Interview mit Yannis von der linken Gruppe TPTG über die Motive der Jugendlichen

»Die Polizei will die Aufständischen in Gut und Böse einteilen«

Die linke griechische Gruppe TPTG (Ta paidia tis galarias, Die Kinder der Galerie) ist eine antiautoritäre, kommunistische Gruppe aus Athen, die ein politisches Magazin mit demselben Namen publiziert. Yannis ist Mitglied der Gruppe und arbeitet in der Universität von Athen.

Was sind die Motive der Jugendlichen, die seit über einer Woche in ganz Griechenland auf der Straße sind?

Es ist immer noch zu früh, um eine Analyse des Aufstands zu machen, aber eines ist dennoch sicher, der Aufstand ist nicht nur ein Protest gegen den Mord an Aléxander Grigoróponlos, sondern es handelt sich um einen sozialen Aufstand. Er ist Ausdruck der Wut, die sich bei den Jugendlichen angesammelt hat, Wut auf die immer schlechter werdenden materiellen Bedingun­gen, steigende Steuern und die Intensivierung der Ausbeutung, mehr Arbeit und weniger Lohn. Zu dieser Entwer­tung der Arbeit kommt die Zunahme öffentlicher Überwachung in Form von Kameras und verstärk­ter Polizeipräsenz auf den Straßen.
Außerdem gehören viele Schüler der zweiten Generation der Migranten an, die noch stärker von der Prekarisierung betroffen sind. Viele von ihnen haben keine griechische Staatsbürgerschaft, auch wenn sie hier geboren wurden. Wenn sie nach der Schule keinen Job finden, werden sie ab­geschoben. Auf die Universität zu gehen, können sich nur wenige von ihnen leisten. Studenten, Schüler und Migranten bilden den Kern des Auf­stands, weshalb ich sagen würde, dass es sich um den ersten multinationalen Aufstand in Griechenland handelt.

Über die Hälfte der bisher verhafteten Demons­tranten sind Migranten, die bei Plünderungen festgenommen wurden. Plündern griechische Staatsbürger nicht?

Selbstverständlich, auch wenn es Tatsache ist, dass viele Migranten die Gunst der Stunde eher genutzt haben. Mit der Verhaftung der Plünderer will die Polizei die Aufständischen in Gut und Böse einteilen. Diejenigen, die die Geschäfte plündern, werden als Kriminelle dargestellt und gegen die anderen Demonstranten ausgespielt.

Was passiert an Schulen und Universitäten?

Die Lehrergewerkschaft hat am Montag bekannt gegeben, dass inzwischen 600 bis 700 Schulen besetzt sind, dazu kommen etwa 100 akademische Fakultäten. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Formen der Besetzung, jene, an denen ausschließ­lich die Studenten der Fakultät beteiligt sind, und solche, wie beispielsweise an der juristischen Fakultät im Zentrum Athens, die von Arbeitern, Aktivisten, politischen Gruppen und Studenten getragen werden

Wie groß ist das Verständnis seitens der griechischen Bevölkerung für den Aufstand?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Es gab einen Bericht aus Pátras, dass Ladenbesitzer Studenten attackiert hätten, die vorher ihre Läden demo­liert haben. Aber das war eine Falschmeldung, es waren rechte Gruppen, die auf die Studenten losgegangen waren.
Es gibt unter der Bevölkerung sicher eher Sympathie als Solidarität. Viele Leute, die mit den Studenten sympathisieren, lehnen die Riots ab, viele haben aber auch Verständnis dafür, je nach sozialer Situation und politischer Position. Hier und da kommt es aber auch zu offener Solidarität, wie beispielsweise seitens kleiner Gewerkschaften, wie die der Verleger und Buchhändler und die der städtischen Angestellten im Athener Stadtteil Agios Dimitrios, die sich sogar mit der Besetzung des Rathauses solidarisierte.

Insgesamt haben sich aber die großen Gewerk­schaften mit der Absage der Demonstration am vorvergangenen Mittwoch von den Aufstän­dischen distanziert.

Ja, aber sie haben ihre Ablehnung nicht offen ausgesprochen, sondern erstmal nur symbolisch gehandelt. Wer sich offen gegen die Aufständischen ausgesprochen hat, ist die Kommunistische Partei. Deren Mitglieder versuchten, Besetzungen von Universitäten zu verhindern, und erklärten, dass hinter den Aufständischen, die sowieso nur aus ein paar Vermummten bestünden, dunkle Mächte stehen würden. Die so genannten Kommunisten haben sich mit dieser Haltung vollständig isoliert und sich damit eindeutig auf die Seite der Regierung gestellt.

Wird ein Resultat des Aufstands eine Politisierung der Jugendlichen sein?

Da soziale Kämpfe das politische Bewusstsein immer ausbilden, wird sich auch Klassenbewusst­sein bilden. Wichtig ist jedoch, ob Formen autonomer Organisierung entstehen und was sich aus der Erfahrung des spontanen, nicht organisierten Aufstands entwickelt. Immerhin stehen neben Linksradikalen mittlerweile auch Schüler vor dem Athener Gericht und vor dem Gefängnis, um gegen die Inhaftierung der Demonstranten zu protestieren. Das zeigt schon ein gewisses politisches Bewusstsein.

Und wann wird die Regierung gestürzt?

Vielleicht in ein paar Wochen. Aber das ist natürlich keine Lösung. Auch wenn der Rücktritt der Regierung die implizite Forderung des Aufstands ist und ein Regierungswechsel sicherlich irgendwie ein Sieg des Aufstands wäre, wissen doch alle, dass die Pasok keine Alternative ist. Es herrscht eine politische Krise, und ein großer Teil der Jugendlichen lässt sich nicht mehr in bestehende Parteien integrieren. Das ist ein Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung, die das Prekariat geschaffen hat.