Das französische Konjunkturprogramm

Der starke Mann und die Krise

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy versucht, sich mit den von seiner Regierung kürzlich beschlossenen Konjunkturmaßnahmen als »Retter der Nation« zu profilieren. Bei vielen Franzosen scheint das gut anzukommen. Gestärkt wird der Präsident auch durch eine fehlende politische und gesellschaftliche Opposition.

Nicolas Sarkozy ist derzeit fast überall. In Zeiten der Krise wirkt er umtriebig, zeigt sich an allen Fronten um Profilierung bemüht. Vor einigen Wo­chen wollte er sogar die französische EU-Ratspräsidentschaft, die bald zu Ende gehen wird, ein­fach um ein Jahr verlängern lassen. Seine Begrün­dung lautete: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten dürfe nur ein Land die Union anführen, das auch den Euro als Währung eingeführt habe. Dies sei bei der Tschechischen Republik und bei Schweden – die als nächste das Amt übernehmen sollen – nicht der Fall.
Eine starke Minderheit der französischen Ge­sell­schaft scheint den sich als »Retter der Nation« profilierenden Präsidenten zu mögen – rund 40 Prozent, glaubt man den Umfragen. Das würde erheblich mehr Zustimmung für den amtierenden Präsidenten bedeuten als zu Zeiten seines Amtsvorgängers, Jacques Chirac. Eine wichtige Rolle spielt dabei das in Krisenzeiten besonders starke Bedürfnis nach sozialer und ökonomischer Sicherheit. Noch vor einigen Jahren bekam der Front National, die rechtsextreme Partei von Jean-Marie Le Pen, Zustimmung von Wählern auf der Suche nach »Sicherheit und Autorität«. Heute schafft es Nicolas Sarkozy, einen Teil dieses Spektrums selbst anzusprechen, es gibt allerdings einen weiteren Teil des rechtskonservativen Milieus, der sich immer noch nicht zwischen Sarkozy und Le Pen entscheiden kann.

Lange Zeit gab es auch eine starke politische und gesellschaftliche Opposition, doch davon ist derzeit kaum noch etwas zu spüren. Das politische Spektrum des Präsidenten wird durch die Krise der politischen und gesellschaftlichen Gegenkräfte gestärkt. Dies gilt etwa für die Sozialdemo­kratie als größte parlamentarische Oppositionspartei, die seit Monaten ein katastrophales Bild bietet. Noch bis vor kurzem wurde dort heftig um Personen und Posten, aber mitnichten um Ideen und Strategien gestritten. Die Gewerkschaf­ten stehen in jüngster Zeit kaum besser da. Anfang Dezember fanden bei den Gewerkschaftsverbänden die so genannten Sozialwahlen statt. Dabei ging es um die Besetzung von 9 000 Sitzen von Laienrichtern in den Arbeitsgerichten. Ähn­lich wie Parlamentskandidaten werden Laienrichter auf Listen gewählt. Die Wahl bildet deshalb einen wichtigen Gradmesser für die Stärke der einzelnen Gewerkschaften. Dass die Apparate der einzelnen Gewerkschaftsverbände sich monatelang nur noch um ihren internen Wahlkampf gekümmert haben, anstatt sich eine Strategie auszudenken, um soziale Kämpfe mit der Kampagne zu den Sozialwahlen zu verkoppeln, wurde allerdings von vielen Mitgliedern und Beobach­tern kritisiert. Soziale Proteste wurden abgebrochen oder auf später verschoben – gegen das Abwälzen der Folgen der Wirtschaftskrise auf die abhängig Beschäftigten soll etwa erst im Januar demonstriert werden.
Gründe zum Protestieren gäbe es derzeit genug. Denn während Sarkozys Wirtschaftspolitik und seine Maßnahmen gegen die Krise bei manchen Sozialisten in Deutschland als geradezu modellhaft bewundert und als Bruch mit dem Neolibera­lismus gelobt werden, sieht die Wirklichkeit anders aus.
Offenkundig geht es heute in Frankreich nicht einmal um ein Krisenprogramm in den Ausmaßen des New Deal in den USA der dreißiger Jahre. Dieses hatte auch mitnichten den Kapitalismus in Frage gestellt, und seine Wirkungen werden bis­weilen überschätzt: Um 1938/39 schien dieser keynesianische Versuch zur Krisenbewältigung zunächst zu scheitern oder geriet zumindest ins Stocken, aber ein gutes Jahr später kurbelte die Rüstungsproduktion dann die US-amerikanische Wirtschaft mächtig an. Die Auswirkung beider Me­chanismen hat sich dadurch historisch überlagert. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der New Deal breiten Schichten damals soziale Verbesserungen oder zumindest neue Garantien gegen den sozialen Existenzverlust brachte. Ferner beinhaltete das damalige Programm auch eine Stär­kung der Gewerkschaften, deren Wirken für mehr Kaufkraft sorgen sollte.
Nichts davon findet sich bei Nicolas Sarkozy. In der Krise setzt er nicht darauf, die Kaufkraft zu steigern, um dadurch den Massen mehr Konsum zu ermöglichen und so die Wirtschaft wieder anzukurbeln. In Zeiten der Globalisierung, in der eine wachsende Binnennachfrage infolge höherer Kaufkraft auch durch internationale Konkurrenten bedient werden kann, stehen die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie aus Sicht des Kapitals ohnehin in Frage.
Entsprechend ist von den 26 Milliarden Euro, die als Maßnahme gegen die Krise eingeplant sind, auch nur knapp eine Milliarde zur Steigerung der Kaufkraft der Menschen vorgesehen, die infolge der Wirtschaftskrise verarmen. Die übrigen 25 Milliarden werden gezielt dem na­tionalen Kapital zugeschossen, sei es in Gestalt einer Rück­zahlung von Steuerbeträgen, sei es durch das Lan­cieren von Infrastrukturprojekten – drei Autobahnen und vier Schnellzugstrecken sind geplant –, die allerdings längerfristig angelegt sind und also nicht sofort Arbeitsplätze schaf­fen werden. Von der knappen Milliarde, die als Ge­schenk an die Verarmten geht, besteht der Löwenanteil aus einer Sonderzahlung an die Empfänger des neu geschaffenen »Sozialen Aktivitätseinkommens« (RSA). Der Zuschuss soll aber wohl nur dessen Einführung schmackhaft gestal­ten.

