»HSV-Tattoos. Fürs Leben gezeichnet«

Stadion unter der Haut

Das Buch »HSV-Tattoos. Fürs Leben ­gezeichnet« porträtiert Fans, die mit der Liebe zu ihrem Verein ein bisschen weiter gehen.

Neben der Heimspielstätte des Ham­burger SV am städtischen Volks­park, ein Steinwurf entfernt von der Westtribüne, befindet sich seit Herbst 2008 ein Grabfeld für Fans, dessen Form an ein Stadion­halbrund erinnert: Eine Teilfläche des regulären Friedhofs Altona ist reserviert für 500 Anhänger, die auch im Sarg noch ihrer Arena nahe sein wollen. Keineswegs abwegig ist die Ansicht, dass die Entscheidung, sich auf so einem Areal – es ist das bisher einzige dieser Art in Europa – beerdigen zu lassen, die extremste Form der Hingabe darstellt, die man einem Fußballclub entgegenbringen kann.
Wer dagegen das Dasein im Diesseits für wichtiger hält als alles, was danach kommt, dürfte jene Form der Zuneigung, die Philipp Markhardt und Malte Meyer in ihrem Buch dokumentieren, noch als wesentlich radikaler empfinden. Unter dem Titel »HSV-Tattoos. Fürs Leben gezeichnet« zeigen sie auf mehr als 200 Seiten Fotos von Tätowierungen, die auf unterschiedlich phantasievolle Weise die Leidenschaft für den ewigen Bundesligisten ausdrücken. Hinzu kommen 34 Porträts und Interviews, überwiegend mit Fans, die hier teilweise durchaus intime Teile ihres Körpers präsentieren, darüber hinaus mit einer Hand voll Tätowierern – und, auf den ersten Blick überraschend, mit Hermann Rieger, dem ehemaligen HSV-Masseur, der für viele Fans eine Identifikationsfigur ist. Der langjährige Club-Angestellte kommt zu Wort, weil Ralf aus Hamburg-Bramfeld es sich nicht hat nehmen lassen, ein Autogramm des beliebten Wadenkneters auf seinem Körper verewigen zu lassen. Der Hype sei ihm nicht unangenehm, sagt Rieger. »Ich kenne das mittlerweile schon gar nicht mehr anders. Ich genieße das eher.«
Mit ihrem Buch betreten die Tattoo-Experten Markhardt und Meyer ziemlich frisches Terrain. Letztgenannter hat 2004 bereits das Fußball-Tattoo-Buch »Wenn Liebe, Treue und Tinte unter die Haut gehen« herausgegeben, das aber ausschließlich Fotos enthält und nur in kleinen Kreisen kursierte. Als Verleger fungierte das Punkrock-Plattenlabel Sunny Bastards. Andere vergleichbare Werke sind weltweit bisher nicht aktenkundig geworden.
Herausgeber Markhardt geht generell davon aus, »dass in 20, 30 Jahren« wesentlich mehr »Normalos mit Tattoos übersät sein werden« als heute. Sowohl in der Fanszene als auch gesamtgesellschaftlich wurden Tätowierungen halbwegs salonfähig, als im Laufe der neunziger Jahre die ersten weiblichen Prominenten öffentlich ihr Gesäßgeweih präsentierten – ein Motiv, das derzeit allerdings nicht mehr als hip gilt. Vorher waren Tätowierungen überwiegend bei Skinheads, Hooligans, Häftlingen und Seeleuten beliebt.
Die im Buch präsentierten Motive erinnern teilweise noch an diese Tradition. »Alles, was martialisch aussieht, ist beliebt«, sagt Markhardt. Häufig wird die Zeichnung eines Wikingers oder eines Ritters mit dem HSV-Logo kombiniert. Verbreitet sind auch Abkürzungen von Fanclubnamen, Hinweise auf ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein (ein gewisser »Büffel« hat Harry Hummel, das erste Maskottchen der HSV-Historie, auf dem Rücken) sowie lokalpatriotische Motive, die über das Bekenntnis zum Verein hinausreichen. Wobei das Buch aber auch zeigt, dass fürs Leben gezeichnete HSV-Fans nicht nur in Hamburg und Umgebung anzutreffen sind, sondern auch im pfälzischen Gönnheim und im bayerischen Buttenwiesen.
Einer der extremsten Vertreter der Fußball-Tattoo-Fraktion in Deutschland ist Herausgeber Malte Meyer. Seinen Rücken hat er mit einem sehr kleinteiligen Kunstwerk aufgewertet. Zu sehen ist das alte Volksparkstadion, umgeben von einigen Hamburg-typischen Zeichnungen (Elbbrücken, Landungsbrücken). Allerdings wirken nicht alle Motive derart durchdacht: Ein Fan aus Kiel hat sich für ein Stadion mit dem Schriftzug »AOL-Arena« entschieden – offensichtlich unter Vernachlässigung der Tatsache, dass Stadionnamen in der Regel nur befristet vermietet werden. Womöglich wird er sich irgendwann von seinen Enkeln fragen lassen müssen, was denn eigentlich »AOL« bedeute. Ein anderer Anhänger hat das Konterfei des singenden Fan-Einpeitschers Lotto King Karl auf seiner Haut einprägen lassen. Seine mutige Begründung lautet: »Spieler kommen und gehen, aber Lotto, der bleibt – für immer!«
»HSV-Tattoos. Fürs Leben gezeichnet« hat mit den meisten Fußballbüchern nicht viel gemein; das Buch ist keine distanzierte Beschreibung einer Szene. Das gern mal missbrauchte Etikett »Von Fans für Fans« passt hier hundertprozentig – ohne die Fotos, die die Porträtierten selbst eingereicht haben (in wenigen Fällen wurden Extratermine anberaumt), hätte das Buch gar nicht entstehen können. Für die Herausgeber erwies sich die Zusammenarbeit mit ihren Zuträgern nicht immer als unkompliziert. Ein gewisser Rainer verpasste gleich zweimal den Interviewtermin. Als die Herausgeber bei ihm anriefen, war seine Mutter am Telefon: »Rainer ist nicht zu Hause, aber er ist ja auch schon groß.« Das kann man so stehen lassen, denn Rainer ist bereits über 40.
Die Entwicklung der Digitalkameratechnik dürfte es mit sich bringen, dass künftig immer mehr Bildbände aus der Fanszene den Fußballbuchmarkt bereichern. Was das konkrete Thema Fußball und Tattoos betrifft, könnte nach diesem Buch durchaus ein Verlag auf die Idee kommen, eine Hochglanzproduktion mit tätowierten Fußballern in Angriff zu nehmen. An Kandidaten – von Torsten Frings über Luca Toni bis zu David Beckham – mangelt es ja kaum. Man kann allerdings davon ausgehen, dass sie nicht so kurzweilig geraten wird wie die vorliegende Sammlung aus dem HSV-Universum.

Philipp Markhardt/Malte Meyer (Hg.): »HSV-Tattoos. Fürs Leben gezeichnet«, Verlag HSV Supporters Club, 216 S., 18,87 Euro