführung und Marketing« für den Stu­diengang »Automobilwirtschaft« innehat und zuvor in einschlägigen Automobilkonzernen tätig war.
Günter Verheugen, Kommissar für Unternehmen und Industrie in der EU-Kommission, warnte mit Blick auf die internationale Finanzmarktkrise vor einem umfangreichen Stellenabbau in der europäischen und deutschen Autobranche. Im Interview mit der Neuen Presse sagte der SPD-Politiker: »Die Automobilindustrie erlebt einen Einbruch wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr.« Er schätze die Lage als außerordentlich bedrohlich ein. »Die Konjunktur ist im Keller«, pflichtet der sattsam bekannte Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, bei, und damit ist von der Seite der Unternehmer auch schon alles gesagt.

Tatsächlich hat Daimler 150 000 Beschäftigte in verlängerte Weihnachtsferien geschickt. Alle 14 Montagewerke in Deutschland sind von der Maß­nahme betroffen. Florian Martens, ein Sprecher des Unternehmens, kommentierte: »Es ist unser generelles Ziel, die Fahrzeugbestände auf möglichst niedrigem Niveau zu halten.« Bei Opel standen die Bänder bereits im Oktober wochenlang still. Auch Ford und VW fuhren die Produktion herunter und entließen Leiharbeiter. BMW plant nach Angaben seines Sprechers Mathias Schmidt, die Produktion in Europa um 40 000 Autos zu drosseln, die für den US-Markt bestimmt waren. Angeblich seien bis 20 000 Jobs in der Fahrzeugbranche bedroht.
Generell versuchen die Automobilkonzerne, Über­kapazitäten in der Produktion abzubauen und die Lagerbestände zu reduzieren. Während also in der eigentlichen Automobilproduktion bisher eher vorsorglich gejammert wird, sind die Autozulieferer von der eingeschränkten Produktion unmittelbar betroffen. Der Reifen- und Autoteilehersteller Conti musste einen drastischen Rückgang der Profite verbuchen. Im dritten Quar­tal dieses Jahres sank der Gewinn des Unternehmens auf 2,4 Millionen Euro. Im gleichen Zeitraum vor einem Jahr hatte Conti unter dem Strich noch 252 Millionen Euro verdient. Bosch meldete Kurz­arbeit für 3 500 seiner Mitarbeiter. Kleinere Zulieferbetriebe könnten zudem perspektivisch dadurch in Schwierigkeiten geraten, dass die Banken zurückhaltender mit der Vergabe von Krediten sind.
Wie so häufig in diesen Tagen werden Stimmen laut, die nach staatlicher Unterstützung für die Automobilbranche rufen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) etwa forderte von der staat­lichen KfW Bankengruppe Kredite zu günstigen Zinsen für die Käufer von Neuwagen. »Wenn sich die Märkte beruhigen und die Verbraucher langsam wieder Vertrauen fassen, dann können wir die Krise überwinden«, sagte der Präsident des VDA und ehemalige Bundesminister Matthias Wissmann. Manche seiner Kollegen aus der Autolobby sind da skeptischer. »Man kann die Menschen nicht dazu verpflichten, ein neues Auto zu kaufen«, sagt der Leiter des unternehmensnahen Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation und frühere BMW-Chefvolkswirt, Helmut Becker. »Da kann man Ihnen noch so viel Geld in die Tasche stecken.«
Angesichts der Krisenstimmung wächst der Druck der Unternehmer in der Metallindustrie auf die IG Metall, ihre bisherige Forderung nach acht Prozent mehr Lohn in der laufenden Tarifrunde aufzugeben. Nach den ersten Warnstreiks am Wochenende, bei denen mehr als 8 000 Beschäftigte kurzfristig die Arbeit niedergelegt hatten, forderte der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, die Gewerkschaft dazu auf – und nicht anders war es zu erwarten –, den Tarifkonflikt nicht zu eskalieren, und wetterte gegen das vermeintlich egoistische und kurzsichtige Besitzstandsdenken der Metaller. »Ein Streik, der wie vor 150 Jahren darauf ausgelegt ist, dem Betrieb Schaden zuzufügen, trifft letztlich alle, mit zeitlicher Verzögerung auch die Beschäftigten«, sagte Kannegiesser der Welt am Sonntag. In einer so vernetzten Branche wie der Metallindustrie habe sich der klassische Arbeitskampf überholt. Kannegiesser nannte die Forderung der Gewerkschaft wie schon zuvor unangemessen. Acht Prozent, das sei mit der konjunkturellen Entwicklung nicht vereinbar. Das Angebot der Arbeitgeber beträgt insgesamt 2,9 Prozent.

Es macht wenig Sinn, geschweige denn Eindruck, die Absatzkrise, die bereits begonnen hat, leugnen zu wollen, wie es die IG Metall derzeit versucht (siehe Seite 9). Allerdings sind die Gewinne in der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen Jahren besonders üppig ausgefallen. Dementsprechend stiegen allein im Jahr 2007 die Managergehälter um knapp acht Prozent, die der Be­schäftigten um gerade einmal 2,3 Prozent, also um einen Wert, der nicht einmal ausreichte, um die steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen. Die Preisentwicklung in diesem Jahr vor allem bei Gas und Strom trug denn auch besonders zur Erwartungshaltung der Metaller bei.
Hinzu kommt die Umstellung auf das neue Entgelt-Rahmenabkommen in der Metallbranche, das die Trennung zwischen Lohn- und Gehaltsempfängern aufheben soll. Es hat in vielen Betrieben dazu führt, dass die Ausgleichszahlungen für Beschäftigte, die in eine niedrigere Entgeltstufe eingeordnet werden als zuvor, mindestens zum Teil mit den nächsten Tariferhöhungen verrechnet werden. Und zusätzlich lieferten die Tarifparteien im September durch eine neue Altersteilzeitregelung einen Grund für höhere Forderungen. Die Unternehmer erkauften sich die Zusage der Beschäftigten, 0,4 Prozent der Lohner­höhung nach der aktuellen Tarifrunde für die Finanzierung des Teilzeitmodells zu verwenden.
Vor diesem Hintergrund bedeutet eine Lohnerhöhung von 2,9 Prozent, nach sinkenden Reallöhnen in den vergangenen Jahren auch noch die Last der Krise auf die Arbeiterinnen und Arbeiter abzuwälzen – ein weiterer realer Lohnraub, den die Gewerkschaft ihren Mitgliedern wohl kaum vermitteln könnte. Es sei denn, man stellt die Lage jetzt schon so ernst dar, wie sie vielleicht in einiger Zeit sein kann. Also wird prophylaktisch gejammert.