RSA ist der französische Ausdruck für »aktivierende Sozialpolitik«, jenes Prinzip, wonach es immer noch besser ist, von Hungerlöhnen zu leben als von »passiv« empfangenen staatlichen Unterstützungszahlungen. Ab 2009 wird der RSA die bisherige Sozialhilfe (RMI) sowie die Unterstützungszahlung für allein erziehende Eltern er­setzen. Der RSA funktioniert wie ein Kombilohn, er stellt ein Existenzminimum dar, das – anders als die bisherige Sozialhilfe – mit einer abhängigen Erwerbstätigkeit kombiniert werden kann. Er dient dazu, einen vom Arbeitgeber bezahlten Hungerlohn, von dem allein niemand leben könnte, aus steuerlichen Mitteln aufzustocken. Neu beschlossen wurde soeben die Hinausschiebung des Rentenalters, »auf freiwilliger Basis«. Bislang konnte ein abhängig Beschäftigter mit 60 Jah­ren aus freien Stücken in Rente gehen. Man konnte aber warten, bis man 65 ist, bei Erreichen dieser Altersgrenze musste der Arbeitgeber aber dann das Beschäftigungsverhältnis beenden. Die Regie­rung argumentiert nun mit dem Grundsatz der »Freiwilligkeit«, demzufolge abhängig Beschäftig­te auch bis 70 weiterarbeiten können. Eine entsprechende Regelung ist bereits verabschiedet wor­den. Sie war Anfang November als Zusatzbestimmung im Gesetz zum jährlichen Haushalt der gesetzlichen Sozialversicherung versteckt und durch das Parlament gewunken worden. Die Gewerkschaften fanden kaum die Zeit, um dagegen zu protestieren. Am Donnerstag voriger Woche erklärte das französische Verfassungsgericht die Rentenregelung für verfassungskonform.
Die »Freiwilligkeit« dürfte in der Praxis allerdings sehr eingeschränkt sein. Denn die Rentenreformen, die in mehreren Stufen in den vergangenen Jahren angenommen wurden, sorgen dafür, dass immer mehr Menschen von ihrer ge­setz­lichen Rente nicht leben können. Nach der gestaffelten Einführung der Reform werden in gut einem Jahrzehnt dann 42,5 Beitragsjahre zur Rentenkasse notwendig sein, um eine Pension zum vollen gesetzlichen Satz zu beziehen. Da werden viele schon über 70 Jahre alt sein.
Ebenso auf die »Freiwilligkeit« beruft sich die Regierung bei ihrem neuen Vorhaben. Noch im Dezember möchte sie ein Gesetz, das die Sonntags­arbeit im Handel und Verkauf generell freigibt, vom Parlament verabschieden zu lassen. Teile der konservativen Parlamentsmehrheit sträuben sich allerdings, aus Rücksichtnahme auf die christ­lichen Kirchen, gegen die Freigabe der Sonn­tags­arbeit. 60 Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP sind Unterzeichner eines Appells gegen die generelle Einführung von Sonntagsarbeit. »Auf ausdrücklichen Wunsch« von Sarkozy, so hieß es in Pressemeldungen, sollte die Regelung am Dienstag ins Parlament kommen. Auch hier ist die Rede davon, die Teilnahme der abhängig Beschäftigten werde »auf freiwilliger Basis« erfolgen. Auch hier wird dies freilich pure Theorie bleiben. Denn ein Supermarkt kann zwar auch dann funktionieren, wenn am Sonntag nur der Käsestand »freiwillig« besetzt ist, nicht aber die Fischabteilung. Nur, er kann dann nicht öffnen, wenn zwar Käse- und Fischverkäufer »freiwillig« kommen, aber die Kassiererin­nen wegbleiben. Die Arbeitsorganisation wird hier schnell zu erzwungener »Freiwilligkeit« führen.